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Berlin Berlin: Der schöne Ort des Bösen am Wannsee

Von Andreas Montag 18.01.2006, 16:29

Berlin/MZ. - Am Donnerstag wird hier eine neue Dauerausstellung eröffnet.

Hier haben sie am 20. Januar 1942 ganze 90 Minuten lang beraten, die Techniker des Todes um den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, den Hallenser Reinhard Heydrich sowie Spitzenbeamte des Staatsapparates und hohe Funktionäre der NSDAP: Josef Bühler vom Amt des Generalgouverneurs in Krakau, Unterstaatssekretär Martin Luther vom Auswärtigen Amt, Ministerialdirektor Wilhelm Kritzinger aus der Reichskanzlei und Gestapo-Chef Heinrich Müller darunter.

Es gab nur einen Tagesordnungspunkt: die "Endlösung der Judenfrage": die Deportation und Ermordung der Juden. Adolf Eichmann führte Protokoll ("...werden die Juden in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird"). Danach wurde ein Frühstück eingenommen. Es wird reichlich und kräftig gewesen sein.

Der Tatort, die Villa Marlier am Wannsee, 1914 / 15 im Auftrag eines Fabrikanten im italienischen Stil errichtet und 1940 von der SS erworben, war von dem Architekten Paul Baumgarten entworfen

worden - wie auch das nahe gelegene Haus von Max Liebermann. Der, selbst jüdischer Herkunft, soll den

Berliner Fackelaufmarsch der neuen Machthaber 1933 mit dem bitteren Bonmot begrüßt haben: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte". Noch im gleichen Jahr belegten die Nazis den großen Maler mit Arbeitsverbot, 1935 ist er gestorben.

Erst 1992 konnte das Haus der Wannsee-Konferenz, eines der bedeutendsten Zeugnisse für die Verbrechen der NS-Zeit, als Gedenkstätte eröffnet werden. Jahrelang hatte sich der Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf vergeblich darum bemüht, das nach dem Krieg als Landschulheim genutzte Gebäude als Erinnerungs- und Bildungsort zu gestalten. Wie man hört, haben selbst recht milde formulierte Tafeln am Haus noch in den 70er Jahren Anlass für unmutiges Gegrummel gegeben: An die "umgekommenen jüdischen Mitmenschen" wird hier erinnert - auch dies gehört zur Geschichte der Wannsee-Villa.

Nun wird dort eine moderne Dauerausstellung präsentiert, die veränderten pädagogisch-didaktischen Ansprüchen auch mit audio-visuellen Mitteln Rechnung tragen soll und zudem verstärkt auch Dokumente berücksichtigt, die erst durch Öffnung osteuropäischer Archive zugänglich geworden sind.

Gleichsam vor den Wänden schwebend sind Tafeln und Bilder in einem System von Schienen beweglich angeordnet. In mehreren Abteilungen werden früher Fremdenhass, rassistische Vorurteile (eine 1913 in Berlin gezeigte Ausstellung "wilder Kongoweiber") und Antisemitismus ebenso belegt wie Zeugnisse der Integration von Juden in der Weimarer Republik und der Einsatz im Widerstand.

Belege der NS-Propaganda ("Trau keinem Fuchs auf grüner Heid' und keinem Jud' bei seinem Eid" ist in einem Kinderbuch aus dem Jahr 1936 gedichtet) werden konfrontiert mit den Schicksalen von vier jüdischen Opferfamilien. Vor allem anderen aber beeindruckt die Aura des Hauses selbst. Der schöne Ort des Bösen erinnert an das, was so gern vergessen wird: Der Holocaust ist nicht die Tat weniger Wahnsinniger gewesen, das Töten wurzelte breit im Land. Es hat viele Mittäter gebraucht. Und schweigende Mitwisser ohne Zahl.