Applaus für Hans Werner Henze und Oper «Phaedra»
Berlin/dpa. - Hans Werner Henze, der «Fachmann für Angst und Leiden», wie er sich einmal selbst nannte, blickt auf sein Werk: Als sich der Komponist in der Berliner Staatsoper erhebt, brandet Applaus im Saal auf.
Gerührt nimmt Henze den Beifall für sich und seine Oper «Phaedra» entgegen, an der er in den vergangenen, von Krankheit und Todesnähe gezeichneten Jahren gearbeitet hat. Der 81-Jährige hatte sich noch einmal aus Marino in der Nähe von Rom auf den Weg nach Berlin gemacht. Hier hat Henze schon große Triumphe gefeiert. Die Uraufführung seiner 14. Oper wird wieder ein bewegender Abend, auch wenn sich Peter Mussbachs Inszenierung von der Wucht der Musik kaum anstecken lässt.
«Der Westfale, der in die Welt zog» hat sich immer wieder mit Mythen beschäftigt, von Che Guevara und dem Kommunismus bis zu «Venus» und «Phaedra». In seiner «Konzertoper» für fünf Sänger geht es um Liebe, Eifersucht und Rache. Phaedra, Theseus' Frau auf Kreta, hat sich in ihren Stiefsohn Hyppolyt verliebt. Doch dieser hat nur Augen für die Jagdgöttin Artemis. Gekränkt schwärzt Phaedra den jungen Mann beim Vater an und behauptet, Hyppolyt habe sie vergewaltigt. Theseus, der einst das Ungeheuer Minotauros bezwang, glaubt der Frau und lässt Hyppolyt vom Meeresgott Poseidon töten. Phaedra erhängt sich.
Henze, der ursprünglich das Libretto selber verfassen wollte, engagierte den Lyriker Christian Lehnert, der sich im ersten Teil an das Drama anlehnt, wie es von Euripides über Racine bis zu Sarah Kane behandelt wurde. Im zweiten Teil greift Lehnert auf Ovids «Metamorphosen» zurück: Der zu Tode verwundete Hippolyt wird von der Göttin Artemis auf der Insel Nemi wieder zusammengesetzt, um unter dem Namen Virbius ein neues Dasein zu erleben.
Es ist wohl diese Verbindung von klassischem Stoff und realer Existenz, die Henze zu dem Werk geführt haben: Phaedra und Hyppolyt sind sozusagen Nachbarn des Komponisten in den Albaner Bergen, wo viele «heroische Frauengestalten« lebten, wie Henze in dem Werkbuch (Wagenbach Verlag) schreibt. Der Komponist, der vor 40 Jahren nach Italien zog und heute unter Olivenbäumen auf Rom blickt, bleibt auch bei seinem «jüngsten Alterswerk» ganz bei sich.
Auf der Bühne ist davon jedoch nicht viel zu sehen. Mussbach und der dänisch-isländische Lichtkünstler Olafur Eliasson haben für die Produktion eine höchst artifizielle Welt geschaffen - von arkadischen Landschaften keine Spur. Ein Laufsteg durchkreuzt den gesamten Opernsaal, die 25 Musiker des Ensemble Modern (Leitung: Michael Boder) sitzen nicht im Graben, sondern im Rücken des Publikums. Auf der Brücke zur Bühne liefern sich die in Gummianzügen gepressten Sänger die Wort- und Gesangsgefechte.
Über die gesamte Bühne hat Eliasson eine hauchdünne Membran gespannt, die je nach Lichteinwirkung als Spiegel oder Trennwand dient. Ein Metallring wirft Lichtkreise, eine Diskokugel reflektiert tausende Punkte und Striche auf die Plastikwand. Eliasson, einer der bekanntesten bildenden Künstler der Gegenwart, hat noch nie für die Oper gearbeitet. Der Durchbruch gelang ihm in der Londoner Tate Modern, wo zwei Millionen Besucher seine Experimente mit Licht, Wasser und Spiegeln gesehen haben.
Bereits bei Beginn der Komposition hatte Henze eine ziemlich präzise Idee von der Besetzung, vor allem der Hauptrolle mit einer Mezzosopranistin. Vorgesehen war dafür Magdalena Kozena, die einige Wochen vor der Premiere absagte. Maria Riccarda Wesseling übernahm die Partie. Und sie glänzt mit ihrem dramatischen Ausdruck und der präzisen Aussprache in der schwierigen Rolle genauso wie Countertenor Axel Köhler als Artemis.
Henze, «der Wiedergeborene», hatte ihn Staatsopern-Intendant Mussbach vor der Premiere genannt. Tatsächlich hatte der Komponist während der Arbeit am Werk immer wieder Schicksalsschläge erlitten. Als 2005 der erste Akt fertig war, wurde er in lebensbedrohlichem Zustand in ein Krankenhaus gebracht. Danach pflegte ihn sein Lebensgefährte Fausto Moroni, der im vergangenen April starb. Doch der Meister aus Italien erholte sich, und in Berlin kehrt er zu den Quellen zurück, «mit alter Frische und aller Freiheit», wie er in seinem Tagebuch schrieb.