1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. 1968 in der DDR: 1968 in der DDR: Haus der Jungen Talente

1968 in der DDR 1968 in der DDR: Haus der Jungen Talente

Von Christian Eger 08.07.2008, 17:39

Berlin/MZ. - Was geboten wurde: ein autobiografischer Familien- als Zeit-, Gesellschafts- und Politik-Roman. Anregend, aufstörend und rücksichtslos gegen die Kirchen der DDR- genauso wie die der Dissidenten-Verklärung.

Kaum auf dem Markt, wurde die Auslieferung des Buches gestoppt wegen verletzter Persönlichkeitsrechte. Im September, sagt Florian Havemann, soll eine teilweise geschwärzte Neuauflage folgen. Ein Buch, das drei Generationen Havemann sichtbar macht: Großvater Hans, erst NSDAP, dann SED. Vater Robert, NS-Opfer, SED-Bonze, dann als undogmatischer Marxist der Vorzeige-Dissident der "Tagesschau"-DDR. Schließlich Florian Havemann selbst, Jahrgang 1952: Als 1968 Warschauer Pakt-Truppen in Prag einmarschierten, hängte der 16-Jährige in Ostberlin ein Protestschild mit tschechoslowakischer Flagge aus dem Fenster. Vier Monate Haft, Einsatz in der Produktion, 1971 Flucht aus der DDR im Tank eines Bitumen-Lasters.

Kinder der Stalin-Allee

Heute lebt der studierte Bühnenbildner Florian Havemann in Berlin-Neukölln. Zwei Töchter und einen Sohn hat der Autor, Maler und Komponist, der seit 1988 mit einer Französin verheiratet ist, die als Erzieherin arbeitet. Der 56-Jährige, der bis 2009 ehrenamtlich als brandenburgischer Verfassungsrichter dient, unterhält neben der Familien- eine Atelierwohnung in Nähe des Kottbusser Tores. Großflächige Gemälde an der Wand des Wohnraumes, Computer und Heimorgel, eine aktuelle Brockhaus-Ausgabe im Regal. Der Hausherr, der sich selbst einen ostdeutschen 68er nennt, zündet eine Zigarre an.

Herr Havemann, was soll das gewesen sein: ein 68er in der DDR? Schwer zu sagen, wenn es generell werden soll, sagt Havemann. Man habe das Land, in dem man lebte, ja nicht wirklich gekannt. "Der oppositionelle Jugendliche in Ostberlin wusste nicht, was zum Beispiel in Halle los war." Man war an seinem Ort mit seinen Leuten zusammen: "die hielt man für das, wofür man sie eben hielt". Kurzum, sagt Florian Havemann und lacht: "Die ostdeutschen 68er? Das waren wir!"

Havemann meint die Kinder des "Roten Adels", jener sozialen Zwischenschicht, deren Akteure entweder bei den Nazis im Gefängnis gesessen oder das Exil im Westen überlebt hatten. Ein eigenes, hoch privilegiertes Milieu, zu dem ursprünglich Havemanns Vater Robert gehörte, einst Instituts-Direktor mit 4 000 Ost-Mark Gehalt, oder Horst Brasch, SED-Funktionär, Vater des 2001 gestorbenen Dichters Thomas Brasch, des wohl engsten Freundes von Florian Havemann.

Im Gegensatz zur Führungsschicht der DDR, die den NS-Staat in Moskau überdauert hatte, besetzte der "Rote Adel" die Posten in der zweiten Reihe. "Diese Leute verachteten die SED-Oberen als Partei-Idioten", sagt Florian Havemann. "Gleichzeitig blickten sie auf die DDR-Bevölkerung herab: Alles Nazis!" Man lebte in der feinen, von Havemanns Onkel Hermann Henselmann entworfenen Stalin-Allee, mehr kannte man kaum. Es sei für ihn ein Schock gewesen, sagt Havemann, als er die Haushälterin seiner Familie in Berlin-Lichtenberg besuchte. "Realität und Ideologie waren in der DDR voneinander losgelöst. Hätte es die passende Ideologie gegeben, wäre das ein Inka-Sozialismus gewesen." Oberklassenherrschaft, von einer Mauer geschützt. Mit einem Gebot: "Fressen und Theaterkarten für alle."

Nicht einmal für die eigenen Kinder hatte der "Rote Adel" einen Platz in der Gesellschaft vorgesehen. So habe man sich eben zusammengesetzt und endlos diskutiert: "Ist das unser Sozialismus in der DDR? Nein. Was bedeutete für uns der Widerstand unserer Eltern gegen das NS-Regime? Vielleicht das: selbst Protest wagen." Kafka und Marx wurden gelesen, vor allem aber Musik gehört: "Es war immer Party". Die Vereinigung von Hoch- und Massenkultur sei ein erstes revolutionäres Element gewesen.

Über den Mao-Kult habe man sich lustig gemacht, obwohl man der Vorstellung, dass ein Universitätsprofessor den Hörsaal säubern muss, durchaus etwas abgewinnen konnte. Vietnam: Da habe der Widerstand des kleinen Vietcong fasziniert. Es habe keinen Zwang zu einem ausformulierten politischen Programm gegeben. So gäbe es heute keine Aussagen, für die man sich schämen müsse. Im Zweifelsfall aber, sagt Florian Havemann, hätte man sich 1968 für den Demokratischen Sozialismus entschieden, dem er damals bereits skeptisch gegenüberstand und den er heute als "Schimäre" begreift. Alles wäre doch auf eine Art "Manager-Sozialismus" hinausgelaufen, eine "Regierung der Fachleute", wie es Robert Havemann gesagt hätte.

Heraus in die Kunst

Trotzdem: Prag war eine Hoffnung, nach deren Niederlage die Gruppe auseinanderfiel. Der Zeit der Gemeinschaft folgte die Zeit der Isolation. Nach seiner Haftentlassung, sagt Florian Havemann, wechselten Freunde die Straßenseite. Es war vorbei. Drei Schlüsse zog man wahlweise aus der Situation. In die SED eintreten, um sie von innen zu reformieren: Das sei der Weg seines Bruders Frank gewesen. Abwarten, was in Moskau passiert, das war die Haltung seines Vaters. Ihm selbst war klar: In der DDR würde es keinen Sozialismus geben, in dem er hätte leben wollen. Nach der Haft hatte er die Arbeiter erlebt: "Die wollten gar nichts mehr, die waren völlig fertig."

Der Weg nach Westen sei sein Weg nach draußen gewesen, sagt Florian Havemann. Ein Weg in die Kunst, wie für viele Kinder des "Roten Adels". Die Schriftsteller Thomas Brasch, Irina Liebmann und Barbara Honigmann zum Beispiel, den City-Sänger Toni Krahl. "Wir waren", sagt Florian Havemann, "ein Haus der Jungen Talente."