Alfred Döblin Alfred Döblin: «Berlin Alexanderplatz» ist von sozialer Sprengkraft

Berlin/dpa. - Grass hat einen Döblin-Preis für den literarischen Nachwuchs gestiftet. Grass' ehemaligesWohnhaus im schleswig-holsteinischen Wewelsfleth dient heute denDöblin-Stipendiaten.
Döblin, der vor 125 Jahren, am 10. August 1878 geboren wurde, isteiner der größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts undgehört unbestritten zu den Schlüsselfiguren der literarischen Modernein Deutschland. Mit seinem expressionistischen Stil und seinerbahnbrechenden Erzählmethode hat er es allerdings weder sich nochseinen Lesern leicht gemacht.
«Ohne die frühen Anstöße durch seine Bücher ist meine Arbeit nichtvorstellbar», sagt Grass von sich selbst. Auch viele andereSchriftstellerkollegen habe Döblin beeinflusst und geprägt. Er stelleden Autor «neben wie gegen Thomas Mann» (den Döblin von Herzenverabscheute), «neben und gegen Bertolt Brecht». Döblin beunruhigeund beschwere die Träume, sei unverdaulich und unbekömmlich, denLeser werde er ändern.
Döblins Geburtsort war Stettin, aber aufgewachsen ist er inBerlin, der Stadt, die den in ärmlichen Verhältnissen lebenden Jungenschnell gefangen nahm. «In diesem großen, nüchternen, strengen Berlinbin ich aufgewachsen, dieses Steinmeer ist der Mutterboden allermeiner Gedanken», sagte Döblin. «Diese Mietskasernen und Fabrikensind durch die Jahrzehnte mein Anschauungs- und Denkmaterial gewesen,und ob ich von China, Indien und Grönland sprach, ich habe immer vonBerlin gesprochen.» Und Döblin erzählt im «Originalton Berlin», wieihm ein Kritiker bescheinigte, «schnoddrig, zynisch, zart».
Es waren denn auch die Erfahrungen des Armenarztes Döblin imBerliner Osten mit den im Moloch der Großstadt strauchelnden und umsÜberleben kämpfenden Menschen der unteren Schichten, die ihn bewegtenund schließlich dazu brachten, einen der bedeutendstenGroßstadtromane der Weltliteratur zu schreiben. Vergleichbar ist erallenfalls mit Dos Passos oder James Joyce und in der Dramatik mitden Sozialdramen eines Gerhart Hauptmann, der wiederum, wie KritikerMarcel Reich-Ranicki meint, auf Döblin nicht ohne Einfluss gebliebensein kann.
Der Autor selbst sah das Etikett «Großstadtroman» allerdings stetsals Missverständnis an, meinte er doch, er habe, anderen Döblin-Werken ähnlich, eher einen metaphysischen, einen religiösen Romangeschrieben. Dennoch: Der Gegenspieler der Hauptfigur Biberkopf istBerlin, meint Reich-Ranicki, beide zusammen bildeten ein«Pandämonium» (Versammlungsort aller bösen Geister) «vonüberwältigender Anschaulichkeit».
Das sah auch der Regisseur Rainer Werner Fassbinder so, der 1979für ein ganzes Jahr seine Kinoarbeiten unterbrach, um die seinerzeitvon Kritik und Publikum unterschiedlich bewertete 14-teilige TV-Version des Döblin-Stoffes in Berlin mit Günter Lamprecht zu drehen.Bestand hat auch immer noch der bereits 1931 gedrehte, allerdingsstark vereinfachende Kinofilm mit Heinrich George in der Hauptrolle(Regie Piel Jutzi), der den Biberkopf als gutmütig-kindhaftenMenschen spielte.
Nach dem Krieg gab es auch Bühnenversionen des Stoffes, so Anfangder 80er Jahre an der Ost-Berliner Volksbühne nahe desAlexanderplatzes im ehemaligen Scheunenviertel, einem Schauplatz desGeschehens. Das Berliner Maxim-Gorki-Theater brachte einebeeindruckende viereinhalbstündige Aufführung mit Ben Becker auf dieBühne. Die Rolle verkörpert Becker auch auf einer jetzt erschienenenCD (Patmos Verlagshaus, Düsseldorf). Im zu Patmos gehörenden WalterVerlag erscheint seit Beginn der 90er Jahre eine Döblin-Werkausgabein Einzelbänden.
In erster Linie sind es natürlich die Menschen, denen DöblinsLiebe gilt, die sich ohnmächtig einem unentrinnbaren Schicksalentgegenstemmen und vom Leben mehr verlangen «als nur einButterbrot». Der Erfolg des Buches wird von Literaturwissenschaftlernauch darauf zurückgeführt, das sich viele Menschen in diesenschicksalhaften Verstrickungen, auch in ihrem Versagen,wiedererkennen.