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Anhaltische Gemäldegalerie Anhaltische Gemäldegalerie: Dessau zeigt Werkschau des Malers Hans Stein

Von Christian Eger 08.09.2016, 16:49
Hans Stein: Elbuferlandschaft mit Schädelfund, Öl auf Leinwand, 1981
Hans Stein: Elbuferlandschaft mit Schädelfund, Öl auf Leinwand, 1981 Angelika Weidling, Anneli Schwager

Dessau-Rosslau - Bisweilen ist ein Widderschädel zu sehen. Mal mit gedrehtem, mal mit gewundenem Horn. Der Knochenkopf steckt auf einem toten Ast an der Elbe. Oder er liegt auf einem Fensterbrett in Berlin. Der Schädel ist ein archaisches Lesezeichen, das auf den Gemälden von Hans Stein unaufdringlich wiederkehrt und das die raumgreifenden Szenerien markiert: Stadt, Land, Fluss. Keine Fahnen. Keine Schriftzüge. Keine Propaganda. Nur das, was übrig bleibt. Ein vom Wetter weiß gewaschener Lebensrest, über den hinweg man in die Landschaft schaut.

„Hans Stein. Dessau-Berlin“ heißt die erstaunliche Ausstellung, die in der Orangerie der Anhaltischen Gemäldegalerie in Dessau eine Werkauswahl des Malers und Grafikers zeigt, der als expressionistischer Realist nicht falsch bezeichnet ist. Erstaunlich, weil Hans Stein auch in den stillen, eigentlich vertrauten Sujets ein Dynamiker und Überraschungskünstler ist. Ein Könner, der zwar als ein Dessauer vom Jahrgang 1935 ein Sohn der Region, in dieser aber noch immer viel zu wenig bekannt ist. Man könnte die Ausstellung auch umgekehrt mit „Berlin-Dessau“ untertiteln, denn obwohl Stein 1957 seine Heimat nach Westberlin hin verlassen hatte, hat er sie nie aus den Augen verloren. Vor allem die Elbe nicht, die ein Lebensfluss ist.

Die Arbeiter lachen nicht

Die Ausstellung bietet eine gelungene Erweiterung zu der am Beginn des Jahres veranstalteten großen Stein-Schau in der Spandauer Zitadelle in Berlin (die MZ berichtete). War dort unter dem Motto „Berlin - Stadt als Baustelle“ das große Repertoire an Hauptstadtbildern zu sehen, bietet die Dessauer Schau beides: den Kern des Berliner und des weniger bekannten mitteldeutschen Schaffens.

Über 50 Gemälde und Grafiken aus 60 Jahren sind zu sehen. Ein Kraftwerk im malerischen Gestus. Man tritt, wenn man vor einem Stein-Werk steht, erst einmal kurz zurück, um dann wieder auf das Bild zuzugehen, so vital ist der Gestus, so signalhaft die Farbe. Das korrespondiert mit den Malern der „Brücke“, aber es ist doch in seinem sinnfälligen Realismus etwas Eigenes. Stein setzt auf keinen äußerlich thematischen Effekt, sondern er bringt das gemeinhin Effektlose äußerlich zum Strahlen. Nicht zuletzt, weil er keine Scheu vor der Farbe hat. Im Gegenteil. Stein legt Pop-Art-nahe Farben auf die Alltagsdinge. Überhaupt betreibt er eine Art von energetischer Malerei, die das Dunkle hell, das Ruhige unruhig machen kann.

Der Bruder der Dessauer Künstler Rosel und Herbert Stein hatte seinen Weg gegen die westdeutsche Nachkriegs-Abstraktion und gegen die ostdeutsche Erbauungs-Malerei genommen. Zu seinen Lehrern an der Hochschule der bildenden Künste gehörte der aus Halle stammende Hermann Bachmann, der vier Jahre vor Stein in den Westen gegangen war.

Am Eingang der Schau sind sechs großformatige Kohlezeichnungen aus dem Jahr 2008 zu sehen, die Berliner Asphaltarbeiter zeigen. Ein Thema, das vor und nach 1945 eigentlich verbrannt wurde, dem Stein aber etwas ganz Cézanne- und Courbet-mäßig Ernsthaftes abgewinnt. Steins Arbeiter lachen nicht. Sie sind ganz mit sich und ihrer Tätigkeit verbunden, am Grund, nicht im Schaufenster der Verhältnisse.

Selbstverständlich sind die Berliner Hans-Stein-Klassiker zu sehen: der rote Reichstag, das Triptychon Potsdamer Platz, Willy Brandt vor der Mauer. Es sind aber zwei andere Werkgruppen, die hier fesseln. Da sind die Berliner Fensterblicke, die einerseits Stillleben, andererseits auch Porträts des Malers sind, ohne diesen ins Bild zu rücken. Man sieht, von welcher Position aus Stein malt, was ihm Halt gibt. Und da sind die großen Elbufer-Gemälde und die kleineren Elblandschafts-Veduten. Nie ist das langweilig. Immer neu. Kraftvoll.

Es ist eine einzige Landschaft

Dessau-Berlin. Berlin-Dessau. Was man bei dem Gang durch die Ausstellung begreift: Es ist eigentlich eine einzige, nämlich eine physisch, ästhetisch und gesellschaftlich zusammengehörende Landschaft, die Stein in Varianten seit 1957 zeigt, trotz Mauer und zeitweiser Zweistaatlichkeit. Flach, weit, flussreich, von Wachtürmen oder Speicherhäusern besetzt. Und manchmal liegt ein Tierschädel vor der Szene. Nicht als ein düster drohendes, sondern eher als ein übermütig festliches Signal. In den ostdeutschen Landschaften des Hans Stein kann man verschwinden, aber nicht verloren gehen.

Bis 3.10.: Orangerie der Anhaltischen Gemäldegalerie, Dessau, außer montags täglich 10 bis 17 Uhr. Katalog: 60 Seiten, 12 Euro. Künstlergespräch mit Hans Stein am 2. Oktober um 15.30 Uhr, geführt von Margit Schermuck-Ziesché.

(mz)