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Bauhaus-Debatte Bauhaus-Debatte: Mit vielerlei Maß

Von Christian Eger 21.11.2013, 06:32
Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus
Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Sebastian/Archiv Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Franziska Bollerey hat vermutlich die längste Anfahrt. Morgen reist die Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der Stiftung Bauhaus vom holländischen Delft aus nach Dessau. Seit Wochen drängt die Architektur- und Städtebau-Historikerin darauf, dass es vor der Entscheidung der Direktoren-Personalie ein Gespräch mit dem Beirat gebe, zu dem der Stiftungsrat laut Satzung verpflichtet ist.

Bislang gab es aber nur das: ein halbstündiges Telefonat mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD). Was ist dabei herausgekommen? „Ich bin nicht viel weiser geworden“, sagt Franziska Bollerey der MZ. „Die Argumente bezogen sich nicht auf inhaltliche Fragen der Arbeit von Philipp Oswalt, sondern auf Verhaltensfragen. Der Eindruck ist deutlich, dass beide eine Neuausschreibung wollen.“ Wurde ein Grund genannt? „Nein“, sagt Bollerey. „Es wurde immer nur von Fehlverhalten auf dem politischen Parkett geredet.“ Immerhin: Es geht also um ein Fehlverhalten, das nicht hinnehmbar sei. Und das nicht irgendwo, sondern im politischen Geschäft.

Freihändig oder verlässlich?

Zu diesem gehört inzwischen auch die Debatte zur Sache, in der vorsätzlich einiges von den Füßen auf den Kopf gestellt wird. Eine Debatte, in der es nicht mehr allein um Philipp Oswalt geht, der morgen Gefahr läuft, im Zuge der Stiftungsratssitzung sein Amt zu verlieren. Es geht auch um die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der kulturpolitischen Situation im Land.

Fragen wie diese sorgen für Verwirrung: Gibt es ein allgemein gültiges Vertrags-Reglement für Stiftungsdirektoren - oder kann das je nach tagespolitischer Lage freihändig beurteilt werden? Was ist dran an den von der Regierungskoalition vorgetragenen Begründungen, um eine Neuausschreibung der Bauhaus-Direktorenstelle zu veranlassen? Schließlich: Wo ist der Auslöser des Regierungs-Wunsches zu suchen, die Stelle des Bauhausdirektors neu zu besetzen?

Wer in Sachsen-Anhalt das Amt des Direktors einer vom Land mitfinanzierten Stiftung antrat, konnte bislang davon ausgehen, dass ihm nach der ersten Amtszeit eine zweite sozusagen gratis ermöglicht wird. Es sei denn, es geschieht etwas Gravierendes. Diese Regelung macht auch Sinn: Sie erleichtert die Zusage von interessanten Fachkräften. Und denen, eigene Aktivitäten nicht nur anzustoßen, sondern zu Ergebnissen zu führen.

Der Architekt Walter Gropius (1883-1969) gründete das Bauhaus 1919 in Weimar als Hochschule für Gestaltung. Die Leitidee: Jedes Produkt sollte eine Funktion erfüllen, preiswert und schön sein. Dies wurde Grundlage modernen Industriedesigns und der Architektur.

Das Bauhaus zog später mangels politischer Unterstützung nach Dessau und schließlich nach Berlin. 1933 wurde es auf Druck der Nazis geschlossen.

Heute wird in allen drei Städten das Bauhaus-Erbe gepflegt. Dafür gibt es die Stiftung Bauhaus Dessau, das Berliner Bauhausarchiv und die Klassik-Stiftung Weimar mit dem Bauhaus-Museum. Seit 1996 gehören die Bauhausstätten in Weimar und Dessau zum Unesco-Weltkulturerbe.

Seit 1996 gehören die Bauhausstätten in Weimar und Dessau zum Unesco-Weltkulturerbe.

Zu den bekannten Bauhauskünstlern zählen Georg Muche (1895-1987), Oskar Schlemmer (1888-1943), Lyonel Feininger (1871-1956), Paul Klee (1879-1940), Wassily Kandinsky (1866-1944) und László Moholy-Nagy (1895-1946). (dpa)

Genau das sieht auch ein Beschluss des Kulturausschusses des Landtages von 2007 vor, der in der jüngsten Landtagsdebatte auf einmal dem Vergessen entrissen wurde. Der seinerzeit „einstimmig“ gefasste Beschluss „forderte“ das Kultusministerium auf, „zukünftig bei anstehenden zweiten Wiederbesetzungen (nach zehn Jahren) von Leitungspositionen in Gremien entsprechend § 8 Abs. 2 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt eine Ausschreibung der entsprechenden Stelle vornehmen.“

Eine Regelung, die Oswalt stützen müsste: Denn es geht um eine erste!, nicht zweite Wiederbesetzung. Aber die Regierungsparteien wenden diesen Beschluss gegen Oswalt - mit einer abenteuerlichen Begründung. Man wolle jetzt nicht einfach verlängern, sondern neu ausschreiben, weil Oswalts Anschlussvertrag im Frühjahr 2019 auslaufen würde: zu Beginn des Jubeljahres 100 Jahre Bauhaus. Zu diesem Zeitpunkt über eine Stelle zu entscheiden, gilt der Regierung als völlig undenkbar. Aber warum eigentlich? Erstens, könnte auch Oswalt 2019 sich wieder erfolgreich ins Amt bewerben: für erneut zwei folgende Amtszeiten. Zweitens wäre die Ausschreibung von Frühjahr 2018 an so zu organisieren, dass gar keine Vakanz entsteht. Drittens wäre eine neue gute Person auch im Festjahr eine gute Person. Oswalt selbst hatte das bewiesen. Er kam 2009 zum 90. Bauhaus-Geburtstag, wo er aus einem vorgefundenen Fast-Nichts etwas Erstaunliches machte. Zudem: Alle Maßnahmen, die das Jubiläum betreffen, sind 2019 entschieden und müssen nur noch durchgeführt, besser: durchgefeiert, werden.

Satzungen sehr unterschiedlich

Die Heftigkeit, mit der ein Beschluss von 2007 plötzlich politisch instrumentalisiert wird, widerspricht der Lässigkeit, mit der man diesen in der Stiftungspraxis handhabt. Nämlich: gar nicht. Keine Regierung hat diese Regelung seit 2007 in eine Gesetzesform gebracht. Allein in der Stiftung Luthergedenkstätten wurde die Empfehlung in die Satzung übernommen. Das Kultusministerium teilt mit: „Warum frühere Hausleitungen nicht aktiv geworden sind, entzieht sich unserer Kenntnis.“

Die Satzungen der vom Land mitgetragenen Stiftungen fallen denn auch höchst unterschiedlich aus, manche enthalten gar keine Aussagen zum Direktor. So leitet seit 1996 Boje Schmuhl, der ein „beurlaubter Beamter des Landes“ ist, die Stiftung Dome und Schlösser. Eine Regelung zur Amtszeit und Wiederberufung enthält die Satzung nicht, teilt das Kultusministerium mit. Schmuhl, Jahrgang 1950, ist „unbefristet“ auf dem Posten, und geht wahrscheinlich 2015 in Pension. Kulturstiftung Dessau-Wörlitz: Seit 1997 ist Thomas Weiss Direktor der Stiftung - unbefristet, in der Satzung gibt es keine Regelung zum Vertrag, heißt es aus Magdeburg. Ende 2016, Anfang 2017 wird Weiss altersgerecht aus dem Amt scheiden. Die Stiftung Luthergedenkstätten leitet Stefan Rhein seit 1998. Er musste sich nach zehn Jahren, also zwei Amtszeiten, 2008 einer Neuausschreibung stellen, die er für sich entschied; sein jetziger Vertrag läuft bis Ende 2017. Eine Variante, die man für Oswalt gar nicht in Betracht zieht. Seit 2003 leitet Thomas Müller-Bahlke die Franckeschen Stiftungen, seine aktuelle zweite Amtszeit läuft bis Mai 2014. Manon Bursian führt seit 2005 die Kunststiftung, ihre zweite Amtszeit begann 2010 und läuft bis 2015. Der künftige Direktor der Moritzburg, Thomas Bauer-Friedrich, wird 2014 für vier Jahre berufen, „eine Verlängerung ist möglich.“ Und in dem Fall: „Die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist angestrebt.“

Eiertanz ohne Ende

Alles in allem: unbefristete Stellen, lässige Satzungen, umstandslose Vertragsverlängerungen. Selbstverständlich: „Mit der Stiftungsstrukturreform sollen die Satzungsänderungen - da wo nötig - angegangen werden“, teilt das Kultusministerium mit. Heute aber sieht es so aus: Es wird nicht nur mit zweierlei, sondern vielerlei Maß gemessen. Im Klartext: Oswalt ist Direktor der falschen Stiftung.

Auch die Satzung des Bauhauses spricht nicht gegen erneute Zwei-Amtszeiten-Durchläufe für einen Direktor. Im Wortlaut: „Mit dem Direktor wird ein Arbeitsvertrag auf eine Dauer von fünf Jahren abgeschlossen. Ein erneuter Arbeitsvertragsabschluss ist möglich.“ Heißt: „ein“ Abschluss ein „einziger“? Das Kultusministerium hat das rechtlich prüfen lassen: „Es ist möglich, den Dienstvertrag einmalig um fünf Jahre zu verlängern. Dies schließt nicht aus, dass der Stelleninhaber sich auch nach Ablauf von 5 oder 10 Jahren erneut auf die Stelle bewirbt.“ Im Klartext: Es gibt kein Satzungsproblem.

Aber es gibt den gern kolportierten Vorwurf, Oswalt hätte im Alleingang das Bauhausarchiv Berlin verklagt. Letzte Woche fragte die Bündnisgrüne Cornelia Lüddemann im Landtag den Kultusminister direkt: Hat Oswalt - oder hat er nicht? Dorgerloh blieb vage: „Ob es zu einer Klage tatsächlich gekommen ist, das müsste ich noch einmal nachprüfen, auf jeden Fall gab es das Ansinnen sich rechtlich auseinanderzusetzen.“ Und was ist beim Prüfen herausgekommen? Hat Oswalt geklagt? Das Kultusministerium antwortet: „Mitglieder des Stiftungsrates haben sich dafür eingesetzt, dass gegen den Partner im geplanten Bauhausverbund kein Rechtsweg beschritten wird, obwohl bereits Rechtsgutachten in Auftrag gegeben waren.“ Eine etwas umständliche Erklärung. Im Klartext: Es gab keine Klage.

Was gibt es stattdessen? Einen Eiertanz, der sich vor Klartext drückt. Vor der Erklärung, warum sich Stephan Dorgerloh von Philipp Oswalt trennen will. Um diese Erklärung wird der Minister nicht herumkommen. Denn die kann man auch so ausdrücken, dass sie die Akteure nicht beschädigt, aber trotzdem nachvollziehbar ist.

Stiftungsdirektorenrunde im Schloss Großkühnau im März 2013: Kultusminister Stephan Dorgerloh, die Stiftungs-Chefs Thomas Weiss, Thomas Müller-Bahlke und Boje Schmuhl, im Hintergrund Martin Hanusch, Sprecher des Kultusministeriums (von links).
Stiftungsdirektorenrunde im Schloss Großkühnau im März 2013: Kultusminister Stephan Dorgerloh, die Stiftungs-Chefs Thomas Weiss, Thomas Müller-Bahlke und Boje Schmuhl, im Hintergrund Martin Hanusch, Sprecher des Kultusministeriums (von links).
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