Ruhe vor dem Sturm? Sorge vor Privatpleiten-„Bugwelle“ in Sachsen-Anhalt
Im Bund explodierte zuletzt die Zahl der Privatinsolvenzen. In Sachsen-Anhalt ist der Anstieg bisher nur marginal. Die Schuldnerberatungsstellen befürchten die Ruhe vor dem Sturm.

Halle (Saale) - Noch ist die von einigen Experten befürchtete Welle der Privatpleiten in Sachsen-Anhalt ausgeblieben. Während die Zahl der Menschen, die den Gang zum Insolvenzgericht antreten mussten, bundesweit bereits im ersten Quartal sprunghaft anstieg, verzeichnete Sachsen Anhalt laut Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel zuletzt nur ein Mini-Plus.
Dass diese gemäßigte Entwicklung im Land anhält, glaubt die Geschäftsführerin des größten Verbandes der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Pandemie und die damit verbundene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eine Art „Bugwelle“ vor sich her schiebt“, sagte Antje Ludwig vom Paritätischen. Sie rechne in der zweiten Jahreshälfte mit deutlich mehr Anfragen bei den Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen des Verbandes.
Die Beratungsstellen sehen Ludwig zufolge einige Faktoren, die diese Vermutung fütterten. Zwar kämen momentan noch viele Menschen mit dem Kurzarbeitergeld über die Runden, gerade in der Gastronomie oder im Einzelhandel. Aber ob diese Geschäfte ihren Betrieb auf Dauer wieder vollumfänglich aufnehmen können, bleibe abzuwarten, betonte Ludwig. Hinzu kämen bereits jetzt gestiegene Preise für Lebensmittel oder andere Waren des täglichen Bedarfs, die „tief ins ohnehin geschmälerte Budget vieler Menschen einschlagen“.
Die Entwicklungen im Bund könnten ein Fingerzeig für das sein, was in Sachsen-Anhalt womöglich verzögert einsetzt. Im ersten Quartal 2021 wurden nach Crifbürgel-Zahlen in Deutschland 31 821 Privatinsolvenzen gemeldet. Das waren 56,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In Sachsen-Anhalt wurden hingegen zwischen Januar und März von nur 752 Personen Privatinsolvenz angemeldet. Das entspreche einer Steigerung von nicht mal einem Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Den bundesweiten Anstieg zu Jahresbeginn führte Crifbürgel-Geschäftsführer Frank Schlein vor allem darauf zurück, dass viele Betroffene eine Gesetzesreform abgewartet hätten. Verbraucher können inzwischen einfacher nach drei statt wie bisher nach sechs Jahren von ihren Restschulden befreit werden. Die Verkürzung gilt rückwirkend auch für Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt wurden.
Die Schuldnerberatungsstellen in Sachsen-Anhalt seien mittlerweile wieder voll ausgelastet, sagte Ludwig. Als zu Beginn der Pandemie 2020 zeitweise keine Präsenzberatungen möglich waren, hätten die Stellen die Zurückhaltung bei den Menschen deutlich gespürt. Im Laufe der Zeit habe die Nachfrage an Beratungen aber wieder das bekannte Maß erreicht, so Ludwig.
Ludwig mahnte, das Land und die Kommunen müssten eine eventuell nötige Aufstockung des Personals in den Beratungsstellen unbedingt mittragen. Denn die Beratung benötige Zeit und sei mitunter sehr aufwendig und komplex. „Alleine die Erfassung der Gläubiger - unter Umständen 20 bis 30 - und der tatsächlichen Schuldenhöhe nimmt sehr viel Zeit in Anspruch“, sagte Ludwig. Hinzu komme der psychosoziale Aspekt einer solchen Beratung. Verschuldete Menschen schieben nach den Worten von Ludwig das Problem häufig vor sich her oder negieren es bis zuletzt. Die Menschen und das Umfeld seien mitunter schwerbelastet durch das über ihnen „schwebende Damokles-Schwert“.
Neben Überbrückungshilfen galt die zeitweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, denen es vor der Pandemie gut ging, als ein wichtiges Instrument, Firmeninsolvenzen im großen Umfang während der Coronakrise zu verhindern. Diese Regelung lief nach und nach zum 1. Mai dieses Jahres aus.