Berliner Theatertreffen Berliner Theatertreffen: Ist das hier noch unter Kontrolle?
berlin/dpa. - Ausdauernd und ohne Angst vor geschmacklichen Entgleisungen - so sieht dieses Jahr der idealtypische Besucher des Berliner Theatertreffens aus. Wenn die Leistungsschau der deutschsprachigen Bühnen morgen startet, beginnt alles noch verhältnismäßig harmlos. Die Münchner Kammerspiele eröffnen das dreiwöchige Festival mit der Sarah-Kane-Trilogie "Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose" in der Regie von Johan Simons. Doch schon am nächsten Tag droht es unappetitlich zu werden. Dann treten die deutsch-norwegischen Theatermacher Vegard Vinge, Ida Müller und Trond Reinholdsten mit ihrem bis zu 12-stündigen Ibsen-Abend "John Gabriel Borkman" an. Da könne es zu extremen Konfrontationen zwischen Schauspielern und Zuschauern kommen, hat die neue Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer angekündigt. Als sie selbst eine der jedes Mal anders gestalteten Aufführungen gesehen habe, habe sie sich schon mal gefragt: "Ist das hier alles noch unter Kontrolle?"
Regisseur und Schauspieler Vinge pinkele sich immer wieder selbst in den Mund, sagt Büdenhölzer. Zuschauer- und Bühnenraum sind nicht mehr klar abgegrenzt. Das Publikum wird zum Mitmachen animiert - sollte zum Beispiel einmal Bänke aus dem Zuschauerraum herausreißen und in den Bühnenraum werfen. Kunst oder kindische Provokation? Die zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen der Saison hat eine Kritikerjury für das Theatertreffen ausgewählt. Noch nie in der Geschichte des Festivals habe es so viele so lange Stücke gegeben, sagt Büdenhölzer. Nicolas Stemanns Interpretation von Goethes "Faust I + II" (Thalia Theater Hamburg / Salzburger Festspiele) dauert acht Stunden 15 Minuten. Alvis Hermanis zeigt Tschechows "Platonov" (Burgtheater Wien) in einer Version von vier Stunden 45 Minuten. "Generell frage ich mich schon, ob die langen Inszenierungen auch eine Antwort der Theatermacher auf die Beschleunigung unserer Gesellschaft sind", sagt Büdenhölzer.