Ann Cotten im Interview Ann Cotten im Interview: "Ich schreibe dauernd Oden"

berlin - Premiere für einen neuen deutschen Literaturpreis: Am Sonnabend wird in Wernigerode erstmals der für „neue Literatur“ ausgewiesene Klopstock-Preis des Landes Sachsen-Anhalts verliehen. Der Hauptpreis geht an die in Wien aufgewachsene und in Berlin lebende Amerikanerin Ann Cotten. Mit der Schriftstellerin sprach unser Redakteur Christian Eger.
Frau Cotten, Sie wurden in Iowa geboren und leben in Berlin. Wie kamen Sie nach Europa?
Cotten: Mit den Eltern, da war ich noch klein. Meine Eltern hatten als junge Studenten eine Stelle an einem Biochemie-Forschungsinstitut in Wien angenommen.
War das Deutsche eine Fremdsprache für Sie?
Cotten: Ja, aber mit fünf Jahren lernt man das recht schnell.
Sie schreiben Ihre Bücher auf Deutsch?
Cotten: Die meisten. Als Kind habe ich ja die Welt auf Deutsch wahrgenommen, die Schule, die Bildung, alles. Mein Charakterpanzer, wie Wilhelm Reich sagt, ist auf Deutsch. Das Englische ist die intimere Sprache, ich kann mich in ihr kaum verstecken.
Wie fühlt sich das Deutsche für eine Amerikanerin an?
Cotten: Die deutsche Sprache hat tatsächlich etwas Chitinöses. Das Hilfsverb steht am Anfang, der Rest vom Verb am Ende des Satzes: sehr merkwürdig. Die Grammatik ist stärker hierarchisiert als etwa im Englischen. Mit dem Russischen hat es diese Vorsilben-Kultur gemein, die sehr abstrakt ist und bürokratisch. Es ist eine Sprache mit wenig Vokalschönheit, ein bisschen kratzig, unsinnlich, erweckt Sehnsucht nach Erlösung, nach dem Geistigen. Mit dieser Eigenschaft spielen und arbeiten dann etwa Kant und Hegel.
Taugt es zum Erzählen?
Cotten: Vom Erzählen verstehe ich nicht so viel, was man meinen Texten anmerkt. (lacht) Es geht mir mehr ums Beschreiben, und um das Sprachspiel. Erzählt wird natürlich in jeder Sprache, so gibt man Mythen weiter.
In Ihrem Erzählband „Der schaudernde Fächer“ heißt es, die Deutschen seien träge, äußerlich und innerlich. Worin besteht die Trägheit?
Cotten: Es gibt im gegenwärtigen Deutschland so etwas Tiefenträges bei aller Aktivität, so etwas Denkträges. Ich seh’s etwa bei Studenten, die eifrig reden, aber immer auf einer Tonhöhe. Es hat vermutlich mit chronischer Ohnmacht zu tun. Die deutsche Regelungswut ist eine Seuche, erzeugt Oberflächlichkeit und Unbehagen.
Was wäre das Gegenteil dieser Trägheit?
Cotten: Hm. Ich denke, so was wie Rührung und Leidenschaft, Mut zur Leidenschaft. Was ich zu kritisieren habe ist, dass man die Leidenschaften unterdrückt, die Pflicht vorzieht nur aus Zweifel und Zaghaftigkeit. Oder, um Wohlstand zu bewahren. Das führt zu einer Art Terror der Feigheit, gesellschaftlich in eine geistige Wüste. Man braucht nicht denken und fühlen, man hat ja ein wohlgeordnetes Land. Ist aber nicht so.
Ist Leidenschaft ein Impuls für Ihr eigenes Schreiben?
Cotten: Ja, wahrscheinlich. Vielleicht bewerte ich sie auch deswegen so hoch.
Mit welchem Anspruch schreiben Sie? Was wollen Sie mitteilen?
Cotten: Ich möchte die Dinge auf eine Weise beschreiben, die mich und den Leser aus einer illusorischen Ohnmacht befreit. Ich will so schreiben, dass es empowering ist; offen, anregend, erfrischend.
Sie wollen Energie übertragen?
Cotten: Das geht ja nicht. Aber ich kann die Energie der Leser wecken oder ermutigen. So einen Effekt erfahre ich beim Lesen der Bücher, die ich selbst bewundere.
Welche Bücher sind das?
Cotten: Oft alte Bücher. Ich liebe zum Beispiel Peter Hacks. Auch Johannes Bobrowski liebe ich sehr, auch wenn er ein Erzähler ist. Musil, Doderer und natürlich Bernhard. Bei den Lyrikern sind es auch eher ältere.
Lesen Sie nicht die jeweils neueste deutsche Saison-Belletristik?
Cotten: Nein, das halte ich nicht aus. Bis auf einzelne Werke, jetzt zum Beispiel will ich Rainald Goetz’ „Johann Holtrop“ lesen - drei Jahre zu spät schon wieder. Romane kosten so viel Zeit.
Was gefällt Ihnen an Hacks?
Cotten: Der scharfe Witz und die lebendige Bildung. Ein Spielgeist, der sich mitteilt. Ich fühle mich auf Augenhöhe, eingeladen zum Umgang mit der ganzen Welt in all ihren Aspekten. Das ist das, was mich an Hacks elektrisiert. Er geht selbstverständlich davon aus, dass uns alle Aspekte der Welt zumutbar und vertraut sind. Während ich bei vielen westdeutschen Schriften immer das Gefühl habe, dass der nicht ins jeweilige Programm passende Teil der Welt geleugnet wird. So eine unbewusste bürgerliche Verlogenheit.
Ann Cotten, geboren 1982 in Iowa, wuchs in Wien auf und lebt seit 2006 in Berlin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist Dichterin, Prosaautorin und Übersetzerin. Sie veröffentlichte im Suhrkamp Verlag den Gedichtband „Fremdwörtersonette“ (2007) sowie die Prosabände „Florida-Räume“ (2010) und „Der schaudernde Fächer“ (2013).
Der Klopstock-Preis für neue Literatur ist mit 12 000 Euro dotiert und wird in Nachfolge des bislang vergebenen Wilhelm-Müller-Literaturpreises jährlich vom Land Sachsen-Anhalt verliehen. Die Preisverleihung findet zur Eröffnung der Landesliteraturtage Sachsen-Anhalts am Sonnabend um 13 Uhr im Harzer Kultur- und Kongresszentrum in Wernigerode, Pfännerstraße 41, statt.
Die Jury ehrt Ann Cotten „als eine Autorin der Gegenwart. Ihr gelingt es, die beschleunigten Verwandlungen heutiger Lebenswelten und die Brüchigkeit von Biografien und Selbstentwürfen stilistisch einzufangen und in eine Poesie zu wenden, die ihre Sprachkraft jenseits von Gattungsgrenzen entfaltet“.
Der Klopstock-Förderpreis, dotiert mit 3 000 Euro, geht an den Dokumentarfilmer und Schriftsteller Mario Schneider für seinen 2014 im Mitteldeutschen Verlag veröffentlichten Debütband „Die Frau des schönen Mannes“. Ann Cotten und Mario Schneider lesen - moderiert von Ute Pott - am 12. September um 19 Uhr im Schloss Wernigerode. Der Eintritt ist frei.
Was wird ausgeschlossen?
Cotten: Es wird ideologisiert, das heißt zum Beispiel: Wenn man etwas gut findet, fühlt man sich verpflichtet, die negativen Seiten zu beschönigen. Das ist ein Problem für einen realistischen Schriftsteller. Bei Hacks ist klar, dass alle Sachen auch ihre Schatten haben, die man nicht als Müll an die dritte Welt verkaufen kann.
Was ist für Sie ein gelungener Text? Lässt sich das knapp sagen?
Cotten: Klar! Dass es geil ist! Dass es fetzt!
Sie werden im Feuilleton als „Hipster“ notiert, also als ein junger Mensch, der sich bewusst gegen den Mainstream setzt.
Cotten: Hipster sind doch diese jungen Leute mit Vollbärten und aufgerollten Hosen. „Barbaren auf Kinderfahrrädern“, sagt ein Freund von mir. Ich fürchte, ich bin kein Hipster mehr, dafür bin ich zu alt, ich trinke noch Bier statt MDMA.
Sie erhalten in Wernigerode einen Preis im Namen des Dichters Klopstock. Was hat der mit Ihnen zu tun?
Cotten: Klopstock hat die antiken Metren auf einflussreiche Weise verdeutscht. Er war allerdings wirkungsästhetisch orientiert, im Gegensatz zu den mir sehr lieben Antike-Schwärmern wie Platen oder Hölderlin, die mit dem Text selbst und dem Entzücken eines kleinen Kreises zufrieden waren. So vermischte er die Ästhetik der antiken Ode mit christlicher Motivik. Auch ich mische recht eklektisch, wenn auch nicht christlich: Diese Bereitschaft zur Pantscherei ist vielleicht etwas Gemeinsames.
Leben wir in einer Zeit, in der Oden machbar wären?
Cotten: Ich schreibe sozusagen dauernd Oden - wenn man sie betrachtet als Texte, die ihren Gegenstand bewusst übertrieben, leidenschaftlich bis affektiert, sie quasi unter der Lupe des Affekts betrachten. Diese temporäre Konzentration finde ich gesund. Es befreit von der Vorstellung, dass jeder Satz immer korrekt und gerecht sein müsste. Das gibt es nicht, der Anspruch führt zu Zaghaftigkeit.
Worauf müsste man heute eine Ode schreiben? Welche Ode fehlt?
Cotten: Mir fehlen Oden auf technische Geräte. In der Zeit der frühen Industrialisierung wurde das noch gemacht. Mir fehlen Oden auf Maschinen, auf ihre Eigenschaften, darauf, wie sie funktionieren. Mir würde gefallen, wenn Techniker Spaß daran hätten, Oden auf ihre Geräte zu schreiben.
Eine Ode auf das Smartphone.
Cotten: Eher auf die Schaltwalze. Was heutigen Benutzern oft fehlt, ist Kenntnis der inneren Funktionsweise. Wir müssten darüber schreiben, was wirklich da drinnen passiert. Das ist viel interessanter, als die Benutzeroberfläche zu besingen. (lacht) (mz)