17. Juni 1953 17. Juni 1953: Ulbricht war eiskalt
Halle/MZ. - Der Schriftsteller Heiner Müller (1929-1995) war ein Augenzeuge des Aufstandes in Berlin. In seinen Erinnerungen "Krieg ohne Schlacht" (KiWi, 504S., 12,50 Euro) spricht er über Ulbricht und den 17. Juni. Wir dokumentieren einen Auszug.
Ich hatte selbst keine Hoffnungen, auch keine zerschlagenen, ich war ein Beobachter, nichts weiter. Ich hatte zum Beispiel mit Ulbricht weder positiv noch negativ etwas im Sinn. Ulbricht war eine komische Figur für uns alle. Für viele Leute war er eine Hassfigur. (...) Ulbricht war eiskalt. (...) Die Qualität von Ulbricht war, dass er ein Feigling war und deswegen geeignet für die Diktatur. Die Angst hat er in Moskau gelernt. Stalin liebte ihn nicht. Ulbricht wusste genau, dass er nicht beliebt war. Wenn Not am Mann war, hat er natürlich auch Kinder geküsst. Eine finstere Figur. (...)
Sein Plan, die DDR autark zu machen, war schwachsinnig, aber es war seine beste Idee. Verbal war er den Sowjets gegenüber ganz devot, verlogen, wie jeder erfolgreiche Politiker. Irgendwann traf ich in Ahrenshoop Jan Koplowitz, einen DDR-Schriftsteller, er erzählte mir, er habe Ulbricht getroffen, und der habe ihn gefragt: "Nu, Genosse Koplowitz, was schreibst'n jetzt?" Koplowitz war noch im "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller" gewesen und sagte: "Ich will jetzt ein Buch über den 17. Juni schreiben." Da hat ihm Ulbricht erklärt, wie er das machen muss: "Nu, pass uff, das musste so schreiben. Da ist ein Funktionär, ja, und der hat Mist gebaut und muss in die Produktion, an die Basis. Und nu hat er weeche Hände, Macht macht weeche Hände, und kann nicht arbeeten, und nu moopt er."
Also eine Erklärung des 17. Juni aus der Schwierigkeit eines geschassten Funktionärs, der (...) anfängt, die Proleten zum Aufstand anzustacheln, damit er nicht mehr arbeiten muss. Die wirkliche Geschichte war ja wohl, dass Ulbricht, Honecker und ein Dritter nach Moskau bestellt wurden, und sie wurden da mit dem Konzept von Berija konfrontiert, die DDR aufzugeben. Also freie Wahlen und Schluss mit dem Experiment. Sie waren einverstanden, sie mussten es sein, kamen zurück nach Berlin, und da war der 17. Juni. Und der 17. Juni hat ihnen geholfen, dadurch konnten sie überleben. (...) Das ist (...) ein Drehpunkt in der DDR-Geschichte, der 17. Juni als letzte Chance für eine neue Politik, für eine andre DDR-Geschichte, verpasst aus Angst vor der Bevölkerung und vor dem übermächtigen westlichen Gegner. Aber vielleicht ist auch das eine Illusion.