Bundeskanzlerin bei Anne Will Bundeskanzlerin bei Anne Will: Angela Merkel will stolz auf Deutschland sein

Berlin - Ja, die Kanzlerin redet mit Anne Will, die sitzt ihr gegenüber, aber Angela Merkel spricht vor allem zu denen, die sie nicht mehr verstehen. Und das sind viele in Deutschland und in ihrer Partei. Sonst wäre sie gar nicht hier, in einer Talkshow als Bundeskanzlerin.
„Weiß die überhaupt noch, was vor Ort geleistet wird?“ Eine harte Frage, die höre sie immer wieder, sagt Merkel. Und dann: „Ja, ich glaube, ich weiß das.“ So geht das erstmal los, dass die Kanzlerin erklären muss, dass sie nicht weltfremd geworden ist. Glaubt sie immer noch: Wir schaffen das? So beginnt Anne Will mit ihrer Einvernahme. Merkel zögert nicht „Wir schaffen das, davon bin ich ganz überzeugt.“ Sie weicht nicht zurück.
Brandbrief aus den eigenen Reihen, sinkende Umfragewerte
Mitglieder ihrer Partei haben einen Brandbrief gegen sie geschrieben, ihre Umfragewerte werden nicht besser.
Kennt sie überhaupt die genaue Zahl der Flüchtlinge? „Die ganz genaue Zahl ist im Moment nicht immer verlässlich zu sagen, aber das ist auch nicht notwendig.“ Wirklich nicht? Anne Will hakt nicht nach. Vielleicht weil die Kanzlerin, mit der Antwort nicht so gut aussah. Vielleicht, weil die Kanzlerin auch recht hat. „Ein Aufnahmestopp? Wie soll das funktionieren? Sollen wir um 3000 Kilometer Landgrenze Deutschlands einen Zaun ziehen?“
Das alles ist sehr ungewöhnlich, eine sichtbar verteidigungsbereite Kanzlerin im Fernsehstudio, noch ungewöhnlicher als der Auftritt mit dem französischen Präsidenten Francoise Hollande am Nachmittag im Europaparlament. Auch da hat sie gesagt, dass sie nicht daran denke, Deutschland abzuschotten. Aber jetzt sitzt sie in einer Art Untersuchungsausschuss im Fernsehen.
Ein Satz von Herzen
Sie offenbart etwas von ihrer Gemütslage, wenn sie sagt, dass sie den ganzen Tag darüber nachdenke, wie man alles lösen könne. Und noch einmal sagt sie, dass dieser Satz: Das ist mein Land, oder eben nicht mehr mein Land, aus ihrem Herzen kam.
Aber sie lässt sich von niemandem eine Interpretation ihres Bildes in der Öffentlichkeit aufzwingen. Die Selfies, die Flüchtlinge mit der Kanzlerin gemacht haben, waren sie ein Fehler? Das ist ihr zu dumm. „Glauben Sie, dass Menschen ihre Heimat für ein Selfie mit der Kanzlerin verlassen?“
Merkel redet davon, dass sie einen Plan hat, und das sei kein Plan der offenen Grenzen. Deutschland müsse sich außenpolitisch mehr engagieren, mehr Entwicklungshilfe leisten. Das klingt alles politisch rational. Aber sie kommt immer wieder auf eines zurück: Sie will stolz auf Deutschland sein, nicht nur einmal zieht sie den Mauerfall zum Vergleich heran.
Ihre Überzeugung steht nicht zur Debatte
Sie ist argumentativ nicht so stark, wie man das erwarten könnte. Einmal beendet sie ihre Gedanken mit der Frage, die niemand beantworten kann. „Stellen Sie sich mal vor, wir würden jetzt alle sagen, wir schaffen das nicht. Und dann?“
Sie hat die Stunde nicht genutzt, um ihren Kritikern entgegenzukommen. Dafür hätte sie ihre Überzeugungen zur Verhandlung stellen müssen. Das aber tut man nicht als Kanzlerin in einer Talkshow, und vielleicht tut es diese Kanzlerin ohnehin nicht mehr.
