1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Ben Becker: Ben Becker: Ein toller Typ mit Dornen

Ben Becker Ben Becker: Ein toller Typ mit Dornen

Von Steffen Könau 29.12.2006, 10:54

Halle/MZ. - Denn fünf Jahre sind für den Vielspieler aus Berlin, was für andere Leute ein Jahrhundert ist. Seit er Klaus Kinski wurde, indem er frühe Gedichte des Schauspiel-Manikers auf die Bühne brachte, hat der 42-Jährige eine ganze Fußballmannschaft an Charakterköpfen gespielt.

Becker sprach Jack London in "Der Seewolf", er las Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", inszenierte "Die Bibel" als "gesprochene Sinfonie", lieh dem Pinguin "Lovelace" im Kinoknüller "Happy Feet" seine Stimme, für das ZDF verkörperte er Martin Luther und für ein Hörbuch Berthold Brecht. Dazu gab es ein Friedrich-Schiller-Projekt und mit Xavier Naidoo zusammen eines zu Rilke. Ben Becker gründete eine Rockband und spielte mit ihr zwei Alben ein, er ging mit Udo Lindenberg auf Tour, machte den Pechvogel für Peter Maffays "Tabaluga" und fand noch Zeit, als Clown im Zirkus Roncalli, als Murks vom Murkxon in der Sesamstraße und als "Ein ganz gewöhnlicher Jude" in Oliver Hirschbiegels gleichnamigem Film vor der Kamera zu stehen.

"Arbeiten ist eben das, was ich am liebsten mache", sagt Becker selbst, schnauft und gesteht: "Allerdings war es zuletzt wirklich ein bisschen viel." Gerade kommt der Mann, dem der Ruf vorauseilt, er hänge am liebsten mit ein paar Kumpels an irgendeinem Tresen ab, aus Montenegro. "Dort habe ich mit Mario Adorf ,Die Rote Zora' gedreht, einen Kinderfilm, der nächstes Jahr ins Kino kommt."

Manchmal muss Ben Becker also selbst erst einmal überlegen, wo er gerade ist und wer er als nächstes sein wird. "Dass die Menschen mich anders sehen, kann ich mir aber gut erklären", sagt der Bruder der singenden Schauspiel-Elfe Meret. Wenn sein Tourbus irgendwo Station mache und "da zehn Wahnsinnige aussteigen oder wir morgens die erste Inspektion des Theaters im Schlafanzug vornehmen, dann gucken die Leute schon dumm aus der Wäsche."

Ein Bild, das täuscht. Denn eigentlich ist Ben Becker, Als Sohn des Schauspielerpaares Monika Hansen und Rolf Becker in Bremen geboren und als Stiefsohn des legendären Otto Sander aufgewachsen, ein überaus professioneller und disziplinierter Arbeiter. "Es macht mir einfach Spaß, sehr unterschiedliche Dinge zu tun", beschreibt Becker, der nebenher die Berliner Kneipe "Trompete" betreibt, "weil ich dabei Erwartungshaltungen brechen kann."

Eine Lebenshaltung, die der 42-Jährige schon als Jugendlicher pflegte, seit ihm seine Mutter eine Platte der englischen Punkband The Damned schenkte. "Vorher war ich Abba-Fan", sagt er, "aber das fand ich dann viel spannender." Damals drückt Ben Becker sich - stets mit einer weißen Maus in der Tasche - in der Berliner Punkszene herum, er begeistert sich für The Clash, die Sex Pistols und die Ramones. "Punk war damals nicht, was er heute ist", erklärt er, "das hatte nichts mit den biersaufenden Typen und ihren Hunden zu tun, die am Bahnhof rumlungern." Viel mehr sei es darum gegangen, "mit den Farben der Welt zu spielen" - "ein Spaß von Mittelklasse-Kids, die gesagt haben, fuck you und fuck meine Eltern."

Becker, Enkel der Komikerin Claire Schlichting, vom Großvater mit Tänzergenen und vom Onkel mit akrobatischem Talent ausgestattet, war mittendrin in der Bewegung, die "vor allem aus Dekadenz und Größenwahn" bestand. In der damaligen Enklave Westberlin, erinnert er sich, habe es haufenweise ausgeflippte Typen gegeben, die irgendwelche Kunst machen wollten. "Die meisten kamen von der Kunsthochschule - und da habe ich mir halt auch manchmal das Mikro geschnappt."

Vor dem großen Ruhm aber muss er sich trotzdem als Bühnenarbeiter in der Schaubühne durchschlagen. Bald nach der Schauspielausbildung aber wird Ben Becker als junges Talent entdeckt: Für "Landschaft mit Dornen" gibt es 1991 den Grimme-Preis in Silber, für den Polizeiruf-110-Krimi "Totes Gleis" folgt drei Jahre später derselbe Preis in Gold und für "Comedian Harmonists" schließlich auch noch die Goldene Kamera und die Ehrung als beliebtester Schauspieler.

Becker, der von sich selbst sagt, er denke in Farben, war nie bestrebt, der Publikumsliebling zu sein. Statt den einfachen Erfolg zu jagen, sucht Becker nach der Herausforderung. Mal spielt er populäre Rollen in Mainstream-Filmen wie "Tatort", dann wieder gibt er in "Santos" einen surrealen Superhelden. Darin ist er Klaus Kinski recht nahe, doch verwechselt werden möchte er nicht. Zwar bezeichnet er die rabiaten und teilweise drastischen Texte eigenen Musik-CDs als "ernsthafte Bekenntnisse meiner selbst". Doch darin eine Parallele zu Kinski zu sehen "würde ich so nicht stehen lassen können."

Die ganze Geschichte seiner angeblichen "Seelenverwandschaft zu Kinski" sei zwar oft geschrieben, aber nie wahr gewesen: "Kinski hat 1952 Texte geschrieben, die ich jetzt vorlese, ohne ihn gefragt zu haben", knurrt Ben Becker, "das ist auch schon alles."

Allein die Fernsicht zeigt zwei ähnliche Charakterköpfe - beide mit einem Hang zu harter Arbeit, beide Typen mit Dornen, die Helden wie Schiller und Brecht verehren, beide eigensinnig und unangepasst. Ben Becker aber hat geschafft, was Klaus Kinski nie gelungen ist: Er spielt die Bösewichter. Und wenn die Kamera ausgeht, legt er den Schalter um und ist wieder nett.