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Leipziger City-Tunnel Leipziger City-Tunnel: Abfahrt vier Jahre später

Von Alexander Schierholz 03.10.2013, 07:27
Ein Zug der S-Bahn Mitteldeutschland hält im Porbebetrieb an der Station Bayerischer Bahnhof im neuen City-Tunnel von Leipzig.
Ein Zug der S-Bahn Mitteldeutschland hält im Porbebetrieb an der Station Bayerischer Bahnhof im neuen City-Tunnel von Leipzig. dpa Lizenz

Leipzig/MZ - Der Vorgang für sich genommen ist banal: Ein Zug fährt durch einen Tunnel. In Leipzig aber ist das am späten Dienstagabend ein Medienereignis. Rund 30 Journalisten drängeln sich in einem abgesperrten Bereich des Hauptbahnhofs. Es geht nicht um irgendeinen Zug und um irgendeinen Tunnel. Nein, es geht um die erste S-Bahn, die durch den neuen Leipziger City-Tunnel rollt. Damit beginnt an diesen Abend der Probebetrieb in den 1,4 Kilometer langen Röhren unter der Innenstadt, die am 15. Dezember in Betrieb gehen sollen.

Reizwort und Verheißung

Der City-Tunnel - in Leipzig ist er Reizwort und Verheißung zugleich. Reizwort, weil die unterirdische Strecke eines dieser gigantischen öffentlichen Infrastrukturprojekte ist, die nicht nur immer teurer werden, sondern deren Bau auch immer länger dauert. Der Tunnel wird vier Jahre später fertig als geplant und kostet mit knapp einer Milliarde Euro doppelt so viel wie ursprünglich angenommen.

Verheißung, weil mit den Röhren im Dezember ein neues S-Bahn-Netz für die Region geknüpft wird, das den Nahverkehr schneller und attraktiver machen soll. Leipzig hat einen Kopfbahnhof, alle Züge auf dem Weg vom Norden in den Süden müssen um die Stadt herumfahren. Die S-Bahnen rollen künftig unter dem Stadtzentrum durch. Eine Fahrt von Halle nach Altenburg soll dann statt 100 Minuten nur noch eine Stunde dauern.

Befürworter des Tunnels erwarten, dass davon auch Sachsen-Anhalt profitiert. Zwei der künftig sechs S-Bahn-Linien aus Leipzig enden in Halle, eine in Bitterfeld. Vor allem zwischen den beiden Großstädten ist die Zahl der Pendler groß. Das Statistische Landesamt zählt allein rund 6 400 Menschen, die aus Halle nach Sachsen zur Arbeit fahren, die meisten in den Großraum Leipzig. Die jetzige S-Bahn zwischen Halle und Leipzig nutzen täglich 8 000 Pendler, darunter etliche Studenten - Tendenz steigend. Für viele von ihnen könnten die Wege mit Inbetriebnahme des Tunnels kürzer werden. Wer jetzt noch am Hauptbahnhof in die Straßenbahn wechseln muss, kann künftig die Innenstadt und weitere Stadtteile Leipzigs ohne Umsteigen erreichen. „Durch kürzere, einfachere Wege rückt die mitteldeutsche Wirtschaftsregion enger zusammen“, erwartet Wolfgang Topf, Präsident der Industrie- und Handelskammer Leipzig. Er erhofft sich von dem Tunnel auch einen Schub für Leipzigs Einzelhandel.

Also für diejenigen, die jahrelang unter dem Projekt gelitten haben. Vor allem auf dem Marktplatz, der für den Bau der unterirdischen Station zeitweise einer Baugrube glich, inklusive Lärm, Dreck und Behinderungen. Ein Restaurantbetreiber kämpfte sogar vor Gericht um eine Entschädigung für entgangenen Umsatz - vergeblich.

Er und viele andere Gewerbetreibende hatten sich von den Bauherren, dem Freistaat Sachsen und der Bahn, über Jahre vertrösten lassen müssen. 2009, 2011, 2012, 2013 - immer wieder wurde der Eröffnungstermin nach hinten verschoben. Die Kosten stiegen und stiegen und stiegen - von anfangs 572 auf nun 960 Millionen Euro. In Leipzig machte das Wort vom „Milliardengrab“ die Runde und von der „kürzesten U-Bahn der Welt“.

Es gibt viele Gründe für den Bauverzug und die Kostenexplosion: Instabiles Erdreich. Altlasten. Gestiegene Sicherheitsanforderungen und Baupreise. Pfusch. Der sächsische Landesrechnungshof sprach 2011 in einem Gutachten von unzureichenden Planungen und Baumängeln. Die Kosten und der Zeitplan seien zu optimistisch angesetzt worden. Dem Freistaat Sachsen fällt das Desaster gewaltig auf die Füße: Er muss, so steht es im Vertrag, den größten Teil der Mehrkosten schultern, während er sich die ursprünglich veranschlagten Kosten mit Bund, Bahn und EU teilen kann.

Rechnungshof eingeschaltet

Der Rechnungshof war vom jetzigen sächsischen Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) eingeschaltet worden. Dass die Rechnungsprüfer ein Prestigeprojekt des eigenen Landes unter die Lupe nehmen, Volker Külow hielt das damals für eine „politische Bankrotterklärung“. Der Landtagsabgeordnete der Linken war lange einer der schärfsten Kritiker des Tunnels. Heute hat auch er seinen Frieden damit gemacht, wie so viele in Leipzig. „Ich will nicht als der letzte Querulant dastehen.“ Wissen will er aber schon, ob der Tunnel halten wird, was er verspricht: „Ein halbes Jahr nach dem Start müssen Fahrgastzahlen auf den Tisch.“

Jetzt aber gehört der Tunnel erst einmal den Eisenbahnern. Bis zum Start im Dezember werden sie das Verhalten der Züge im Tunnel und auf den Einfahrtsrampen testen und Havarie-Szenarien durchspielen. Messzüge sind im Tunnel unterwegs, um die korrekte Montage der Gleise und der Oberleitung zu überprüfen. Arthur Stempel ist schon jetzt zufrieden: „Wir haben die großen Arbeiten planmäßig abgeschlossen“, sagt er vor der Premierenfahrt am Dienstagabend. Planmäßig? Bei vier Jahren Verzug? Es stellte sich heraus, dass der Bahn-Bevollmächtigte für Sachsen nur die vier Tage dauernde Sperrung des Hauptbahnhofs meint, während der in der vergangenen Woche der Tunnel an das Gleisnetz und die Stellwerke angeschlossen worden ist.

Na, dann kann es ja losgehen. Leider hat der Premierenzug eine Viertelstunde Verspätung.

Premiere: der erste S-Bahn-Zug im Leipziger City-Tunnel, hier in der Station Markt
Premiere: der erste S-Bahn-Zug im Leipziger City-Tunnel, hier in der Station Markt
dpa Lizenz