Alain Robbe-Grillet Alain Robbe-Grillet: «Papst des Nouveau Roman» ist tot

Paris/dpa. - Der französische Schriftsteller Alain Robbe-Grillethat nie ein Geheimnis aus seiner Leidenschaft für Erotik gemacht.«Seit ich zwölf bin, mag ich junge Mädchen», sagte der umstritteneErfolgsautor einmal. In der Nacht zum Montag starb der 85-Jährige aneinem Herzschlag. Robbe-Grillet wurde von der Literaturkritik als«Papst des Nouveau Roman» verehrt - jener in Frankreich in den 1950erJahren entstandenen experimentellen Literaturform. Zeit seines Lebensgalt der Autor, der auch als Drehbuchschreiber und FilmregisseurErfolge feierte, als Enfant terrible.
Er war stets schwer einschätzbar und seine Reaktionen kamen oftunerwartet. Als Abenteuer bezeichnete Frankreichs Presse sogar dieInterviews mit dem eigenwilligen Autor. «Ein Gespräch mit Robbe-Grillet zu führen, ist wie Trekking in Nepal: voller Überraschungen»,schrieb das renommierte Literaturmagazin «Lire».
Für nicht weniger Überraschungen und Aufsehen sorgten auch seineRomane - wie sein jüngstes Werk «Die Wiederholung», ein in Berlinhandelnder Spionageroman, voller Erotik und mit starksadomasochistischer Tendenz. Robbe-Grillets Offenheit überraschte undschockierte seit jeher. Doch der graubärtige Autor war Skandale umseine Person und Romane gewohnt. Vor fünf Jahren lud das CentrePompidou gar zu einem zweitägigen Symposium zum Thema «Wer hat Angstvor Robbe-Grillet?»
Der Avantgarde-Schriftsteller sorgte gleich zu Beginn seinerKarriere für Aufsehen. In «Der Augenzeuge» aus dem Jahr 1955beschreibt er einen Handeltreibenden, der auf einer Insel Uhrenverkauft und den ganzen Tag mit seinem Mietfahrrad unterwegs weg, biseines Tages ein junges Mädchen ermordet wird. Als obszön wurde dasWerk von vielen Kritikern verschrien, die dem studiertenAgraringenieur rieten, sich besser ein Zimmer in einer Pariser Klinikfür Psychiatrie geben zu lassen.
Robbe-Grillet galt Kritikern nicht nur deshalb als unlesbar, weiler ihrer Meinung nach moralische Grenzen überschritt, sondern auchwegen seiner unkonventionellen Sprache. Sein Erzählstil ist nüchternund abgeklärt. Kohärente und narrative Strukturen fehlen und werdendurch virtuos konstruierte Fragmente ersetzt. In vielen seinerpostmodernen Romane greift er auf Bilder von Lust und Schmerz zurück.Sein erneuerter, fragmentierter Erzählstil machte ihn zu einemHauptvertreter des «Neuen Romans».
Bereits in den 1950er Jahren schloss er sich Autoren wie NathalieSarraute, Claude Simon und Marguerite Duras an, die die Kohärenz vonCharakteren und Handlungsabläufen ablehnten; sie wehrten sich gegendie Psychologisierung ihrer Figuren und stellten die «Dichtung desreinen Tatbestands» in den Vordergrund. Sprachexperimentelles unddrastische sexuelle Schilderungen prägen viele von Robbe-GrilletsWerken wie «Die Niederlage von Reichenfels», «Die blaue Villa inHongkong», «Projekt für eine Revolution in New York», «Ansichteneiner Geisterstadt» und «Angelique oder die Verzauberung».
Auch die Filme, an denen er als Regisseur oder zumindestDrehbuchautor mitwirkte, beglaubigten den Ruf als Enfant terrible.Für «Letztes Jahr in Marienbad» nach einer Vorlage des Autors gewannAlain Resnais Anfang der 1960er Jahre den Goldenen Löwen derFilmfestspiele von Venedig. Die Filme «Trans-Europa-Express» (1966)oder «La belle captive» (etwa: Die schöne Gefangene, 1983) setzteRobbe-Grillet selbst in Szene.