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Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum: In der Vergangenheit von Leipzig graben

Von Kai Agthe 10.07.2015, 05:41
Blick in die Ausstellung, die über Leipzigs Geschichte vom 11. bis zum 15. Jahrhundert informiert.
Blick in die Ausstellung, die über Leipzigs Geschichte vom 11. bis zum 15. Jahrhundert informiert. Andreas Stedtler Lizenz

Leipzig - Es ist einer dieser seltenen Momente, die man bei einem Ausstellungsbesuch erleben kann: Noch bevor man einen Text gelesen und ein Exponat betrachtet hat, überwältigt die Schau den Betrachter als Ganzes: durch ihre Architektur. Dieses Gefühl kann haben, wer die Ausstellung „1015 – Leipzig von Anfang an“ betritt, die noch bis Ende Oktober im Stadtgeschichtlichen Museum zu sehen ist. Hier werden die ersten Jahrhunderte der Leipziger Geschichte ebenso erfrischend wie großzügig in Szene gesetzt.

Die Ausstellungsbauten sind nur in den Farben Weiß, Rot und Schwarz gehalten, und die meisten Vitrinen für die Objekte hat man in diese integriert. Die Begleittexte sind kurz und dennoch sehr informativ, die Grafiken und Illustrationen anschaulich und die Exponate zwar nicht reich an Zahl, aber mit viel Übersicht ausgewählt.

„1015 – Leipzig von Anfang an“ ist einer von zahlreichen Beiträgen, die die Messestadt ihren Bewohnern und Gästen anlässlich ihres 1.000. Stadtjubiläums geschenkt hat. Dass das im Jahr 2015 gefeiert werden kann, ist, wie am Beginn des Rundgangs zu erfahren ist, Thietmar von Merseburg (975-1018) zu verdanken. Der wurde im Jahr 1009 zum Bischof von Merseburg geweiht. In seiner Eigenschaft als Historiker des frühen 11. Jahrhunderts hat er Leipzig erstmals schriftlich erwähnt: Eher beiläufig notiert er in seiner Chronik – die hier in einer großformatigen Abschrift aus dem 14. Jahrhundert gezeigt wird – im Zusammenhang mit einem Ereignis im Dezember 1015 eine „urbs Libzi“, eine Burg Leipzig.

Grabungsfunde als Zeugen

Wie so oft handelt es sich bei diesem Datum um die Ersterwähnung. Wann der Ort gegründet wurde, aus dem die heute pulsierende Großstadt hervorging, ist unbekannt. Dass die Ansiedlung deutlich älter sein muss, zeigen Befunde, die zwischen 1990 und 2015 bei archäologischen Ausgrabungen im Stadtzentrum der Messestadt gemacht wurden.

Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind nicht nur höchst aufschlussreich, sondern werden in der vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig und dem Landesamt für Archäologie Sachsen gemeinsam gestalteten Schau publikumswirksam aufbereitet. Die frühesten Siedlungsspuren konnten in der heutigen Hainstraße, gegenüber des „Blechbüchse“ genannten Kaufhauses, entdeckt werden. Hier zeigte sich auch, dass das von Thietmar erwähnte „Libzi“ deutlich größer war, als die Archäologen bislang angenommen hatten.

Mag das vor allem Spezialisten interessieren, so ist die Ausstellung dennoch ein Fall für interessierte Laien: Denn die Funde der Ausgrabungen geben auch einen faszinierenden Einblick in die Lebenswelt der Leipziger Bürger zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert – also aus jenen Jahrhunderten, in denen sich die Pleiße-Stadt zu einem bedeutenden Zentrum des Handwerks, Handels und Wissens entwickelte.

Spannend sind vor allem die alltagsgeschichtlichen Aspekte, die hier aufbereitet werden: Wie etwa die Schlussfolgerungen, die sich durch die Auswertung des Inhalts der Abfallgrube einer Töpferei - die sich vor Jahrhunderten in der Petersvorstadt (der Gegend um den heutigen Wilhelm-Leuschner-Platz) befand - ziehen lassen.

Ebenso packend sind die Erkenntnisse, die Mediziner aus den menschlichen Überresten gewinnen konnten, die bei Ausgrabungen auf dem Thomaskirchhof zu Tage traten: Krankheiten, Mangelerscheinungen und überstandene Unfälle – all das geben die Knochen preis. Von den körperlichen Gebrechen der Leipziger im Mittelalter weiß man also viel. Doch welches Deutsch vor 850 Jahren in Leipzig gesprochen wurde, ist bis heute nicht bekannt. Was die Ausstellung in gelungener inhaltlicher Verdichtung und in so edler Gestaltung mitteilt, kann mit Hilfe des ebenso vorzüglich gestalteten und reich illustrierten Begleitbands vertieft werden.

Kabinettschau zur Nikolaikirche

Parallel zu der Schau wird im Studio des Stadtgeschichtlichen Museums auch noch an 850 Jahre Niko-laikirche erinnert: Sie ist das älteste erhaltene Bauwerk in Leipzigs Zentrum und neben St. Thomas eine der beiden Hauptkirchen der Stadt. In der Nikolaikirche predigte Luther 1539, und gut zwei Jahrhunderte später ging Johannes Sebastian Bach - der als Thomaskantor auch für die Kirchenmusik in St. Nikolai zuständig war - hier ein und aus. Freilich sah der Innenraum seinerzeit anders aus als heute. Die markanten, weil hoch aufragenden und als Palmbäume gestalteten Säulen wurden erst beim großen Umbau in den Jahren zwischen 1785 und 1797 eingefügt.

St. Nikolai ist auch der Ort, an dem jene Montagsgebete ihren Ausgang nahmen, die den Anfang der Wende in der DDR markierten. Verbunden sind sie mit Christian Führer (1943-2014), der von 1980 bis 2008 Pfarrer der Nikolaikirche war. Den Ereignissen des Herbstes 1989 hat auch Erich Loest (1926-2013) mit seinem Roman „Nikolaikirche“ von 1995 ein bleibendes Denkmal gesetzt. (mz)

„1015 – Leipzig von Anfang an“ (bis zum 25. Oktober, Katalog 25 Euro) und „St. Nikolai zu Leipzig – 850 Jahre Kirche in der Stadt“ (bis zum 19. Juli): Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Böttchergässchen 3, Di-So 10-18 Uhr

Schönes Detail: Eine Ofenkachel (um 1450) mit einem Christuskopf, die bei Ausgrabungen in der Leipziger Petersstraße gefunden wurde.
Schönes Detail: Eine Ofenkachel (um 1450) mit einem Christuskopf, die bei Ausgrabungen in der Leipziger Petersstraße gefunden wurde.
Andreas Stedtler Lizenz