Ballett in der Oper Halle Ballett in der Oper Halle: Hochzeiten und Todesfälle
Halle/MZ. - «Schlafes Bruder» ist ein seltsames, dunkel funkelndes Künstler-Märchen. Es erzählt von dem Musiker Johann Elias Alder, "der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen". Seit ihrem ersten Erscheinen vor zwölf Jahren führte die Geschichte zudem zahlreiche Nach-Erzähler an die Grenzen des Könnens und wurde auch ihrem Verfasser Robert Schneider zum nie wieder erreichten Maßstab. Ihr eigener Ruhm aber ist dabei immer weiter gewachsen, bis der Text hinter dem Zauber des Titels fast verschwunden war.
Nach Joseph Vilsmaiers Verfilmung und Herbert Willis Oper, nach Versuchen im Figuren- und im Tanztheater nimmt Ralf Rossa am Opernhaus Halle nun neuerlichen Anlauf, um die ursprüngliche Erzählung in ein Ballett zu übersetzen. Dass ihm dies auf erstaunliche Weise gelingt, liegt vor allem am musikalischen Material.
In den Kompositionen des Serbokroaten Goran Bregovic nämlich findet er sinnliche und geistliche Stücke, die ihre Tauglichkeit bereits im Namen seines Ensembles nachweisen: "The Wedding and Funeral Band" liefert Lieder, die sich für Hochzeiten wie für Beerdigungen eignen. Genau darum geht es in "Schlafes Bruder" - auch wenn die Geschichte natürlich mit einer Geburt beginnen muss. Rossa zeigt diese einsame Erfahrung als gemeinsames Ereignis, bei dem die Frauen des Bergdorfs eine ganze männliche Generation in die Welt setzen. Nur bei Agathe dauern die Wehen länger - und kündigen so bereits den Charakter eines Sohnes an, der zur falschen Zeit am falschen Ort erscheinen muss. Hier wird er früh sein Talent entdecken, das ihm das Leben eher schwerer als leichter macht. Und hier wird er später zu Grunde gehen, weil er nach Höchstem strebt.
Der Kreißsaal zwischen rohen Holz-Jalousetten ist verstörend, weil dieses Bild eher an den wilden Instinkt als an das kultivierte Gefühl rührt - und damit eine Gefahr zeigt, die auch dem Roman eingeschrieben ist.
Doch während Schneider die Mundart der Erzählung künstlich überhöht, findet Rossa das nötige Gegengewicht im Volkstheater: Er scheut weder vor derben Scherzen noch vor groben Gesten zurück, mit denen die Dörfler den Weg seines Helden begleiten und behindern. Und eben darum entspricht die Entdeckung des eigenen Körpers hier dem Gespür für die Musik, mit dem sich Johann Elias im Buch von seinen Mitmenschen unterscheidet.
Michal Sedlacek setzt diesen Helden scheinbar schutzlos dem eigenen Tanz aus: Seine Hände geißeln den Leib, seine Glieder werden von der Musik herumgeworfen und suchen vergeblich nach ihrer Ordnung - bis sie in den Freunden Peter (Yann Revazov) und Elsbeth (Antje Fehér) ein ebenbürtiges Gegenüber finden.
Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich die Lust an der grotesken Bewegung Besitz von diesen drei bravourösen Solisten ergreift. Und es ist nicht minder erschütternd, wie grausam sie sich in den scharfen und schnellen Karikaturen der Dorfjugend spiegelt. Dass Rossa ein Meister solcher berauschenden Attacken ist, hat er in seinen halleschen Choreografien vielfach bewiesen. In Bregovics Musik aber findet er bislang nicht dagewesene Anlässe für die Raserei der Liebe wie der Gewalt, die er selbst seiner athletischen Compagnie nur über kurze Distanz zumuten kann.
Dass er die Atmosphäre damit in eine Höhe treibt, die das gelähmte Verstummen im Tod nur um so schmerzlicher macht, ist sein Gewinn. Und dass er am Ende dieses erdenschweren Stückes von seinem Ensemble statt Blumen eine Stiege Gemüse überreicht bekam, war ebenso verdient wie der begeisterte Applaus des Premieren-Publikums.
Nächste Vorstellungen: 2. und 5. Mai, jeweils 19.30 Uhr