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Mindestlohn ab 2015 Mindestlohn ab 2015: Minister Bischoff beim Friseur

Von Felix Knothe 04.12.2014, 20:17
Norbert Bischoff (li.) im Salon von Sieglinde Bechem (re.)
Norbert Bischoff (li.) im Salon von Sieglinde Bechem (re.) DPA Lizenz

Magdeburg - Als der Tross aus Minister, Handwerkskammerfunktionär, Pressesprechern und Medienleuten schon fast fertig ist, wird es der Seniorin, die auf ihren Friseurtermin wartet, doch zu bunt. Immerhin ist der Laden überfüllt. „Was sind Sie denn für ’ne Truppe?“, fragt sie den Mann mit der besten Frisur. „Ich bin der Sozialminister, und Sie haben eine tolle Friseurin“, sagt Norbert Bischoff (SPD). Der Landesminister war nicht auf dem Stuhl.

Er hatte die Haare auch zu Beginn des Termins schon schön. Und trotzdem hat er sich gestern diesen Friseursalon im Zentrum von Magdeburg ausgesucht, um über die Auswirkungen des Mindestlohns von 8,50 Euro, der ab 1. Januar kommt, zu reden und Befürchtungen zu zerstreuen.

Bischoff hätte auch in eine Kneipe gehen können. Der Gaststättenverband Dehoga hat jüngt prognostiziert, dass jede fünfte Wirtschaft im Land nächstes Jahr dicht machen muss. Oder zum Bäcker - wegen des Mindestlohns ist auch hier die Stimmung mies. Oder in eine Schulkantine - praktisch alle Großküchen wollen die Preise anheben. Auch Wirtschaftsverbände warnen seit Wochen wieder vor den Folgen der Mindestlohneinführung.

Ifo-Analyse

Am Donnerstag veröffentlichte das Münchner Ifo-Institut eine Analyse, wonach durch den Mindestlohn mit Personalabbau zu rechnen sei. Befragt worden waren deutschlandweit 6?300 Unternehmen, über ein Viertel davon gab an, direkt betroffen zu sein. 22 Prozent davon wiederum wollen mit Entlassungen reagieren, vor allem der Einzelhandel. Im Gaststättengewerbe sind nach der Umfrage dagegen Preiserhöhungen das Mittel der Wahl (31 Prozent).

Die Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau hatte bereits Anfang November gewarnt, im Land lägen die Beschäftigungserwartungen der Unternehmen wegen des Mindestlohns auf dem Krisenniveau von 2009.

Der Friseur aber war ein verhältnismäßig sicheres Terrain für den Minister. Das liegt daran, dass das Haar-Handwerk die Debatten um Lohnuntergrenzen bereits vor über einem Jahr geführt hat, als diese dort tariflich festgelegt worden waren. „Wir hatten Zeit, das Schritt für Schritt umzusetzen“, sagt Sieglinde Bechem, der der Magdeburger Friseursalon gehört.

Vor zehn Jahren verdienten ihre sieben festen Mitarbeiter noch 4,50 Euro je Stunde, nun will sie ab 1. Januar auf 8,50 Euro erhöhen, acht Monate früher, als sie müsste. Die Kunden hätten die Preiserhöhungen akzeptiert. Das Geschäft laufe gut. Die Mitarbeiter seien zufrieden, auch weil sie jetzt wieder mehr Wertschätzung erführen. „Friseur, das ist nicht mehr der Billig-billig-Beruf“, sagt Bechem.

250.000 Menschen in Sachsen-Anhalt

Laut Bischoffs Ministerium arbeiteten 250.000 Menschen in Sachsen-Anhalt für weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Das seien knapp 28 Prozent aller Beschäftigten. 64?000 Sachsen-Anhalter müssten in Zukunft nicht mehr aufstocken, also trotz Job zum Amt gehen. Dass es „Anpassungsschwierigkeiten“ an die neue Situation geben werde, bestreitet Bischoff nicht. Er findet das sogar gut. „Dann wird der Markt bereinigt von denen, die mit Lohndumping den Wettbewerb verzerren“, sagt er. „Langfristig ist der Mindestlohn gut für die Wirtschaft.“ Freigesetzte Arbeitnehmer würden auch oft neue Jobs finden.

Von den vom Ifo-Institut befragten Unternehmen sehen sich 27 Prozent vom Mindestlohn direkt betroffen. Sprich: Ihre Lohnkosten steigen. Im Verarbeitenden Gewerbe waren es 21 Prozent, bei den Dienstleistern über 30 Prozent. Stark betroffen sehen sich Branchen, wo bislang besonders schlecht bezahlt wird. Zum Beispiel im Gastgewerbe (72 Prozent), Einzelhandel (43 Prozent), Verkehr und Lagerei (41 Prozent) oder bei den „sonstigen Dienstleistungen“ wie Reisebüros, Wachdienste, Gebäudebetreuung (38 Prozent). Stärkere Auswirkungen hat der Mindestlohn in Ostdeutschland wo sich 43 Prozent der Betriebe betroffen sehen. Im Westen ist es kaum ein Viertel.

Von den betroffenen Unternehmen gaben 57 Prozent an, auf den Mindestlohn reagieren zu wollen. Das bedeutet: Nur etwa 15 Prozent aller befragten Unternehmen planen Maßnahmen auf Grund des Mindestlohns. Zur Auswahl stellte ihnen das Ifo-Institut hierbei Personalabbau, Arbeitszeitverkürzung, Preiserhöhung, geringere Investitionen und die Kürzung von Sonderzahlungen an die Mitarbeiter. Die Firmen durften auch mehrere Maßnahmen ankreuzen. Einen Zeitraum, wann die Maßnahmen umgesetzt werden, gab das Ifo nicht vor. Es fragte auch nicht nach eventuellen positiven Auswirkungen des Mindestlohns, zum Beispiel höhere Umsätze.

Knapp 22 Prozent der betroffenen Unternehmen planen, als Reaktion auf den Mindestlohn Personal abzubauen. Vor allem der Einzelhandel (29 Prozent) will auf dieses Mittel zurückgreifen. Hier ist laut Ifo-Institut der Wettbewerbsdruck sehr stark, weswegen Preiserhöhungen als Ausgleich weniger möglich sind.

Preiserhöhungen als Reaktion auf den Mindestlohn planen insgesamt 25,7 Prozent der betroffenen Unternehmen. Hier vor allem die Dienstleister (31,3 Prozent), die weniger unter internationalem Wettbewerbsdruck stehen, zum Beispiel Gaststätten (55 Prozent). Unter den betroffenen Einzelhändlern wollen knapp 24 Prozent die Preise anheben – oder haben es bereits getan. Der Mindestlohn wirke sich laut Ifo-Institut also bereits vor seiner offiziellen Einführung auf das Preisniveau aus.

Zu diesem Mittel wollen 17,5 Prozent der vom Mindestlohn betroffenen Firmen greifen. Unter den Einzelhändlern und den Gaststätten ist es sogar knapp ein Drittel. Damit verbunden ist laut Ifo häufig auch eine Verringerung des Angebots. So könnten Läden oder Gaststätten beispielsweise später öffnen oder früher schließen.

23 Prozent der betroffenen Unternehmen planen eine Absenkung der Sonderzahlungen an die Mitarbeiter, um den Mindestlohn zu kompensieren. Vor allem im Einzelhandel (28 Prozent) und im Bereich Verkehr und Lagerei (29 Prozent) wird zu diesem Instrument gegriffen.

Mit geringeren Investitionen wollen knapp 15 Prozent der betroffenen Unternehmen auf den Mindestlohn reagieren. An der Spitze stehen auch hier der Einzelhandel mit rund 23 Prozent und das Gastgewerbe mit 26 Prozent.

Burghard Grupe, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, findet den Mindestlohn „eine spannende Geschichte“. Im Handwerk hätten nur wenige Branchen Probleme damit. Leider treffe es im Nahrungsmittelhandwerk wie eben bei Bäckern oder Fleischern oft Betriebe, die ohnehin schon Probleme hätten, etwa durch die Konkurrenz durch Discounter. Der Mindestlohn komme da noch oben drauf.

Der Arbeitsminister appellierte an die Kunden, höhere Preise zu akzeptieren. „Da sind aber auch die Dienstleister oder der Wirt gefragt, das gut zu kommunizieren“, so Bischoff. Meisterin Bechem sei in dieser Hinsicht eben toll. (mz)

1,5 Millionen Arbeitnehmer könnten laut einer aktuellen Studie beim Mindestlohn außen vor bleiben.
1,5 Millionen Arbeitnehmer könnten laut einer aktuellen Studie beim Mindestlohn außen vor bleiben.
dpa Lizenz