10 Jahre Youtube 10 Jahre Youtube: Aufruhr im Parallel-Kosmos Youtube

Florian Mundt, 27 Jahre, bleiches Gesicht, schwarze Baseballkappe, sieht immer etwas übermüdet aus. Das liegt an dem Paralleluniversum, in dem er ein Mega-Star ist – der Online-Videoplattform Youtube. Florian Mundt nennt sich dort LeFloid, er ist einer der erfolgreichsten Youtuber in Deutschland; einer von denen, die inzwischen hauptberuflich für die Plattform drehen. 2,3 Millionen Menschen haben seinen Kanal abonniert.
„Action News, aber hart“, ist der Slogan seines Videoformats LeNews, in dem Mundt vor einem lebensgroßen weißen Sturmtruppen-Kostüm mit kleinen Actionfiguren im Hintergrund das Tagesgeschehen kommentiert – immer hochemotional und radikal subjektiv. Eine knappe Million Menschen sehen ihm dann zu, wenn er erklärt, wieso das geplante TTIP-Freihandelsabkommen der EU mit den USA das Gesundheitssystem bedroht oder die Terrormiliz IS den Koran missbraucht.
Es sind besonders 16- bis 24-Jährige, die bei LeFloid einschalten, und zwar so viele, dass er mit dem Format regelmäßig doppelt so viele Zuschauer unter 29 Jahren erreicht wie die ARD-Tagesschau – mit durchschnittlich 400.000 Zusehern die immerhin meistgesehene Fernseh-Nachrichtensendung in dieser Altersgruppe.
Bei Personen über 30 ist die Wahrscheinlichkeit hingegen hoch, dass sie von LeFloid, YTitty und all den anderen Stars der Szene noch nie gehört haben. „Wenn ich sage: ich mache Videos im Internet, dann wird das entweder nicht verstanden oder die Leute haben Angst, du drehst Pornos“, sagt Mundt.
Noch nie hat die Mehrheit der Gesellschaft so wenig von den Popstars der Teenager mitbekommen. Dabei übertrumpft deren Popularität längst die von Schauspielern und Musikern. Das US-Magazin Variety sorgte für Aufruhr, als es Mitte letzten Jahres eine Umfrage über die beliebtesten Popstars US-amerikanischer Teenager veröffentlichte. Jennifer Lawrence, Katy Perry oder Leonardo Di Caprio schafften es zwar noch auf die Liste. An deren Spitze aber standen ausschließlich Youtube-Stars: Smosh, The Fine Broth, PewDiePie, KSI und Ryan Higa. „Es ist altersmäßig schon eine Parallelgesellschaft“, sagt Mundt.
Diese Parallelgesellschaft wird allerdings nicht mehr lange eine bleiben. Denn die Jugendlichen, die mit Youtube aufgewachsen sind, wechseln nicht ihre Gewohnheiten, nur weil sie langsam erwachsen werden. „Die Leute werden mit uns älter“, sagt Mundt. In den USA erreicht Youtube nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Nielsen bereits mehr Menschen zwischen 18 und 34 als jedes Kabel-TV-Netzwerk. „Youtube hat in den letzten Jahren rapide an Relevanz gewonnen.“
Gegründet wurde Youtube vor genau zehn Jahren, am 14. Februar 2005. Neunzehn Monate später kaufte Google die Plattform für 1,65 Milliarden Dollar. Seither ist eine gigantische Industrie um Youtube entstanden. Mehr als eine Million Videokünstler verdienen weltweit mit Youtube Geld, Tausende von Kanälen fahren jährlich sechsstellige Euro-Beträge ein, die erfolgreichsten von ihnen mehrere Millionen im Jahr. Auch in Deutschland, sagt Youtube-Manager Andreas Briese, verdienten inzwischen mehrere tausend Menschen im Umfeld der Videoplattform ihren Lebensunterhalt.
Um die erfolgreichsten Videokünstler buhlen sogenannte Multichannel-Netzwerke, die wie Platten-Firmen die Youtuber vermarkten und dafür einen Teil der Werbeeinnahmen einstreichen, die Youtube an die Kanäle auszahlt. Risikokapitalfirmen setzen darauf, dass aus diesen Netzwerken die Medienkonzerne der Zukunft entstehen. Maker Studios, ein Netzwerk aus den USA, wurde für knapp eine Milliarde Dollar von Disney übernommen.
Mit dem Investitionsvolumen steigt zugleich der Druck, das Kanalwachstum so stark wie irgend möglich zu beschleunigen. Immer mehr Youtuber kritisierten in den letzten Monaten, ihre Kanäle würden nur noch auf Profit und Wachstum getrimmt werden. Florian Mundt gehört zu einer knappen Handvoll bekannter Youtuber, die dem größten deutschen Youtube-Netzwerk Mediakraft inzwischen den Rücken gekehrt haben. Sie versuchen es nun vorerst als Independent-Kanäle.
Trotz der zunehmenden Professionalisierung bleibt die Arbeit für Plattform für viele Video-Macher ein 24-Stunden-Job. Um neun ins Büro kommen, um fünf wieder gehen – „unmöglich“, sagt Mundt.
Was viele nicht verstehen: Youtube ist kein Online-Fernsehen, es ist ein soziales Netzwerk mit Videos. Es wird erwartet, dass Youtuber mit der Community interagieren – und zwar ständig. „Egal, ob du deine Eltern besuchst, Wochenende hast oder im Urlaub bist: Du hast immer Smartphone, Tablet und Laptop dabei und checkst deine Kommentare, nicht nur auf Youtube, sondern auch auf Instagram, Twitter und Facebook,“ sagt Mundt. Auszeiten gilt es, möglichst komplett zu vermeiden: „Drei Wochen Urlaub heißt, sechs Videos vorzuproduzieren.“
