1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buchreihe "Behinderte Cartoons": "Behinderte Cartoons" von Phil Hubbe: Besuch beim Magdeburger Karikaturisten

Buchreihe "Behinderte Cartoons" "Behinderte Cartoons" von Phil Hubbe: Besuch beim Magdeburger Karikaturisten

Von Jan Schumann 30.06.2018, 15:00
Phil Hubbe in seinem Magdeburger Atelier. Täglich zeichnet er hier Comicszu Politik, Sport - und „Behinderte Cartoons“.
Phil Hubbe in seinem Magdeburger Atelier. Täglich zeichnet er hier Comicszu Politik, Sport - und „Behinderte Cartoons“. Jan Schumann

Magdeburg - Maradona! Diego Armando! Was ist denn eigentlich mit der Hand Gottes, dem Fußballkönig, der auf seine alten Tage jetzt wieder Stadiontribünen in Russland aufsucht und dort Wahnsinns-shows abliefert? Zwei Mittelfinger waren ja letztens auch dabei.

„Hm.“ Phil Hubbe sitzt im Sessel in seinem Atelier, denkt nach, Arme verschränkt. „Den kann man eigentlich gut zeichnen zur Zeit“, nuschelt er. „Er ist jetzt fett, hat ja auch immer solche Klunker dran.“ Hubbe wackelt mit den Fingern. „Es muss ja nicht gleich ein Joint sein, aber irgendwas müsste man da dranzeichnen.“ Moment, jetzt hat er’s! „Da müsste am besten immer eine Krankenschwester mitlaufen oder ein Krankenwagen daneben stehen.“

Genau. Das wäre Maradona in einer Karikatur von Phil Hubbe.

Fußball ist ja eh gerade aktuell, solange die WM in Russland läuft. Aber Phil Hubbe muss sich solche Gedanken täglich machen: Für die Fußball-Bibel „Kicker“ zeichnet er regelmäßig freche Karikaturen.

Löw mit geföhnter Mähne. Oder Magath früher - Hauptsache dicke Brille. Ein bisschen Bösartigkeit muss schon sein.

Buchreihe „Behinderte Cartoons“: Dauerbrenner von Phil Hubbe

Geht aber noch viel böser. Witze über Behinderte zum Beispiel, das verbietet sich doch! Könnte man meinen, hätte Hubbe nicht ausgerechnet die Buchreihe „Behinderte Cartoons“ zum Markenzeichen gemacht.

Seit 14 Jahren dürfen Leser heimlich kichern über Beinlose, Blinde, Burnout-Patienten. Da grüßt auch mal ein Indianer den Stammesältesten im Rollstuhl mit dem Spruch: „Howgh! Großer Häuptling ,Der-seine-Mokassins-schont‘!“ (Bücher bei Amazon kaufen)

Haha... Moment. Kann man das wirklich machen, Herr Hubbe?

Sein Atelier hat der 52-Jährige im Ex-Arbeiterviertel Magdeburg-Buckau, gleich neben seiner Wohnung. Sonnenlicht strahlt durch den Raum im Dachgeschoss, draußen reckt sich ein Kirchturm zwischen Häuserdächern. Drinnen: Strahlend weißes Zeichenpult, Becher mit griffbereiten Stiften und Pinseln. Und Regale, in denen sich Comicbücher aufreihen.

In den Schränken stecken Werke jahrelanger Arbeit: Politische Karikaturen, die er täglich für Zeitungen in der Bundesrepublik anfertigt, auch für die Mitteldeutsche Zeitung. Fußball-Motive für „Kicker“ oder auch den VfL Wolfsburg, dessen Stadionheft er mit Karikaturen versorgt. Und natürlich „Behinderte Cartoons“, die seit 2004 bestehende Reihe, deren siebter Band im Juli erscheint.

Ist also irgendwie erfolgreich, das Witzemachen über Benachteiligte. Damit stellt sich erst recht die Frage nach der Pietät.

„Satire darf alles, das muss nicht jeder gut finden“, sagt der Mann mit dem trockenen Humor, der so schnell spricht und die Worte so zusammenzieht. „Das Entscheidende ist, dass ich selbst Ahnung davon habe.“

Womit man bei Hubbes Biografie ist: Es ist zwar nicht zu sehen (und aufgrund seines Arbeitspensums auch nicht zu ahnen), aber der Zeichner leidet an Multipler Sklerose. Nach Schätzungen sind etwa 200.000 Menschen in Deutschland davon betroffen: Die Krankheit mit dem Kürzel MS verursacht Vernarbungen im Gehirn, kann so zu starken Einschränkungen und Schäden führen. Viele Patienten landen im Rollstuhl. Die Krankheit gilt trotz Forschung als nicht heilbar.

Phil Hubbe nimmt in seinen Karikaturen auch schwere Krankheiten aufs Korn

Die Diagnose bekam Hubbe, der mit bürgerlichem Namen Philipp heißt, zu DDR-Zeiten 1988. Damals zeichnete er schon, jobbte zugleich im Keramikwerk. „Das war körperliche Arbeit, da ging es um Waschbecken, Rohlinge, die geschleppt werden mussten. In einer Schicht gab’s gutes Geld.“

Doch irgendwann ließ er die Rohlinge fallen, bekam Probleme mit den Beinen. Als die Diagnose feststand, riet ihm der Arzt davon ab, weiter auf das Zeichnen zu setzen: Viele Patienten könnten bei fortschreitender Krankheit nicht mehr gehen, schlecht sehen, keinen Stift halten. Hubbe aber blieb dabei, hat es nicht bereut.

Das freilich ist auch das Verdienst der Ärzte: Heute nimmt er Tabletten, um die Vernarbungen im Gehirn zu verhindern, über Jahre spritzte er sich selbst. Wer wissen will, wie das so ist, wird in den Comics aufgeklärt.

Weil MS in den Achtzigern und Neunzigern kaum erforscht war, nahm er lange Zeit an einer Testreihe für ein Medikament teil. Keine Bedenken wegen eventueller Nebenwirkungen? „Da muss man schon abwägen“, sagt Hubbe. „Will man die Nebenwirkungen, oder will man die Krankheit loswerden?“ Klingt logisch, wenn er es so sagt.

Nun nimmt er seinerseits in Comics schwere Krankheiten aufs Korn, und das erfolgreich. Oft erzählt Hubbe die Geschichte eines MS-Patienten, der nach fünf Jahren das erste Mal wieder lachen konnte, als er eine Hubbe-Karikatur sah. „Das ist auch eine Art Inklusion“, sagt der Zeichner. „Wenn die Leute mit Krankheit auf diesem Wege wahrgenommen werden, gehören sie dazu.“

Klar gibt’s auch Ärger. In einer Karikatur über Autismus-Patienten zeigte er eine Selbsthilfegruppe, die einen knallbunten Clown eingeladen hat. Während dieser die Kranken anfeuert, „Lasst uns gemeinsam froh und lustig sein!“, zeigt ein Autist missmutig auf das Clowns-Kostüm: „Ihre Schuhe passen farblich nicht zusammen.“

Das brachte einige leibhaftige Autisten und Leser auf die Palme. Für Hubbe endete das Ganze mit der Einladung, doch mal in eine Selbsthilfegruppe zu kommen. „Es ist gut, wenn sich jemand aufregt“, sagt er. „Dann entsteht wenigstens eine Diskussion.“

So räumt der Magdeburger in seinen Werken mittlerweile auch einige selbstgesteckten Tabus von früher ab. „Mit tödlichen Krankheiten war ich von Anfang an vorsichtig. Krebs, ALS, auch Depression, da habe ich mich zurückgehalten.“

Doch die Reaktionen der Betroffenen auf die frechen Zeichnungen motivieren ihn, eher noch mutiger zu sein. „Ich bekomme mittlerweile fast Anfragen nach dem Motto: Wir haben das Buch gelesen, unsere Krankheit ist noch nicht drin.“ Witze über Burnout und Depression? Mittlerweile kein Problem.

››„Der siebte Sinn - Behinderte Cartoons 7“ erscheint am 25. Juli im Lappan-Verlag. Sie können die Bücher hier bei Amazon kaufen.