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85. Geburtstag 85. Geburtstag: Ralph Giordano sieht sein Werk vollendet

Von Yuriko Wahl 19.03.2008, 07:53
Der Schriftsteller Ralph Giordano während eines Gespräches in seiner Wohnung in Köln. (Foto: dpa)
Der Schriftsteller Ralph Giordano während eines Gespräches in seiner Wohnung in Köln. (Foto: dpa) dpa

Köln/dpa. - Erfühle sich in ihr gut aufgehoben, sagt er in einem Gespräch mit derDeutschen Presse-Agentur dpa kurz vor seinem 85. Geburtstag am 20.März. «Aber es wabert ein brauner Ungeist durch das Land», betont erund verweist auf jährlich Tausende vom Verfassungsschutz gezählterechtsextreme Anschläge. Mit seiner Kritik am Islam und KölnerMoscheebau hat der Autor jüngst für heftigen Wirbel gesorgt. Doch inseinem Gesamtwerk spielen diese Themen nur eine kleinere Rolle.

Seine Arbeit betrachtet der seit 1972 in Köln lebende Publizistals weitgehend abgeschlossen. «Ich habe jetzt ein ungeheueresFreiheitsgefühl. Es ist, als hätte ich den Himalaya mit einemTeelöffel abgetragen. Mein Werk ist vollendet.» Seine Autobiografie«Erinnerungen eines Davongekommenen» (2007) nennt Giordano sein«definitiv letztes» Buch. «Alle Bücher, die ich geschrieben habe,kommen aus der Tiefe meiner Biografie. Ich bin kein schneller Brüter.Was ich mache, hat eine lange Aufbereitungszeit.» Seit seiner Jugendin Hamburg, die geprägt war von Demütigung, Todesangst und Verfolgungdurch die Nationalsozialisten, habe er unter dem Druck gestanden zuschreiben.

Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines Sizilianers war alsJugendlicher von der Gestapo verhört, misshandelt und eingesperrtworden. Um der Deportation der Mutter zu entgehen, versteckte sichdie ausgebombte Familie Anfang 1945 in einem Kellerloch, wo sie fastverhungert bis zur Befreiung im Mai 1945 ausharrte. «Seitdem ist kaumein Tag vergangen, an dem nicht an meinen Fluchtinstinkt appelliertworden wäre», sagt Giordano, der sich als einen «terrorgewohntenMann» bezeichnet. Seit den 90er Jahren habe er über 1300Morddrohungen erhalten.

Als «publizistisches Zentralprojekt» beschäftigt ihn derzeit dasThema Islam. Seit Mai 2007 löste der jüdische Schriftsteller mitseinem Protest gegen den Bau einer Großmoschee in Köln und mitteilweise zugespitzten Äußerungen in Talkshows auch Empörung aus.Unter Druck geriet er vor allem, als er verschleierte Musliminnen«menschliche Pinguine» nannte. Damit habe er aber nicht die Frauenselbst treffen wollen, sondern «das religiöse Patriarchat, das siezur Verschleierung zwingt», hatte Giordano später klargestellt.

In der Sache zeigt er sich unbeirrt: «Ich bin kein Anti-Muslim-Guru, auch kein Türkenschreck und ich habe nicht zum Bürgerkriegaufgerufen, aber man muss die Dinge beim Namen nennen: In Deutschlandist eine schleichende Islamisierung im Gange, die unseredemokratische Republik bedroht.» Seine Gegner seien nicht dieMuslime. «Meine Feinde sind die Radikalen unter den Muslimen, genausowie rechtsradikale Deutsche und alle Fundamentalisten, die dieDemokratie gefährden. Für einen Mann mit meiner Biografie sindDemokratie und Verfassungsstaat heilig, das Kostbarste überhaupt.»

Giordano war fast 30 Jahre lang TV-Dokumentarist, zunächst einigeJahre für den NDR, danach bis 1988 für den WDR. Er liefertepolitische Berichte aus 38 Ländern. Danach schrieb er zahlreicheBücher. «Ich habe 19 Bücher, 100 Fernsehfilme und unzählige Artikelveröffentlicht. Ich konnte immer sagen und schreiben, was ich denkeund bin nie zensiert worden. Das ist eine großartige Sache. Deshalbnenne ich mich auch ein Glückskind», meint der Publizist.

Viele Bücher wurden Bestseller, allen voran die autobiografischeund später verfilmte Familien-Saga «Die Bertinis» (1982), «Die zweiteSchuld oder von der Last ein Deutscher zu sein» (1987), «Wenn Hitlerden Krieg gewonnen hätte» (1989) oder «Israel, um Himmels WillenIsrael» (1991). Der «kreative Kreisel, der das Gesetz meines Lebensist», drehe sich weiter, erklärt Giordano, auch wenn er kein Buchmehr plane. Einen großen Teil seines Nachlasses hat er bereits demDeutschen Literaturarchiv Marbach übergeben.

Er bleibe auch mit 85 Jahren ein kämpferischer Mensch und sei fürsein «methusalemisches» Alter in bester Verfassung. «Mein Arzt sagt:"Giordano, ich habe Sie von oben bis unten geprüft, Sie müssen sichin Ihrem Geburtsdatum geirrt haben"», sagt der allein lebende Autor,der dreimal verheiratet war. «Ich erlebe meinen 85. Geburtstag beivoller Schaffenskraft und in bester Gesundheit und hoffe, dass ichmeinen Freunden und Feinden noch lange erhalten bleibe.»