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Abschiedstourneen von Puhdys und Electra Abschiedstourneen von Puhdys und Electra: Die Ostrock-Dämmerung

Von Steffen Könau 09.08.2015, 17:41
Puhdys-Chef Dieter „Maschine“ Birr dreht bis Weihnachten die letzte Konzertrunde. Mit zwei Auftritten in Berlin verabschiedet sich die Band dann.
Puhdys-Chef Dieter „Maschine“ Birr dreht bis Weihnachten die letzte Konzertrunde. Mit zwei Auftritten in Berlin verabschiedet sich die Band dann. DPA Lizenz

Landsberg - Der letzte Walzer soll es sein, hat Bernd Aust beschlossen und die letzte Tour seiner Band Electra augenzwinkernd so genannt: „The Last Waltz“. So hieß vor 40 Jahren auch die Filmdokumentation des letzten Auftrittes von Bob Dylans langjähriger Begleitband. Ein Abschied, der es bis in die Kinos der DDR schaffte.
Damals war Electra sieben Jahre alt, ein einziges Album hatten die Musiker um den Multiinstrumentalisten Aust und Sänger Stephan Trepte produziert. Aber was für eines! Die Lieder hießen „Der Hahn mit dem roten Kamm“ und „Das kommt, weil deine Seele brennt“. Sie waren bombastisch, klassizistisch und verstiegen, romantische Ausflüge in große Gefühle. Musik mit Texten, so würde es später heißen, die zum Nachdenken anregen.

Jenseits von irrationaler Ostalgie

Musik aus einer Zeit, die heute wieder in die Zeit zu passen scheint. Ostrock füllt die Hallen, Ostrock feiert ein Comeback jenseits von irrationaler Ostalgie in FDJ-Bluse und NVA-Jacke. Xavier Naidoo hat Ostrockhits gecovert, der Jung-Rocker Clueso, der DJ Westbam, Schlagerstar Matthias Reim, Scooter und Max Raabe.

Und doch soll nun alles zu Ende sein. Nach 46 Jahren geht Electra in diesen Wochen zum letzte Mal auf Tournee - und diese Abschiedsreise durch die Klosterkirche von Grimma, das Amphitheater von Senftenberg und den legendären Goldenen Löwen in Landsberg im Saalekreis überschneidet sich rein zufällig mit der letzten Tour der Puhdys, der erfolgreichsten aller Ostrock-Bands. Wie Electra in Dresden gründete sich das Berliner Quintett 1969, das Jahr, in dem auch die klassische Besetzung der Renft-Combo mit Peter „Cäsar“ Gläser entstand und der Gitarrist Hansi Biebl den Stil der Modern Soul Band änderte.
Gruppen, die für die erste Generation dessen stehen, was heute Rocklexika als Ostrock bezeichnen. Angeführt von Pionieren wie dem gelernten Flötisten Aust, dem Bassmann Klaus „Renft“ Jentzsch oder Puhdys-Frontmann Dieter „Maschine“ Birr, traten sie aus dem Schatten der brutalen Niederschlagung des Beat-Aufstandes in Leipzig im Herbst 1965. Sie versuchten aus Einflüssen von Westbands wie Rolling Strones, Kinks, The Who oder Beatles und deutschen Texten das zu machen, was später die „DDR-typische Rockmusik“ genannt werden wird.

Blumige Bilder voll verrätselter Anspielungen wie bei Electras „Tritt ein in den Dom“ finden sich da, aber auch knackiger Rock ohne Zweideutigkeiten wie beim „Geh zu ihr“ der Puhdys. Die Ursprünge und Einflüsse sind zu hören, doch schon die scheidende erste Ostrock-Generation machte aus dem, was über die Mauer klang, eine Musik eigenen Zuschnitts.

Fans von damals und heute

So ist es nicht mehr Ostalgie oder die Sehnsucht nach den alten Zeiten mit Hirschbrüllbeutel, Shelli-Parka und blauem Würger-Frühstück, die das Publikum anzieht, sondern die Wiederentdeckung der Musik. In kultigen Konzertarenen wie den Goldenen Löwen, in dem Wirt Jürgen Rausch es seit Anfang der 70er Jahre rocken lässt, finden sich die Fans von damals ein, aber auch neue Anhänger, die die alten Helden von den Schallplatten ihrer Eltern oder vom Videoportal Youtube kennen.
Electra und Bernd Aust waren 20 oder sogar 30 mal in Landsberg, wie Rausch sagt. Die Puhdys haben ihr Pausenbier kaum weniger oft inmitten der Fans im Saal gezischt. Und immer noch sind beide Bands in Hochform. Stephan Trepte klingt mit 65 nicht viel anders als mit 35, Dieter Birr bekommt die Kreissäge an der Gitarre noch immer dynamisch hin und Dieter Hertrampf singt sein „Alt wie ein Baum“ keineswegs, als wäre er es.
Es müsste nicht Schluss sein, noch nicht, auch wenn Stephan Trepte schon vor fünf Jahren überlegt hat, ob es nicht Zeit wäre. „Es werden immer dieselben Titel sein, es wird sich nichts ändern, es wird nichts Spannendes mehr passieren“, sagte er damals. Ließ sich aber überstimmen, obwohl die Rumfahrerei zu den Konzerten mit den Jahren nicht schöner wird.

Dieter Birr, mit Ring im Ohr und Haar, das immer noch länger ist als Anfang der 70er beim DDR-Fernsehen erlaubt, ist sie noch lange nicht leid. Der gebürtige Ostpreuße hat immer noch Freude an der Gitarre, am Singen, am Unterwegssein und überhaupt. Auch Bernd Aust, der in Dresden eine erfolgreiche Konzertagentur führt, hätte keine Probleme, an die 23 Auftritte der Abschiedstour weitere Termine dranzuhängen. Doch er sei inzwischen eben 70, sagt der gelernte Werkzeugmacher und studierte Saxophonist. „Und ich möchte gerne im Vollbesitz meiner Kräfte von der Bühne gehen.“

Selten so erfolgreich wie heute

Dieter Birr hat wie Aust seinen 70. hinter sich, ebenso Bandkollege Hertrampf und Peter „Mampe“ Ludewig, der frühere Trommler und Sänger, der wegen einer Herzerkrankung nun auch nicht mehr als gelegentlicher Gast auf die Bühne kommen kann. Das Erstaunliche daran: Selten zuvor waren die Rock-Rentner in spe so erfolgreich wie heute. Die Puhdys - mit 22 Millionen verkauften Deutschrock-Alben an deutschen Ladentheken nur von den Ärzten übertroffen - füllen die größten Hallen bis hin zur O2-Arena in Berlin und der Arena in Leipzig. Und Electra, Anfang der 90er Jahre mangels Auftrittsmöglichkeiten zeitweise auf Eis gelegt, spielen ihren an Vorbildern wie Jethro Tull und Emerson Lake & Palmer orientierten Art-Rock mittlerweile fast ausschließlich vor ausverkauften Häusern.
Harte Zeit der 90er Jahre
Vergessen sind die 90er, als nur noch der harte Kern der Fans kam und Dieter Birr einmal vor 40 Zuschauern in Königs Wusterhausen auftreten musste, weil Ostrock als Musik von gestern galt. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR ist Ostrock auf einem Höhepunkt. Die Fans strömen, als ahnten sie, dass es die Klassiker der frühen Jahre bald nicht mehr live zu sehen geben wird. Wobei: Zwar gehen zwei der ältesten Rockbands des untergegangenen Landes jetzt von der Bühne. Doch mit Renft, der Gruppe um den aus Eisleben stammenden Sänger Thomas „Monster“ Schoppe, bleibt zumindest eine legendäre Formation aus der ersten Rock-Generation weiter on the road. „Wir haben eben nie so viel Geld verdient wie die Kollegen“, begründet das Schoppe, der auch gerade seinen 70. gefeiert hat, aber „Nach der Schlacht“ immer noch so intensiv singt, als wären die 70er Jahre nie zuende gegangen.
Und hinter dieser lebenden Legende schließlich, die von 1975 bis 1989 verboten war, steht die zweite Ostrockgeneration fast vollständig und ungebrochen kreativ: Karat, Engerling, City und Silly haben eben neue Alben abgeliefert. Lift, Transit, Karussell und Pankow sind immer noch oder wieder unterwegs. Und Rockhaus, die Band, die einst frech ankündigte, die Puhdys beerben zu wollen, tut das nun tatsächlich: Parallel zur letzten Tour der Vorväter veröffentlich das Quartett um Mike Kilian ein neues Werk.
www.puhdys.com, www.renft.de, www.electra-music.de

Die Gruppe Electra aus Dresden musiziert seit 46 Jahren und ist erfolgreich wie nie. Jetzt hört sie auf.
Die Gruppe Electra aus Dresden musiziert seit 46 Jahren und ist erfolgreich wie nie. Jetzt hört sie auf.
Electra Lizenz