"Superstars" der Wirtschaft Wirtschaft: Große Unternehmen hängen die Kleinen immer häufiger ab

Berlin - Wer erinnert sich noch an das Goggomobil? Der putzige Kleinwagen erfreute sich im Nachkriegs-Westdeutschland großer Beliebtheit. Doch 1968 wurde der Hersteller Hans Glas GmbH von BMW übernommen und verschwand im Jahr darauf – wie so viele Autobauer. Von den elf unabhängigen deutschen Firmen der Fünfziger sind heute noch drei Großkonzerne übrig: BMW, Daimler und Volkswagen. In Frankreich haben von 20 Autobauern zwei überlebt, in Italien einer, in Großbritannien keiner. Die Autobranche gilt als ein Modell für Marktkonzentration und Kapitalzentralisation. Und dieser Trend setzt sich fort, in allen Ländern und Sektoren: Weltweit dominieren wenige Riesen ihre Branchen. Der Aufstieg der „Superstar-Firmen“ hat weit reichende Folgen für Wirtschaft und Einkommensverteilung.
Die westeuropäische Autoindustrie erlebte ihre große Konsolidierung in den fünfziger und sechziger Jahren – aus rund 70 Anbietern wurden bis 1960 laut Unternehmensberatung KPMG 27. Anfang der Achtziger zählte der Markt nur noch zehn eigenständige Spieler, heute sind es sechs: Neben den drei deutschen existieren noch Fiat, PSA und Citroen. Alle anderen wurden aufgekauft oder gingen pleite. Die Überlebenden sind zu Giganten geworden.
Wachsende Marktkonzentration in allen Sektoren
Ähnliche Entwicklungen gibt es in anderen Branchen. Der Schweizer Ökonom David Dorn erkennt eine „wachsende Marktkonzentration in allen Sektoren der US-Wirtschaft“ – Einzelhandel, Industrie, Energie, Transport und Finanzen. Die Daten deuten laut Dorn darauf hin, dass die Bewegung in Europa in die gleiche Richtung geht.
Augenfällig ist sie derzeit im Chemie- und Agrarsektor. Dort führen Milliardenfusionen großer Konzerne wie Bayer/Monsanto, Dow/Dupont, Potash/Agrium oder ChemChina/Syngenta zur Zusammenballung von Geld und Macht. Das Expertenpanel IPES warnt vor einer „nie dagewesenen Konsolidierung und immer größeren Spielern in der Verarbeitung und Verteilung“. Die zehn größten Konzerne beherrschten im Sektor Saatgut nun drei Viertel des Weltmarkts, in der Agrochemie 84 und bei Landmaschinen 65 Prozent. „Farmer werden immer abhängiger von einer Handvoll Lieferanten und Abnehmer“, beklagt IPES.
Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen – so hieß es noch Anfang der 2000er Jahre, als neue Internet-Firmen auf den Markt strömten. Doch ist daraus nichts geworden. Denn in der globalen Konkurrenz bietet Kapitalmacht unzählige Vorteile. Große Firmen können leichter rationalisieren, da sie Anschaffungskosten für neue Maschinen auf große Stückzahlen umlegen können. Die Massenproduktion verschafft Kostenvorteile. Größe ermöglicht globalen Vertrieb, große Budgets für Werbung und Innovation – die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bestreiten vor allem die Branchenriesen. Sie können sich zudem ein Heer von Spezialisten, Anwälten und Steuerberatern leisten, um ihre Kosten zu drücken.
Auf die Größe kommt es an
„Size matters“ – auf die Größe kommt es an, stellte schon vor zwei Jahren die Unternehmensberatung McKinsey fest. „Große Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz profitieren am stärksten vom globalen Aufschwung“, so McKinsey. Unter den Aktiengesellschaften fahren die größten zehn Prozent 80 Prozent aller Gewinne ein. Die Multis bestreiten 80 Prozent des globalen Handels.
Zunehmend scheinen die dominanten Spieler auch in der Lage zu sein, sich vom Rest des Feldes abzusetzen. Daten der OECD zeigen: Große Firmen sind tendenziell produktiver als kleine. Und jenen Unternehmen, die ihre Produktivität stark steigern können, steht eine große Gruppe gegenüber, wo sich rein gar nichts tut. In Großbritannien zum Beispiel konnte ein Prozent der Firmen ihre Produktivität um jährlich sechs Prozent steigern, so Andrew Haldane, Chefökonom der britischen Zentralbank. Bei 30 Prozent der Firmen hingegen stagniert die Produktivität seit der Jahrtausendwende. „In den heutigen globalisierten Märkten“, so Haldane, „sind Größenvorteile sehr wirkmächtig und schaffen so Monopole, in denen eine kleine Gruppe von Spielern den Markt beherrscht.“
Die großen Fünf im Bereich Internet
Bekannt ist dieser Zustand im Bereich Internet und Computer. Hier dominieren die Großen Fünf: „Apple, Google, Facebook, Amazon, und Microsoft fahren riesige Gewinne ein, die auf Teil-Monopolen beruhen“, so der Ökonom Sebastian Dullien. Sie lägen uneinholbar vorn: Die Forschungsausgaben der Großen Fünf seien von Neu-Konkurrenten nicht zu erreichen. Google betreibe seine Datenzentren effizienter als es jeder neue Herausforderer könnte. Allein um Googles Hardware anzuschaffen, müsse ein Konzern schätzungsweise 30 Milliarden Dollar investieren. „Und schließlich haben die Großen Fünf so viel Geld, dass sie jedes Start-up mit einer guten Idee sofort aufkaufen können“, so Dullien.
Laut dem Ökonomen Dorn hat die Machtkonzentration nicht nur Auswirkungen auf die Verteilung von Einkommen zwischen den Unternehmen – die Großen hängen die Kleinen ab. Sondern auch auf die Verteilung von Einkommen zwischen Kapital und Arbeit. So erkläre der Aufstieg der „Superstar-Firmen“ zum Teil den seit Jahrzehnten zu beobachtenden Rückgang der Lohnquote, also des Anteils des Volkseinkommens, das die Arbeitnehmer erhalten. Der Zusammenhang ist laut Dorn auffällig: In jenen Sektoren, in denen die Kapitalzentralisation besonders stark voranschreitet, sinkt auch die Lohnquote besonders stark, die Kapitaleigner erhalten immer mehr.
Zwar zahlen die „Superstars“ ihre Angestellten gut. Gleichzeitig jedoch erzielen sie derartig hohe Gewinne, dass der Anteil des Lohns gering ist. Zudem nutzen die Superstars die Möglichkeiten der Auslagerung von Tätigkeiten an Selbstständige, Zeitarbeitsfirmen oder Werkvertragsnehmer und begrenzen die Lohnauftrieb auf ihre Kernbelegschaft, die sie gleichzeitig durch die Drohung weiterer Auslagerungen unter Druck setzen können. Die Ausbreitung der Großen drückt damit die gesamtwirtschaftliche Lohnquote. „Diese Entwicklung trägt zur zunehmenden Einkommensungleichheit bei“, schreibt Dorn, „weil der Kapitalbesitz in der Bevölkerung sehr ungleich verteilt ist.“