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Autor Peter Handkes anderer Blick auf die Welt als Lebensprojekt

Der Nobelpreisträger Peter Handke polarisiert. Die einen bewundern seine ungewöhnliche und genaue Sicht auf die Welt. Die anderen werfen ihm vor wegzusehen.

Von Albert Otti, dpa Aktualisiert: 07.12.2022, 14:51
Der Literaturnobelpreisträger Peter Handke, aufgenommen bei einer Lesung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Am 6. Dezember wird er 80.
Der Literaturnobelpreisträger Peter Handke, aufgenommen bei einer Lesung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Am 6. Dezember wird er 80. Bernd Weißbrod/dpa

Wien - Vor dem runden Geburtstag des österreichischen Literaturnobelpreisträgers Peter Handke ist es ungewöhnlich ruhig. Keine großen Festveranstaltungen sind geplant, eine Interviewanfrage lässt er höflich durch seinen Verlag ablehnen. Die Wiener Literaturwissenschaftlerin und Handke-Expertin Katharina Pektor liefert dafür eine Erklärung: „Er schreibt gerade an einem Text und will nicht gestört werden“, erzählt sie über den Dichter, der am Dienstag (6. Dezember) 80 Jahre alt wird.

So rückt der Autor als unablässiger und radikaler Beobachter der Welt wieder in den Vordergrund, nachdem seine umstrittene Haltung zum Balkan-Konflikt jahrelang das öffentliche Interesse dominiert hatte.

Hunderte dicht gefüllte Notizbücher

„Ich habe hier noch nicht alles gesehen“, schrieb Handke 1978 in eines seiner dicht beschriebenen Notizbücher, das kurz vor dem Geburtstag im November als Faksimile veröffentlicht wurde. Oder: „An der Innenseite der offenen Lippen einer unbekannten Frau war ein kalter, sehr heller Glanz“. Seit 1975 hat er etwa 360 solcher Bücher mit Eindrücken, Gedanken, Satzideen und Zeichnungen gefüllt. Sie sind ein wichtiger Bestandteil seines Schaffens, neben seinen bekannteren zahlreichen Prosawerken und Theaterstücken. „Er hat versucht, eine Reportage seines Bewusstseins zu machen – alles aufzuschreiben, was ihn sprachlich anspringt und durch den Kopf geht“, sagt Pektor, die Mitherausgeberin des nun erschienenen Notizbuches. Sie arbeitet seit Jahren das literarische Material von und um Handke auf, das hauptsächlich im Deutschen Literaturarchiv Marbach und in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Das Lesen von Handkes feinen Beobachtungen kann laut Pektor auch den eigenen Blick schärfen: „Man nimmt plötzlich anders wahr, man hört anders.“

Handke war früher wegen seiner radikalen literarischen Sprache und später wegen seiner Schriften zum Balkan als streitbarer, wenn nicht sogar streitsüchtiger Zeitgenosse bekannt. In seinen jüngsten Werken schlägt er hingegen sanftere und inwendige Töne an. So wie in seinem jüngsten Band „Zwiegespräch“, den das Burgtheater in Wien am 8. Dezember als Uraufführung auf die Bühne bringt. Einer der beiden alten Männer, die das Zwiegespräch als Alter Egos des Autors bestreiten, erinnert darin unter anderem an den Großvater, der im Krieg immer nur in die Luft und nie auf den Feind schoss.

Kindheit zwischen Berlin und Kärnten

Herkunft, Familie, Heimat, Reisen und Rückkehr sind zentrale Themen im Werk des Schriftstellers, der seit langem in der Nähe von Paris lebt. Geboren wurde er 1942 in Griffen, einer kleinen Gemeinde in Kärnten, nicht weit von der Grenze zum heutigen Slowenien. Mütterlicherseits gehörte die Familie zur slowenischsprachigen Bevölkerung. Handkes Großvater stimmte 1920 bei einer Volksabstimmung dafür, dass ein Teil Kärntens zum Vorgängerstaat Jugoslawien gehören sollte. Handkes Mutter hatte seinen leiblichen Vater als deutschen Wehrmachtssoldaten kennengelernt. Die Mutter heiratete jedoch noch vor Peters Geburt den Berliner Unteroffizier Bruno Handke.

Nach Kindheitsjahren zwischen Berlin und Kärnten begann Peter Handke schon im Gymnasium mit dem Schreiben. Sein Jurastudium brach er 1965 ab, nachdem der Suhrkamp Verlag seinen ersten Roman „Die Hornissen“ zur Veröffentlichung annahm. Aufsehen erregten damals nicht nur seine langen Haare und seine dunkle Brille, sondern auch seine Wortmeldung bei einer Schriftsteller-Tagung der Gruppe 47 im US-amerikanischen Princeton, bei der er seinen deutschsprachigen Kollegen im Jahr 1966 „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. Im gleichen Jahr sorgte sein Anti-Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ in Frankfurt für Aufregung, da die Zuschauer genau dem ausgesetzt wurden, was der Titel versprach. Auch in dem 1968 uraufgeführten Stück „Kaspar“ setzte er Sprache radikal als Waffe ein.

Zu Handkes Prosa-Klassikern zählen „Wunschloses Unglück“, das er nach dem Suizid seiner Mutter verfasste, sowie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Dieses Buch wurde von Wim Wenders verfilmt, so wie auch „Der Himmel über Berlin“, bei dem Handke am Drehbuch mitwirkte.

Und dann sind da noch Handkes Schriften zum Jugoslawien-Krieg. In dem Text „Gerechtigkeit für Serbien“ beschrieb der Autor 1996 in lyrischer Weise eine Reise in das Nachkriegsland. „Mit dieser poetischen Sicht versucht er auch in seinen Jugoslawien-Büchern wieder einen neuen Blick zu öffnen für die Gemeinsamkeit und dafür, wie man wieder zusammenleben könnte. Aber das ist irgendwie schiefgegangen“, sagt Pektor. Denn Literatur sei immer auch politisch.

Literaturnobelpreis 2019

Bei dem Begräbnis des ehemaligen serbischen Staatschefs Slobodan Milosevic hielt Handke 2006 eine Rede. Seine Kritiker werfen ihm vor, dass er sich mit Serbien solidarisiert habe und die serbischen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet habe. Proteste gegen Handke und Personenschutz für ihn waren die Folge. Als die Debatte im Jahr 2019 anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises an Handke wieder aufflammte, reagierte er wie gewohnt stur und poetisch. „Ich bevorzuge Toilettenpapier, anonyme Briefe mit Toilettenpapier im Inneren, gegenüber Ihren leeren Fragen“, sagte er zu einem Journalisten in Stockholm. Bei seiner Nobelpreis-Vorlesung streifte Handke das Thema nur aus Sicht des Dichters. Er erzählte, wie ihm bei einer anderen Preisverleihung in Norwegen einer seiner Bodyguards seine selbst verfassten Liebesgedichte vorgelesen hatte. „Das waren sämtlich Liebesgedichte, sehr zarte“, sagte Handke.