1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Bram Stoker: Bram Stoker: Wagner und Walpurgisnacht: Dracula hat deutsche Wurzeln

Bram Stoker Bram Stoker: Wagner und Walpurgisnacht: Dracula hat deutsche Wurzeln

Von Christoph Driessen 10.08.2004, 09:43
Kolorierter Holzschnitt (15. Jhr.): Fürst Vlad Tepes II., genannt Dracula. (Foto: dpa)
Kolorierter Holzschnitt (15. Jhr.): Fürst Vlad Tepes II., genannt Dracula. (Foto: dpa) dpa

London/dpa. - Sein Schloss mag in Transsylvanien stehen, aber die Inspiration für Graf Dracula bezog der Autor Bram Stoker (1847-1912) zu einem großen Teil aus Deutschland. Das zeigt eine neue Biografie des Iren Paul Murray, die an diesem Donnerstag in Großbritannien erscheint.

Auf die Frage nach dem klassischen Schauplatz für eine Geistergeschichte würden die meisten Deutschen wohl ein englisches oder schottisches Schloss nennen. Umgekehrt spielen die meisten britischen Gruselgeschichten im deutschsprachigen Raum: Mary Shelleys «Frankenstein» (1818) zum Beispiel ist in Ingolstadt und Genf angesiedelt, und Ende des 19. Jahrhunderts erschienen so viele englische Schauerromane über Vampire in der Steiermark, dass darüber Satiren verfasst wurden. Angst macht eben immer das, was fremd ist.

Auch Graf Dracula war von Stoker ursprünglich als Österreicher angelegt, und möglicherweise sollte der Roman in Bayern beginnen. Jedenfalls fand sich in Stokers Nachlass ein Manuskript mit dem Titel «Draculas Gast», dessen englischer Erzähler in der Walpurgisnacht von München aufs Land fährt. Die Warnungen seines Kutschers pariert er mit den Worten: «Fahr heim, Johann, die Walpurgisnacht betrifft keine Engländer.» Natürlich wird er eines Besseren belehrt. Nach Angaben von Stokers Sohn war die Episode als Einführungskapitel für «Dracula» gedacht, wurde aber herausgekürzt.

Kurz vor der Drucklegung gestrichen wurde auch die Schlussszene, in der Draculas Schloss einstürzt. Murray kann sich vorstellen, dass dieses Ende zu sehr an Richard Wagners «Götterdämmerung» erinnerte. Stoker war ein Verehrer des deutschen Komponisten, aber noch größer war der Einfluss von Goethes Faust: Stoker, ein bulliges Organisationstalent, arbeitete hauptberuflich als Manager des berühmten englischen Schauspielers Sir Henry Irving. Zu dessen Paraderollen gehörte der teuflische Mephistopheles: «Faust war ganz klar eine Inspiration für Stokers Dracula», meint Murray.

Auch Draculas Gegenspieler, der Vampirjäger Professor van Helsing, sollte zunächst ein Deutscher sein und basierte nach Angaben Stokers auf einem lebenden Vorbild.

Dracula selbst wurde von Stoker wohl deshalb nach Transsylvanien (Siebenbürgen) verlegt, weil dieser Teil Rumäniens damals oft schon dem Orient zugerechnet wurde. Stoker verstärkte damit den Ost-West-Gegensatz. Schon auf der ersten Seite hat der Held Jonathan Harker das Gefühl, die westliche Zivilisation zu verlassen. Der Roman nimmt damit die damals weit verbreitete Angst vor einem «Untergang des Abendlandes» auf: Der triebgesteuerte, charismatische Dracula repräsentiert die erstarkenden Völker am Rande Europas.

Zu einer Zeit, in der Hunderttausende von osteuropäischen Einwanderern ins Londoner East End strömen, lässt Stoker seinen Vampir bis zum Piccadilly Circus vordringen, dem Mittelpunkt des damals mächtigsten Reiches der Welt. Erst als sich der Westen in Gestalt der Dracula-Jäger auf seine christlichen Werte und seinen technologischen Vorsprung besinnt, kann er die dunkle Gefahr aus dem Osten überwinden.

«Dracula» war 1897 sofort ein Erfolg. Ein Rezensent prophezeite: «Dieses Buch wird noch im Jahr 2000 gedruckt werden.»