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Carl Gustav Carus Carl Gustav Carus: Des Lebens helle Sonne

Von Wilhelm Bartsch 21.11.2002, 11:09

Halle/MZ. - Carl Gustav Carus (1789-1869) ist vielen noch als ein Maler der Caspar-David-Friedrich-Schule bekannt, manche nennen ihn noch in einem Atemzug mit Hufeland und Reil einen "Arzt des Volkes", Seelenkundlern ist sein Name ein Begriff, spätestens seit Ludwig Klages 1926 Carus' "Psyche" von 1846 neu herausgab. Die Wenigsten wissen, dass Carus als Begründer der Gynäkologie gilt. Vor allem war er aber auch ein bedeutender Naturforscher, der wie etwa Darwin, Einstein und Goethe Mitglied der Leopoldina in Halle gewesen war, ab 1862 sogar deren Präsident.

Das vor allem ist der wahlverwandte Boden, wo sich Carus mit dem einsam gewordenen Greis aus Weimar trifft. Manche Goetheaner, deren erster Vorreiter Carus ja ebenfalls war, wird ein eher schmerzhaftes Stirnrunzeln plagen, wenn sie sich in den so prachtvoll und sorgsam durch Stefan Grosche erstmals edierten kompletten Briefwechsel von Carus und Goethe vertiefen: Der Alte aus Weimar lechzt nach Anerkennung, und zwar nur noch nach wissenschaftlicher, vor allem, was seine Farbenlehre, betrifft - aber Carus betreibt selber eine und weicht ihm aus.

Carus wiederum schickt Goethe eine Reihe seiner Gemälde, wohl in der Hoffnung, sie bald in der Weimarer Kunstsammlung präsentiert zu sehen. 1820 schickt er zwei Bilder: Vor allem mit dem "Brockenhaus im Morgenlicht" will er sich ein bisschen beim Erstbesteiger des winterlichen Brockens einkratzen, aber auch mit dem Gemälde "Tannenwald", beide von 1820.

Letzteres ist eine sinnentstellte Kopie von Friedrichs "Chasseur im Walde" - "Man sollte seine Bilder an der Tischkante zerschlagen", war bekanntlich Goethes Meinung zu Friedrichs Malkunst. Nur indem Goethe Carus schließlich als Laienkünstler ansah, konnte er sich Wohlwollen abringen: "Zarten Seelen ist gar viel gegönnt". Eine zerschmetternde Kritik an der Tischkante wäre ehrenvoller gewesen.

Beide Männer aber, der noch junge Carus und der, der schon unterm Logo "der alte Goethe" firmiert, taten wohl gut daran, dies alles und noch mehr schnell wegzustecken, was nicht zur Schnittmenge ihrer wirklichen Wahlverwandtschaft gehörte - und die ist bedeutend und heutzutage wieder bedenkenswert. Goethe sah sich in Carus verstanden. Soviel Lob seinerseits war nie als wie in jenem Doppelbrief an Carl Gustav Carus und Eduard d' Alton, wo der Alte die Sonne der Lebenswissenschaften derart blendend aufgehen sah.

Bei allem naturphilosophischen Hintergrund ihrer Forschungen auf dem Gebiet der Morphologie waren Goethe und Carus immer ausgesprochene Empiriker, ohne zum alles andere ausschließenden Positivismus zu neigen: Forschen war noch mit Lebenssinn und Humanitas verbunden. Man wusste noch, was Carus in seinen Lebenserinnerungen notierte: "Daß die wahre Belohnung eines echten, ärztlichen Wirkens in einem andern Buche niedergeschrieben werde, als in dem Contobuche des Kaufmanns".

Oder vielleicht doch in einem Roman wie dem folgenden? Dresden 1832. Goethe ist gestorben. Tieck, der "König der Romantik" und hier Freund-Feind von Carus, nimmt seinen Thron ein. Alle Welt pilgert nun nach Dresden statt Weimar. Der grässliche Tod einer Hofschauspielerin erschüttert die Residenz. Und Carus, "Der Leibarzt", der als Chef der Geburtsklinik in diesen Fall verwickelt ist, soll ihn obendrein aufklären - so wünscht es das Königshaus, nicht ohne Tatmotiv.

Wissenschaft ist auch hier, was sie gern verbirgt: meist ein Politkrimi, und ihre Koryphäen sind oft eher aus Pappmaché als aus Marmor, aber gerade deshalb, wie hier, nicht unsympathisch. Kriegt Carus wenigstens Beistand durch den alten Eremiten C. D. Friedrich? 1832 auch malt Friedrich "Das Große Gehege". Was hat dieses Bild mit dem schauerlichen Fall zu tun, was überhaupt die Kunst mit Wissenschaft und Verbrechen?

In Ralf Günthers Buch klärt sich auch dieser Fall, scheinbar, auf. Aber alle großen Fragen bleiben - wie Friedrichs lila-schwefelgelbe Dämmerungen, drin eine Art Segel stockt - weit offen.

Stefan Grosche: "Zarten Seelen ist gar viel gegönnt - Naturwissenschaft und Kunst im Briefwechsel zwischen Carus und Goethe", Wallstein Verlag, Göttingen, 308 S., 34 Euro.

Ralf Günther: "Der Leibarzt", Wilhelm Heyne Verlag, München, Taschenbuch, 446 Seiten, 8,95 Euro.