Carl Wilhelm Kolbe Carl Wilhelm Kolbe: Die Natur ist kraus, wild und regellos
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Damen, nur mit einem Herrenzylinder bekleidet. Antikische Pärchen, die sich inmitten phantastisch rauschender Krautgewölbe zum Schäferstündchen finden.
In welcher Künstlerbrust soll das alles zusammenfinden? In der eines Mannes, dessen Seele offenbar viele Kammern kannte. So ist es keine Welt aus nur einem Guss, in die der Besucher der Dessauer Werkschau des Zeichners Carl Wilhelm Kolbe (1759-1835) tritt. Es ist eine Bilderwelt, in der sich unterschiedlichste Einflüsse vereinen: solche des Rokoko und Sturm und Drang, des Klassizismus und der Romantik. Hier gewittert es motivisch und geistig, auch wenn auf den 140 in der Orangerie des Schlosses Georgium gezeigten Zeichnungen und Radierungen eigentlich kein Wetter herrscht - kein Regen fällt da, kein Schnee.
Carl Wilhelm Kolbe, den es als 20-Jähriger von Berlin weg nach Dessau verschlug, arbeitete nicht "in", sondern "nach" der Natur - nach den Streifzügen durch Wald und Flur, die ihm ein tägliches Bedürfnis waren. Wie sehr, das lässt die Energie seiner Bildhandschrift erahnen: Ein ins Phantasmagorische ausgreifender Realismus waltet da. Körperlichkeit und Monumentalität, um einen Höchstgrad an Sinnfälligkeit zu erreichen: Als handgreiflich erscheinen musste alles, was Kolbe zu Papier brachte. Ein Ausnahmekünstler, das wird sehr schnell sichtbar. Kein Mode-Mann, kein Schulgänger, sondern in seinen besten Arbeiten ein ganz und gar eigenständiges bildnerisches und geistiges Temperament, durchaus mit plebejischen Zügen.
So ist diese gelungene Dessauer Schau nicht einfach nur sehenswert, sondern erhellend und tatsächlich verdienstvoll. Von der Anhaltischen Gemäldegalerie unter dem Titel "Carl Wilhelm Kolbe - Künstler, Philologe, Patriot" veranstaltet, kommt die Ausstellung einer Neuentdeckung jenes Mannes gleich, den man über Anhalt hinaus als "Eichen-Kolbe" führt - und damit verkleinert. Selbstverständlich machen die Eichen-Darstellungen bei Kolbe einen originären Werkteil aus, aber das Einzigartige zeigt sich doch in der sehr eigenen Synthese widerstreitender Kultureinflüsse, in einem ersten Vorschein bedrohlich surrealer Welten. Einer modernen Kälte und selbstbezogenen Artistik, die um 1800 auch in der Poesie auftaucht - zum Verdruss der Klassizisten.
Carl Wilhelm Kolbe also: Vor 250 Jahren - der genaue Tag ist umstritten - in Berlin als Sohn eines "Goldstikkers und Tapetenmachers" und einer hugenottischen Französin geboren; sein Onkel ist der berühmte Zeichner Chodowiecki. Von 1779 bis 1782 Französischlehrer am Philanthropinum in Dessau. Jener Residenzstadt, in der der zugewanderte Preuße - mit Studienunterbrechungen - bis zu seinem Tod insgesamt 43 Jahre verbringen sollte. Im Brotberuf Sprach- und Kunstlehrer, rang der Zeichner vergeblich um die persönliche Aufmerksamkeit des Fürsten Franz, in dessen Diensten er stand.
Der Fürst in Kolbes Urteil: "wie alle Halbkenner hängt (er) an den Meinungen anderer". Dessen Hofarchitekt Erdmannsdorff? "Ein über die Maaßen bequemer und phlegmatischer Mensch", mit dem "läst sich auch nichts anfangen". Überhaupt Dessau! Kein Aufenthalt für Künstler. So also sah das Kolbe. Man darf den Dessauer Fürsten eben nicht verklären, aber unterschätzen auch nicht. Denn auch das hat Geltung: "Wenn da des Menschen Vaterland ist, wo ihm wohl ist, so sei Dessau mein Vaterland!", schreibt Kolbe 1795 an seinen Freund Bolt in Berlin.
Kolbes Mutterland aber war die Natur und die, sagt er, sei "kraus und wild und regellos in ihren Formen und verträgt die Glätte nicht. Daher ich auch kein Freund der englischen Manier in der Landschaft bin." Ein Mann der "wilden Manier" ist Kolbe, und diese Wildheit zieht sich durch alle elf Abteilungen der Schau, die auch nach Paderborn und Zürich reisen wird. Die "wilde Manier" deutet sich schon an in der starken, sehr ernsthaften Plastizität der frühen akademischen Akte - und sie zeigt sich in dem Unvermögen, Staffage-Landschaften alter Schule hinzubügeln. Ganz bei sich ist Kolbe, wenn er seine Kräuterblätterwerke komponiert, monströse Pflanzen von je eigener Bedeutung. Wenn er eine Schöne mit pelzig schraffiertem Zylinder einen Schulterblick aus dem Jahr 1795 in die Antike werfen lässt. Das hat Witz und Eigensinn.
Eine Büste des alten Kolbe steht inmitten der Ausstellung, der Fuß des weißen Podestes ist von herbstlichem Eichenlaub umlagert. Eine schöne Geste in einer schönen Schau, die man in einem großartigen Katalog nach Hause tragen kann: ein Künstler, 16 Aufsätze, alle ausgestellten Bilder! Und als Zugabe eine Auswahl aus den bislang unveröffentlichten Notaten Kolbes zur Französischen Revolution. Mehr kann kaum machbar sein.
Bis 31. Januar: Die-So 10-17 Uhr. Katalog: 320 Seiten, in der Schau 29 Euro.
Carl Wilhelm Kolbe und Georg Forster: Vortrag von Jörn Garber im Schloss Georgium: Donnerstag, 28.1.2010 um 19 Uhr.
Das Begleitprogramm im Internet: