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125. Todestag von Karl Marx

Von Birgit Reichert 14.03.2008, 08:54

Trier/dpa. - Elf Menschen standen im März 1883 am offenen Grab von Karl Marx auf dem Londoner Friedhof Highgate. Friedrich Engels sprach von einem «unermesslichen Verlust für das kämpferische Proletariat» und rief dem langjährigen Freund nach: «Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!»

Engels hatte Recht: Auch 125 Jahre nach seinem Tod (14.3.1883) gilt Marx als großer Philosoph und Ökonom, der wie kein anderer Deutscher der Neuzeit die Welt verändert hat. Seine Ideen spalteten die Welt in zwei Systeme und prägten die Geschichte des 20. Jahrhunderts - auch wenn sie heute so umstritten bleiben wie zu Marx' Lebzeiten.

Mehr noch: In der heutigen Zeit, in der es weniger um Sozialismus oder Kapitalismus als um Globalisierung geht, sind die ökonomischen Analysen des revolutionären Denkers wieder aktuell. Marx ist für Politiker wieder zitierfähig: Im «globalisierten Turbokapitalismus», in dem nur noch Kapital und Rendite das Sagen haben, ist plötzlich die Rede vom «Primat der Ökonomie über die Politik», einer «neuen Klassengesellschaft», «Heuschrecken» und der «Ökonomisierung aller Lebensbereiche». Es ist die Ohnmacht vor einer unüberschaubaren Welt, die nach Erklärung ruft - und da taucht Marx «wie ein Steh-auf- Männchen» wieder auf, sagt die Leiterin des Museums Karl-Marx-Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung, Professorin Beatrix Bouvier, in Trier.

«Er hat in vielerlei Hinsicht das kapitalistische System in seiner Grundstruktur richtig beschrieben», sagt Politikwissenschaftler Klaus Körner in Hamburg. Die weitere Entwicklung der Gesellschaft in Krisen habe er aber nicht gesehen. «Er war vor allem ein Analytiker», sagt Historikerin Bouvier. Sein «Analyseinstrumentarium» sei heute noch gültig, auch wenn es nicht zu Lösungen führe. «Marx hatte keine Idee, wie die Gesellschaft aussehen könnte. Erst später wurden mit seiner Lehre geschlossene Systeme entwickelt, die den Missbrauch - ob von Lenin oder von Stalin - möglich gemacht haben.»

Seine größte Wirkung hatte Marx, 1818 als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts in Trier geboren, im 20. Jahrhundert mit seiner Utopie einer klassenlosen Gesellschaft und von sozialer Gerechtigkeit: Die internationale sozialistische Bewegung erkannte ihn als Ahnherr des Kommunismus an und legte ihn nach Belieben aus. 1917 berief sich Lenin beim Sturz des russischen Zaren auf die Lehren von Marx, die er mit Betonung des Führungsanspruchs der Arbeiterpartei zum «Marxismus- Leninismus» ausbaute. Lenins Nachfolger, der sowjetische Diktator Josef Stalin, rechtfertigte den Mord von Andersdenkenden im zweistelligen Millionenbereich mit dem Primat der Kommunistischen Partei. Das entsprach nicht Marx' Ideal von der Freiheit mündiger Arbeiter, wurde aber mit seinem Namen missbraucht.

Auch in China, Vietnam und Lateinamerika kämpften Revolutionäre unter dem Etikett Marx. Und die Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946 in der späteren DDR fand vor einer überdimensionalen Marx- Büste statt. In den 1980er Jahren noch lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Staaten, die sich auf den Marxismus beriefen. Obwohl der Begriff des Marxismus eigentlich von Marx-Gegnern stammte, die sich 1870 um den russischen Anarchisten Michail Bakunin scharten. Und Marx selbst einmal betont hatte: «Ich bin kein Marxist.»

Das Denken von Marx war revolutionär: Der kommunistische Vordenker analysierte mit Friedrich Engels die Verhältnisse im Zeitalter der industriellen Revolution und beschrieb die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch Unternehmer und Feudalherren. Die Behauptung, das Sein bestimme das Bewusstsein, stellte die bestehende Ordnung in Frage. Im 1848 veröffentlichten «Kommunistischen Manifest» rief Marx die Arbeiter mit dem legendären Appell «Proletarier aller Länder, vereinigt euch!» zum Handeln auf. Es sei der größte Verdienst von Marx gewesen, den Arbeitern erstmals ein Selbstbewusstsein zu geben, sagt Marx-Forscher Körner, der pünktlich zum 125. Todestag von Marx eine Biografie und ein Karl-Marx-Lesebuch auf den Markt gebracht hat.

In seinem Hauptwerk «Das Kapital», an dem Marx jahrelang schrieb, setzt er dem herrschenden System das Ziel einer «klassenlosen Gesellschaft» entgegen, die «die freie Entwicklung eines jeden» ebenso wie «die freie Entwicklung aller» garantieren soll. Er glaubt, langfristig werde der Kapitalismus an seinen eigenen Widersprüchen scheitern.

«Er war jedenfalls ein Denker, der auf die weitere Entwicklung der Geschichte in Europa und in der Welt einen enormen Einfluss genommen hat», sagt der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Noch 1891 war das Erfurter Programm der SPD in weiten Teilen von Marx' klassenkämpferischer Vorstellung bestimmt. Erst 1959 wandelte sich die SPD - unter dem Eindruck des in der DDR real existierenden Sozialismus und des Wirtschaftswunders im Westen - mit dem Godesberger Programm endgültig von einer sozialistischen Arbeiterpartei zu einer Volkspartei.

Mit dem Ende der DDR 1989, dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion war das Scheitern jener klar, die über Jahrzehnte die Interpretationshoheit über Marx beansprucht hatten. Die kommunistische Utopie vom irdischen Paradies war gescheitert.