Anna Seghers Anna Seghers: Mitten in die Eiszeit hinein
Halle (Saale)/MZ. - Das Zurückkommen in ihr Heimatland hatte sich Anna Seghers anders vorgestellt. Günstiger von den äußeren Verhältnissen her, einvernehmlicher mit den politisch Gleichgesinnten, menschlich wärmer vor allem.
Als sie im April 1947 im zertrümmerten Nachkriegsberlin eintraf, 46-jährig, lagen 14 entbehrungsreiche Exiljahre in Frankreich und Lateinamerika hinter ihr. Weiß war ihr Haar geworden. Unverbraucht jedoch schienen ihre Zukunftshoffnungen, ungebrochen ihr Elan für ein von Grund auf neues, der sozialen Idee verpflichtetes Gemeinwesen. Dafür hatte sie seit ihrer Jugend gekämpft. Und dafür war sie jetzt hierher gekommen, in die kalte Ruinenstadt, anstatt ins Paris ihres Herzens, wo überdies ihre beiden Kinder studierten.
Eine Heimkehr aus Pflichtgefühl? Mithelfen wollte sie hier im ehemaligen Land der Täter beim Aufbau einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Friedensordnung. Anknüpfen wollte sie im Land ihrer Muttersprache an ihre schriftstellerischen Großerfolge wie "Das siebte Kreuz": für ein gesamtdeutsches Publikum. Doch auch heimkehren schließlich wollte sie in jene Stadt, in der sie vor der Machtübernahme als frisch Verheiratete, junge Mutter und preisgekrönte Schriftstellerin schon einmal glücklich gewesen war. So jedenfalls lautete der Plan. Und fast alles kam anders für sie in dieser ihrer zweiten Lebenshälfte. Problematischer, alles in allem.
Immer ist die Angst dabei
Werkvertraut und historisch kundig zeichnet die Seghers-Kennerin Monika Melchert die vielfältigen Hindernisse nach, die sich dem versuchten Wurzelschlagen entgegensetzten. Die über sieben Kapitel angelegte Rückschau im erzählerischen Präsens schlägt durch Vor- und Rückblenden detaillierte biografische Bögen, zeichnet überaus kenntnisreich persönliche Lebensumstände nach, erhellt das intimere Netzwerk von Seghers' Gefährten und Freundinnen. Und zeigt sich dabei sensibel vor allem für die emotionalen Belastungsproben der allein Heimgekehrten.
Nach Melcherts Auffassung waren es nicht nur die politischen Verwerfungen zwischen Ost und West - deren konfrontative Reibungen tatsächlich Kälte erzeugten -, wodurch Seghers der Neuanfang in Berlin so erschwert wurde. "Ich habe das Gefühl, ich bin in die Eiszeit geraten, so kalt kommt mir alles vor", verriet sie 1948 dem Freund Georg Lukács. Zu diesem politischen Reizklima der DDR-Aufbaujahre hinzu kam die anhaltende private Verängstigung der durch Vertreibung und Flucht gebrannten Heimkehrerin. Wer zu den wahren Verbündeten gehörte in diesen Zeiten des Kalten Krieges, war selbst für die anerkannte Genossin, Staatsbürgerin der DDR (ab 1950), Nationalpreisträgerin (1951) und Präsidentin des Schriftstellerverbandes (ab 1952) nicht zweifelsfrei auszumachen.
Melchert geht in ihrer - stilistisch an der literarischen Biografie orientierten - Studie noch einen Schritt weiter. Einsamkeit, tief gefühlte Sehnsucht gelten ihr als die Grunderfahrung der zurückgekehrten Weltbürgerin. Wobei diese Vereinsamung wiederum - mitten in Seghers' euphorischem Engagement für die große kollektive Sache - nach Melchert eine klar benennbare Ursache hat: Laszlo Radvanyi, Anna Seghers' Mann seit 1925, der zunächst im mexikanischen Exil geblieben war. Die ersten Rückkehrerjahre sind so - gänzlich unfreiwillig nur auf Seiten der Seghers - die Trennungsjahre der Partner: "Das Penelope-Gefühl verlässt sie nicht."
Eine derart auf persönliche Tuchfühlung gebrachte Rekonstruktion der Lebensumstände jener Autorin, die stets wenig von ihrer Privatsphäre preisgab und bis auf eine Ausnahme hinter ihren Werken verschwand, sie hat Vor- wie Nachteile. Zu den Vorzügen gehört, dass hier das Faktische der Seghers-schen Lebenssituation durch erzählerisch ertastete Rückschlüsse auf das Wie des persönlichen Erlebens ergänzt wird - Melchert fängt Befindlichkeiten ein, hält Stimmungen fest. Eine detaillierte kritische Analyse von Seghers' kulturpolitischen Positionen kann diese Perspektive nicht leisten. Inhaltlich wie stilistisch wirbt Melcherts Darstellung um ein Verstehen, das die Ikone der DDR-Literatur im Zwielicht von angestrengter Selbsttreue und den neuen Abhängigkeiten im politischen System sieht.
Laszlo kehrt zurück
Seghers' kulturpolitisches Wohlverhalten ist in dieser Perspektive entsprechend nicht identisch mit Opportunismus; es ist auch das Dokument einer persönlichen Tragik, die sich nicht einfach familiär befrieden ließ. Als Laszlo 1952 in Berlin endlich in ihre Arme fällt, scheinen die Mühen der Berge hinter ihr zu liegen. "Jetzt", so Melchert, "wird es leichter. Doch die Konflikte sind damit nicht zu Ende". Tatsächlich, sie beginnen gerade.