Ausstellung erinnert an Filmpionierin Lotte Reiniger
Tübingen/dpa. - Ihr erster Film «Die Abenteuer des Prinzen Achmed» (1926) war der weltweit erste abendfüllende Trickfilm. Und dennoch ist die Filmpionierin Lotte Reiniger (1899-1981) in Deutschland nicht so bekannt, wie es ihrer Bedeutung angemessen wäre.
Das meinen zumindest die Experten des Stadtmuseums Tübingen, das vom 7. März an in einer neuen Ausstellung Einblicke in das Leben und die Kunst der Cineastin gibt. Zu sehen sein werden dann auch zahlreiche neue Ausstellungsstücke, die das Museum Ende 2007 aus einem privaten Nachlass gekauft hat.
Reinigers Filme entstanden aus Scherenschnitten - eine mühsame Angelegenheit. Mit Liebe zum Detail hat sie die Figuren ausgeschnitten und mit Drahtschlaufen die Gliedmaßen an den Körpern ihrer Trickfilmfiguren befestigt. Ebenfalls mit der Schere schuf sie anschließend die Kulissen.
Es folgte Millimeterarbeit: Bei der eigentlichen Filmproduktion wurden die Figuren vor den Hintergründen angeordnet und fotografiert. 24 Aufnahmen pro Sekunde sind nötig, damit aus einzelnen Bildern ein Film entstehen kann, wie die Kunsthistorikerin Evamarie Blattner erläutert. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Stadtmuseums für die Reiniger-Ausstellung verantwortlich. «Der Aufwand war immens», betont Blattner. Rund 100 000 Bilder waren für «Prinz Achmed» nötig.
Einen prominenten Zeitgenossen Reinigers beeindruckte diese Arbeit: In einem Leserbrief im Berliner Börsenkurier von 1928 lobte Bertolt Brecht Reinigers «großes Talent» und ihren «fast asiatischen Fleiß». Reiniger und ihr Mann Karl Koch hatten den Schriftsteller und Regisseur während der Produktion von «Prinz Achmed» kennengelernt.
Schon vor dem ersten Scherenschnitt scheute die Künstlerin keine Mühen. Ihre Vorbereitungen beschrieb sie in ihrem Buch über Schattenspielkunst so: «Die Konstruktion und Bewegung einer Tierfigur erfordern ein gründliches Studium. Man muss (..) wissen, wie das Tier sich bewegt und den Rhythmus seiner Bewegungen erfassen, ihn im Geist festhalten und ein Gefühl dafür entwickeln.» Weiter schreibt sie: «Ich erinnere mich gut, wie ich einmal im Zoo angestarrt wurde, als ich vor einem Käfig das Tier nachzuahmen versuchte und auch an das Gelächter meines Mannes, als er mich zu Hause auf allen Vieren auf dem Fußboden antraf, angestrengt bemüht, das Gefühl des Tieres in meine eigenen Füße zu übertragen.»
Diese Selbstironie sei typisch für Reiniger, berichtet Blattner. «Sie war eine unglaublich witzige Frau.» Weitere Aufschlüsse zum Charakter der Künstlerin geben auch die neuen Stücke in der Tübinger Sammlung, wie der stellvertretende Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Martin Hoernes, meint. Seine Organisation hat den Kauf von Drehbüchern, Scherenschnitten und Briefen unterstützt. Insgesamt geht es um 600 Stücke aus dem Nachlass des Berliner Rechtsanwalts Heinz Berg, einem Freund Reinigers.
Das Stadtmuseum Tübingen verfügt außerdem über den Nachlass Reinigers. Die Künstlerin hatte die letzten Monate ihres Lebens bei einer befreundeten Familie in der Gemeinde Dettenhausen bei Tübingen verbracht und den Freunden aufgetragen, ihren Nachlass an ein Museum zu geben. Die in Berlin geborene Künstlerin hatte zuvor auch in London, Paris und Rom gelebt. Vor allem im angelsächsischen Raum ist die Deutsche als Pionierin des Films ein Begriff. Vielleicht wird ihr Name bald auch in ihrem Heimatland bekannter - die Tübinger Ausstellung soll einen Beitrag dazu leisten.