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Wall Street in der Börde Wall Street in der Börde: Sachsen-Anhalts Norden ist Hochburg der Wertpapiere im Land

Von Julius Lukas 04.08.2018, 08:19
In der Börde spekulieren hier die meisten Menschen mit Wertpapieren
In der Börde spekulieren hier die meisten Menschen mit Wertpapieren imago stock&people

Halle (Saale) - Würde man die amerikanische Wertpapierbörse Wall Street nach Sachsen-Anhalt verlegen wollen - man müsste sie in der Börde ansiedeln. Denn in dem Landkreis im Nordwesten leben Sachsen-Anhalts Zocker. Prozentual gesehen spekulieren hier die meisten Menschen mit Wertpapieren.

Knapp zwei Prozent der Börde-Bewohner besitzen Aktien und etwa 3,5 Prozent von ihnen investieren in Fonds - das geht aus einer aktuellen Studie der comdirect-Bank hervor, für die 45.000 Menschen in ganz Deutschland zu ihrem Anlageverhalten befragt wurden.

622 Euro weniger pro Monat

Mit etwas Abstand auf die Börde folgen das Jerichower Land (0,76 Prozent Aktien und 2,86 Prozent Fonds) sowie der Saalekreis (0,75 Prozent Aktien und 2,53 Prozent Fonds). Für Karl-Heinz Paqué (FDP), Sachsen-Anhalts Ex-Finanzminister und Wirtschafts-Professor an der Uni Magdeburg, spiegelt dieses Ergebnis ein Wohlstandsgefälle.

„Auch in Sachsen-Anhalt haben sich um die größeren Städte Speckgürtel gebildet“, erklärt Paqué. Dort würden die Leute leben, die in den Städten arbeiten, ganz gut verdienen und ein Eigenheim haben. Gestützt wird diese Erklärung von der comdirect-Studie, die auch das verfügbare Nettohaushaltseinkommen erfragte. In der Börde liegt es etwa 250 Euro pro Monat höher als in Magdeburg. Noch deutlicher ist der Unterschied zwischen Halle und dem Saalekreis. In der Stadt hat ein Haushalt laut Erhebung 622 Euro pro Monat weniger zur Verfügung als im umgebenden Kreis.

Diese Vermögensunterschiede erklären in Teilen auch die Differenzen beim Aktienbesitz, da wohlhabendere Menschen eher dazu tendieren, ihr Geld in Wertpapiere zu investieren. Allerdings betont Ökonom Paqué , dass auch die Randgebiete der Städte in Sachsen-Anhalt bundesweit nicht mithalten können: „Verglichen mit dem Raum um Frankfurt oder München ist der Speck in Sachsen-Anhalt noch mager.“

Auch der Aktien-Atlas zeigt das deutlich. Die Zockerhochburgen aus Sachsen-Anhalt finden sich da im hinteren Drittel wieder. Die Spitzenposition nimmt der südlich von München gelegene Kreis Starnberg (Bayern) ein, in dem 40,8 Prozent der Einwohner ein Aktienportfolio besitzen und zwei Drittel Fondssparer sind. Es folgen der Hochtaunuskreis (Hessen) bei Frankfurt sowie Landshut (Bayern).

Diese großen Unterschiede zeigen auch eine der wesentlichen Erkenntnisse der Studie: „Auch fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland ein geteiltes Land, zumindest was die Aktienquote angeht“, sagt comdirect-Sprecher Geerd Lukaßen. In den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besäßen in keinem Kreis mehr als fünf Prozent der Bevölkerung Aktien oder Fonds - nur im Saarland gebe es ähnlich geringe Quoten.

Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung erklärten Wirtschaftsexperten das Ost-West-Gefälle mit einer geringeren Risikobereitschaft, weniger Finanz-Kenntnissen sowie kleineren Vermögen im Osten. Laut einer Statistik der Bundesbank hatte 2016 in den neuen Bundesländern (mit Berlin) jeder Einwohner ein verfügbares Nettokapital von 24 800 Euro. In der Region Süd (Bayern, Baden-Württemberg und Hessen) waren es 112 500 Euro. Entsprechend gibt es dort auch höhere Quoten beim Aktien- und Fonds-Besitz.

Deutsche sind Aktienmuffel

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Reint E. Gropp, findet die Deutschen aber insgesamt zu passiv beim Börsenhandel. „Dabei erzielen Aktien und Fonds, wenn man sie über einen längeren Zeitraum - also mehr als fünf Jahre - hält, weitaus höhere Renditen als etwa Tagesgeldkonten, Sparkonten oder andere konservative Anlageformen“, so Gropp. Er fordert: „Es muss mehr in finanzielle Bildung investiert werden.“

Auch eine Berechnung von comdirect zeigt, dass mehr Wissen über die Finanzmärkte wichtig wäre. Laut der Bank haben die Sparer allein im ersten Quartal 2018 rund 7,1 Milliarden Euro verloren, weil sie ihr Geld in Anlagen investierten, deren Verzinsung unter der Inflationsrate lag. (mz)