Baron von ... Anna von Münchhausen: "Der Lügenbaron - Mein fantastischer Vorfahr und ich

Halle (Saale) - Dieser Münchhausen sitzt auf der Kanonenkugel und nimmt sich trotz des artistischen Himmelritts, mit dem er alle Gesetze der Physik überlistet, noch die Zeit, den Dreispitz zu lüften und die Zuschauer mit einem Lächeln zu grüßen. Unter den gut 40 Verfilmungen ist die mit Hans Albers wohl die berühmteste, mag die Ufa-Produktion von 1943 auch als Durchhaltefilm entstanden sein.
Der sollte nach der krachenden Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad und den beginnenden alliierten Luftangriffen auf deutsche Städte die Moral der Bevölkerung durch cineastische Kurzweil in Farbe heben.
Das konnte nur gelingen, in dem die einzelnen Abenteuer, die keinen durchgehenden Erzählfaden haben, in eine Rahmenhandlung eingebettet wurden. Dafür verantwortlich zeichnete Erich Kästner, der im NS-Staat zwar verfemt war, aber dennoch den Auftrag für das Drehbuch erhielt, das er unter dem Pseudonym Berthold Bürger schrieb. Das hielt Propagandaminister Joseph Goebbels jedoch nicht davon ab anzuweisen, auch dieses nirgends zu erwähnen. Die Entstehungsbedingungen konnten der Langzeitwirkung des Films indes keinen Abbruch tun: „Der strahlend blauäugige Hans Albers auf der Kanonenkugel wurde der schönste Lügenbaron aller Zeiten“, so Anna von Münchhausen.
Bei Tabak und Punsch
Daran erinnert die Autorin anlässlich des 300. Geburtstages des historischen Hieronymus von Münchhausen in ihrem Buch „Der Lügenbaron - Mein fantastischer Vorfahr und ich“. Der am 11. Mai 1720 in Bodenwerder im heutigen Landkreis Holzminden in Niedersachsen geborene und daselbst 1797 auch gestorbene Mann war - darin sind sich all jene, die seinen Namen tragen, einig - aber kein Lügner, sondern vielmehr ein „begabter Fabulierer“. Dem wäre es nie in den Sinn gekommen, seine Erzählungen, die er nur in geselligen Runden „bei Tabak und rotem Punsch“ zu erzählen pflegte, als wahr zu verkaufen oder gar aufzuschreiben.
Die besten Geschichten werden von Anna Münchhausen nacherzählt und immer wieder eingestreut. Neben dem Kanonenkugelritt sind das etwa die Schnurren über die Reise zum Mond und den Flug mit den Enten. Die Autorin hat den Münchhausen-Forscher Bernhard Wiebel besucht, der eine Sammlung von 3.865 Büchern und Objekten zum Thema besitzt, und auch Otto von Blomberg interviewt, weil der 66-Jährige „mit Hieronymus viel näher verwandt ist als alle anderen Münchhausens“.
Grundstock für Münchhausens Geschichten bildeten Erlebnisse, die im Jahr 1733 begannen, als der junge Hieronymus Page des Fürsten von Braunschweig-Wolfenbüttel wurde. In dieser Funktion kam Münchhausen nach Sankt Petersburg, wo er es zum Leutnant in einem Kürassier-Regiment brachte und 1738 am Russisch-Türkischen Krieg teilnahm. Ab 1740 in Riga, wo er vier Jahre später seine erste Frau Jakobine heiratete, kehrte er 1750 nach Bodenwerder zurück. Viel zu tun hatte er als Gutsherr nicht, so dass umso mehr Zeit blieb, um seine Erinnerungen literarisch auszuschmücken.
Auch wenn unklar ist, wer sie zuerst aufschrieb, so wurden die ersten Geschichten auf jeden Fall 1781 in der Sammlung „Vademecum für lustige Leute“ veröffentlicht. Die tolldreisten Erzählungen bekam der vielseitig gelehrte, aber nach einem Diebstahl von kostbaren Goldmünzen aus dem Besitz des Landgrafen von Hessen nach London geflohene Museumsdirektor Rudolf Erich Raspe in die Hände, übersetzte sie ins Englische und veröffentlichte sie 1785 anonym. Das Buch wurde ein sensationeller Erfolg auf der Insel - und wäre es wohl auch geblieben, wenn sich der in Göttingen lehrende Gottfried August Bürger nicht besagtes Buch von einem englischen Studenten ausgeliehen und nach der Lektüre befunden hätte, es ins Deutsche übertragen zu wollen.
„Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey einer Flasche im Circel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt“, betitelte der aus Molmerswende (Landkreis Mansfeld-Südharz) stammende Bürger seine erfolgreiche Übersetzung, die er um eigene, entscheidende Ideen bereicherte. Zu Bürgers Zugaben gehört etwa die Episode vom Ritt auf der Kanonenkugel, die erstmals in seiner Version aus dem Jahr 1786 zu lesen ist.
Die Last des Namens
Wer heute den Namen „von Münchhausen“ trägt, kann noch immer skurrile Geschichten erleben. Die Autorin, die ebenfalls entsprechende Erfahrungen machen durfte, hat Mitglieder der großen Münchhausen-Familie gebeten, ihr Anekdoten zukommen zu lassen. So erinnert sich etwa Matthias Freiherr von Münchhausen, dass ihn einmal bei einer Kontrolle an der DDR-Grenze ein Offizier in breitestem Sächsisch fragte: „Saren Se mal, gönnen Se ooch so schön lügen wie ihr Vorfahr?“ Eine Frage, die so oder so ähnlich schon jedem Vertreter derer von Münchhausen gestellt wurde.
Das Attribut „Lügenbaron“ für den armen Münchhausen, der die europäische Literatur mit seinen fantastischen Erzählungen bereichern half, kam übrigens nicht in Zusammenhang mit seinen Geschichten auf, sondern wurde zuerst im Zuge des Scheidungsprozesses vom Anwalt seiner zweiten, ebenso jungen wie fidelen Frau Bernhardine benutzt, um die eher ungünstige Position, in der sich seine Mandantin befand, zu stärken - denn die hatte zuvor fast alle Ersparnisse des greisen Münchhausen durchgebracht.
Das Gleimhaus in Halberstadt kündigt eine Münchhausen-Ausstellung an, die vom 24. Oktober an bis Februar 2021 stattfinden soll. (mz)