All-Inclusive-Häppchen von Bilderbuch

Berlin - Maurice Ernst beschäftigt sich zuerst mit dem Verhältnis von T-Shirt zu Hose - reinstopfen oder raushängen lassen? Beim Fototermin in einem Fabrikgebäude in Berlin-Kreuzberg muss das Bild sitzen.
Dem Frontmann der Band Bilderbuch, die spätestens nach ihrem Album „Schick Schock” zu Rettern der deutschsprachigen Popmusik erkoren wurde, geht es um die Pose. Wie wichtig ist Style? „Gehört genauso dazu”, sagt der 28-Jährige.
Übers Wrestler-Shirt aus dem Second-Hand-Laden zieht Ernst am Ende einen orangeroten Mantel. Der Schal mit Burberry-Muster. Man kann erahnen, warum er einmal zum bestangezogenen Österreicher gewählt wurde - noch vor Womanizer Elyas M'Barek. Kinn etwas nach unten, klick-klick, Fotos im Kasten. Derzeit läuft die Promo-Maschine auf Hochtouren. Ernst und seine drei Bandmitglieder sind in aller Munde. Jetzt ist ihr viertes Album „Magic Life” erschienen.
Lange waren die Jungs nach ihrer Erfolgsplatte „Schick Schock”, mit der sie vor ziemlich genau zwei Jahren sagenhaft einschlugen, auf Tour. Rauf und runter spielten sie dabei ihre Über-Hits wie „Plansch” und „Maschin”. Die Hallen wurden größer, voller, immer mehr Leute wollten die Coolness der Wiener miterleben. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem es weitergehen musste. „Auf einmal stehst du dann da und denkst dir: Hey Jungs, wir müssen wieder anfangen, über Musik zu reden”, sagt Ernst der Deutschen Presse-Agentur.
Der Prozess beginnt bei Null. Demo-Tapes oder Sound-Schnipsel, die seinerzeit irgendwo noch herumschwirren, werden nicht mehr beachtet. Den klassischen Indierock vom Anfang ihrer Karriere hatten Bilderbuch sowieso schon vor „Schick Schock” eingemottet. Und auch jetzt nicht wieder rausgekramt. „Magic Life” sei introvertierter, zerbrechlicher, privater, findet Ernst. „Sie hat aber immer noch Selbstbewusstsein. Sie hat ihre Pop-Momente.”
Das Album beginnt mit einem ruhigen Instrumental-Intro. Doch das ist eigentlich nur Schmäh. Mit „I <3 Stress” hauen die Österreicher einen Autotune-Synthesizer-Track hinterher, in dem die Samples nur so durcheinanderzischen, dass einem Hören und Beruhigen vergeht. Ihre Songs sind nicht einfach, das wissen Bilderbuch. Man könnte ihre Lieder als „Grower” bezeichnen, weil sie sich ganz bewusst erst nach mehrmaligem Hören an der Ohrmuschel festkrallen.
Das flitterhaft-schnulzige „Sweetlove” - irgendwo zwischen Jazz, Blues und Prince - dient vor allem als Startrampe für das eindrucksvoll funkige „Bungalow”. Sex pur. Während zuletzt im Video zu „Maschin” noch ein gelber Lamborghini das Objekt der Begierde war, ist es bei dem Fußstapfen-Nachfolger „Bungalow” der halbnackte Ernst an der Stripperstange selbst. Und er säuselt: „Ich brauch Power für mein' Akku, keine Power in mein' Akku. Baby, leih mir deinen Lader, komm, bitte leih mir deinen Lader.”
Auf dem Vorgänger wurde noch der Hedonismus zelebriert. „Schick Schock” sei am „Peak der Gloryness unserer Gesellschaft” gewesen, blickt Ernst zurück. „Magic Life” hingegen ein Selbstfindungstrip. Es ist kein Zufall, dass die Platte genauso wie ein All-Inclusive-Club heißt. „'Magic Life' ist für mich ein Sinnbild für unsere Gesellschaft.” All-you-can-eat als soziales Phänomen. Doch einfach auf Facebook fünf gesellschaftskritische Sätze zu schreiben, ist zu wenig. „Uns war wichtig, dass wir unsere Musik sprechen lassen.”
Nun, im elften Jahr ihres Bestehens, begreift sich die Band endgültig als Musiker. Kein Studium, kein Nebenjob mehr. Pop als Hauptberuf. Vielleicht liegt der Erfolg auch an der Geschichte der Popmusik in Österreich. Um aus einer dunklen Nische herauszukommen, muss man wohl besser gleich mitten ins Rampenlicht springen - und nicht mehr rausgehen. Oder wie Frontmann Ernst auf die Bilderbuch-Zukunft schaut: „Lass uns doch schöne geile Sachen machen.” (dpa)