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ARD-Talkshow ARD-Talkshow: Nach vier Jahren beendet Günther Jauch seine Geisterfahrt

Von Frank Junghänel 27.11.2015, 16:59

Berlin - Als letzter Gast kommt Wolfgang Schäuble. Wenn er sich am Sonntagabend im Schöneberger Gasometer zur Sendung „Günther Jauch“ einfindet, setzt er den Schlusspunkt einer vierjährigen Geisterfahrt des Unterhaltungsjournalisten Günther Jauch durch die Welt der Politik. Vielleicht wird es ja sogar ein Höhepunkt. Der CDU-Senior kann in diesen Tagen ein interessanter Gesprächspartner sein. Und Jauch kann sich auf nur einen Gast konzentrieren, er muss keine Runde streitender Diskutanten moderieren, woran er während seiner 156 Sendungen oft gescheitert ist.

Schon in seiner ersten Sendung fiel ein entscheidendes Defizit dieses Gastgebers der noch immer wichtigsten politischen Talkshow im deutschen Fernsehen auf: Schlechte Vorbereitung und mangelndes Interesse an politischen Zusammenhängen.

Dass die Zweifel an Jauch bis weit in die ARD reichten, zeigt eine Analyse des Programmbeirats aus dem Frühjahr 2012: „Er hakt selten nach, setzt sich sogar teilweise über die Antworten seiner Gäste hinweg, vertritt eine klar erkennbare eigene Meinung, folgt strikt seinem vorgefertigten Konzept, hakt eine Frage nach der anderen ab, polarisiert, schürt mit seinen Suggestivfragen teilweise Politikverdrossenheit und kommt damit der Verpflichtung zur journalistischen Sorgfalt nicht nach.“ Es ist eigentlich erstaunlich, dass die ARD einen Mitarbeiter mit einem solchen Zeugnis noch drei weitere Jahre werkeln ließen.

Tagesschau, Tatort, Talkshow

Das Thema Günther Jauch und die ARD hat freilich eine längere Geschichte als die letzten Jahre. Schon 2007 wollte das Erste den populären Quizmaster der RTL-Sendung „Wer wird Millionär?“ abwerben, damals als Nachfolger von Sabine Christiansen, die das Format am Sonntagabend zur wichtigsten Politiksendung der Woche gemacht hatte. Doch das Projekt scheiterte, Jauch beklagte sich über zu viel Einflussnahme der „Gremlins“ in den Gremien.

Jauch reizte der Sendeplatz am Sonntagabend nach dem „Tatort“ jedoch weiterhin. Denn trotz aller Veränderungen der TV-Gewohnheiten ist der sonntägliche Dreiklang Tagesschau, Tatort, Talkshow noch immer eine Garantie dafür, dass Millionen dranbleiben. Da ist es nicht schwer, gute Quoten einzufahren, zumal mit der Prominenz eines Günther Jauch.

Selbstverständlich war das auch der Grund, weshalb die ARD so sehr an diesem Mann interessiert war – wegen seiner Qualitäten als Quotenbringer, nicht wegen seiner fraglichen Qualitäten als politischer Kopf. Wenn er den in seinem von Berlinern zum Jauchometer umbenannten Sendestudio den Kopf ein wenig schief legte und besorgt-naiv die nächste Frage stellte, klang das oft eher nach Der Sendung mit der Maus“ als nach einer Informationssendung für Erwachsene. Das Quotenkonzept aber ist dennoch aufgegangen. „Mit durchschnittlich 4,62 Millionen Zuschauern und einem durchschnittlichen Marktanteil von 16,2 Prozent ist »Günther Jauch« der erfolgreichste Talk, den das Erste jemals am Sonntagabend ausgestrahlt hat“, teilte seine Produktionsfirma zum Abschluss ihrer Arbeit mit.

„Wer wird Millionär?“ bleibt

Zahlen sind das eine. Doch Erfolg sieht anders aus. Jauch fühlte sich stets als Diener des Publikums. Gescheitert ist er an sich selbst. An seinem Ehrgeiz, noch einmal etwas journalistisch Sinnvolles zu machen. Mit der heiteren Raterei „Wer wird Millionär?“ und einer Spielshow hier und da bei RTL wird Jauch weiterhin im Fernsehen präsent sein, doch seine journalistische Ambition kann er begraben. Und die hat er immer gehabt, daraus machte er nie ein Hehl. Als ihn der Publizist Günter Gaus einmal fragte, was sein Beruf sei, antwortete er: „Journalist“.

Jauch hatte sein Jurastudium in Berlin 1975 abgebrochen, um an die Journalistenschule in München zu wechseln. Bald wurde er beim Bayerischen Rundfunk für das Radio entdeckt. Er hatte dann auch eine tägliche Sendung, die B3-Radioshow, in der er Gesprächspartner aus der Politik zu aktuellen Themen befragte. Fortan war er hin- und hergerissen zwischen Anspruch und Klamauk, „E“ und „U“, wie es der deutsche Kulturbetrieb so humorlos trennt. Bei ihm kam sogar noch „I“ hinzu, Information. Mit 29 Jahren wechselte Günther Jauch zum Fernsehen. In der Jugendsendung „Live aus dem Alabama“ durfte er seine Talente als Kombinierer der verschiedenen Genres schon mal zur Geltung bringen. Umrahmt von einem Popkonzert gab es Diskussionsrunden, die sich durchaus anspruchsvollen Themen widmeten.

Mit leerem Blick durch die Lesebrille

So nah am Menschen sich Jauch in seinen Sendungen gibt, so sehr auf Distanz bedacht ist er in Wirklichkeit. Was für eine Fernsehfigur kein schlechter Zug sein muss. Die Rolle des Unterhaltungsonkels, für die ihn viele Zuschauer ja nach wie vor zu Recht lieben, ist eben genau das: eine Rolle. Als eine Art Schauspieler ist er dann auch in seine sonntägliche Talkshow gestartet. Das war vielleicht sein größter Irrtum. Er dachte, er könnte den Talkshow-Moderator wie in einem Film von Helmut Dietl spielen. Mit sparsamen Gesten, die Karteikarte als Dauerrequisit. Missbrauch, Steuern, Sterbehilfe.

Ein besorgtes Gesicht pro Abend hätte gereicht. Doch bald wuchs dem Darsteller die Weltgeschichte über den Kopf. Pegida, Islam Terror, da fehlten ihm die schauspielerischen Mittel. Mit leerem Blick durch die Lesebrille versuchte er, die Themen halbwegs textsicher wegzumoderieren. Auch das klappte dann irgendwann nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Als er auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise den damaligen Finanzminister des Landes, Yanis Varoufakis, als „italienischen Bruce Willis“ vorstellte und im Laufe des Abends dann noch jenes falsch kommentierte Video mit dem Stinkefinger zeigte, das den griechischen Politiker in ein schlechtes Licht rückte, musste man spätestens an der Seriosität des Sonntagsplauderers Jauch zweifeln.

Rechtspopulist Höcke packte Deutschlandfähnchen aus

Szenen wie diese wiederholten sich. Im April ließ sich Jauch von dem Aktivisten Harald Höppner verdutzen, als der am Ende der Sendung aufsprang und um eine Schweigeminute für die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge bat. Jauch stand ungeduldig daneben. Man merkte, wie unangenehm ihm die Situation war. Wie unsouverän er reagierte. Schlimmer wurde es nur noch, als ihm nicht mal dann etwas einfiel, als der Rechtspopulist Björn Höcke sein Deutschlandfähnchen auspackte. Die Kritik darauf war verheerend. Aber Jauch hatte da ja längst schon seinen Abschied eingereicht. Er wollte es wohl bloß noch hinter sich bringen. Zum Schluss sah es so aus, als sei der neugierige Journalist, als der er sich einmal gesehen hat, nicht mal mehr auf seine eigene Sendung neugierig. Seit 30 Jahren amüsiert Jauch die Leute. Jetzt ist etwas passiert, womit er selbst wahrscheinlich nicht gerechnet hat. Er wurde zur traurigen Figur.