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ICE-Schnellfahrstrecke ICE-Schnellfahrstrecke Berlin-München: Nach Pannenwoche höchste Zeit für eine Probefahrt

Von Alexander Schierholz 21.12.2017, 10:00
Einsteigen bitte! Nach zwei Jahren hat Halle wieder direkten ICE-Anschluss nach München, schneller als jemals zuvor. Wenn alles rollt, wie es soll.
Einsteigen bitte! Nach zwei Jahren hat Halle wieder direkten ICE-Anschluss nach München, schneller als jemals zuvor. Wenn alles rollt, wie es soll. Anne Nicolay-Guckland

Halle (Saale) - Der Zugbegleiter scannt Christian Weinerts Handy-Ticket, dann schüttelt er den Kopf, rollt mit den Augen und zückt sein Smartphone, „ich schau noch mal nach“. Kleine Pause. „Ja, wir haben die Reihenfolge richtig gemeldet. Das müssen die in Halle falsch eingegeben haben.“ Wieder Pause. „Ich versteh’ das alles nicht“, sagt er mit verzweifeltem Unterton, dann wünscht er gute Fahrt.

Dienstag, 7.12 Uhr, der Tag ist noch jung, aber die Verwirrung schon groß. Gerade ist Christian Weinert, 38, in Halle in den falschen Zugteil gestiegen. Der fährt als ICE 1638 nach Frankfurt am Main, dabei muss Weinert doch zur Arbeit nach Nürnberg. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: In Erfurt kann er einfach umsteigen, in den vorderen Zugteil, ICE 1001 nach München via Nürnberg. Bis Erfurt fahren beide Züge zusammen, dann setzen sie ihre Fahrt getrennt fort. In Halle waren die Züge in falscher Reihenfolge angezeigt worden, also war Weinert falsch eingestiegen.

Es ist Tag 10 der Schnellfahrstrecke Berlin-München. Die Nation blickt zurück auf eine Woche voller Pleiten, Pech und Pannen, voller ausgefallener und zwangsgebremster Züge. Eine Woche, in der die Deutsche Bahn den Start ihres Prestigeprojekts Schnellfahrstrecke gründlich vergeigt hat. Höchste Zeit also, mal nachzuschauen, ob es denn nun besser läuft. Vor kurzem hatte der Konzern Zahlen herausgegeben, die zeigen sollten, dass Tag für Tag mehr Züge auf der neuen Trasse unterwegs sind.

Vorher hatte sich die für den Fernverkehr zuständige Vorstandsmanagerin Birgit Bohle bei den Kunden entschuldigt. Es muss viel passiert sein, wenn die Bahn öffentlich Abbitte leistet und es schon eine gute Nachricht ist, dass Züge überhaupt fahren.

Neue ICE-Schnellfahrtstrecke: Frühstück! Bei Tempo 300

Gegen das Chaos der ersten Woche ist eine irrtümlich angezeigte „geänderte Wagenreihung“, wie es bei der Bahn so unnachahmlich heißt, eine Kleinigkeit. Keine halbe Stunde nach der Abfahrt in Halle steigt Christian Weinert in Erfurt aus ICE 1638, läuft ein paar Meter den Bahnsteig entlang und steigt in ICE 1001 ein. Ihm kommen Menschen mit Rollkoffern entgegen, die aus dem Münchner in den Frankfurter Zug wechseln. Türen zu, Abfahrt, pünktlich um 7.47 Uhr.

Und jetzt: Frühstück! Bei Tempo 300. ICE 1001 ist ein Sprinterzug, der zwischen Berlin und München nur in Halle, Erfurt und Nürnberg stoppt. Die Strecke Halle-München soll er unter drei Stunden schaffen - ob das klappt? Wie schnell Tempo 300 ist, merkt man erst, als der Zug südlich von Erfurt auch noch an den ganz eiligen Autofahrern auf der linken Spur der parallel verlaufenden A 71 mühelos vorbeizischt. Der Thüringer Wald grüßt mit verschneiten Hängen und überzuckerten Bäumen. Leider kann man den Anblick dieser Winterwunderwelt nicht wirklich genießen, weil es zwischendrin immer wieder dunkel wird: Tunnel reiht sich an Brücke reiht sich an Tunnel.

Christian Weinert bestellt im Bordbistro grünen Tee und rasch noch ein Sandwich, bevor das nicht mehr verkauft werden darf - in der Küche ist die Kühlung ausgefallen. Am Nebentisch entspinnt sich folgender Dialog: Gast: „Ich hätte gerne ein Brot mit Butter und Marmelade, haben Sie das?“ Kellnerin: „Brot und Marmelade kann ich ihnen anbieten, Butter habe ich nicht.“ Kellner, der dazukommt: „27 Grad sind schlecht für Butter.“ Gast: „Ich wollte doch frühstücken!“

Weinert arbeitet als Pressesprecher bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und ist ein Wochenendpendler - am Montagmorgen von Halle nach Nürnberg, am Freitagnachmittag zurück, immer per Zug. „Früher habe ich fast vier Stunden gebraucht, jetzt sind es weniger als zwei“, sagt er. „Wenn alles pünktlich fährt, gibt es keine bessere Alternative!“ Er bezeichnet sich als bahnaffin. „Ich schätze an der Bahn, dass ich mal dazu komme, ein Buch zu lesen.“ Er denkt schon über ein neues Bücherregal nach. 

„Aber manchmal“, sagt er, „fällt es mir schwer, die Bahn zu lieben.“

Neulich hat er viel Zeit mit ihr verbracht, mehr als ihm lieb war. Sonntag, 10. Dezember, Fahrplanwechsel, auf der Strecke rollen die ersten regulären Züge. Um 8.52 Uhr nimmt Weinert den ICE nach Nürnberg, er hat Urlaub, will Freunde besuchen. Es wird ein schöner Tag auf dem Christkindlesmarkt. Doch die Rückfahrt schildert er als Tortur: Erst geht in Nürnberg eine halbe Stunde lang gar nichts. Dann fällt kurz vor Erlangen eine Tür aus, „das war die nächste Viertelstunde Verspätung“, sagt Weinert.

Hinter Erlangen steigt das Zugsicherungssystem ETCS aus. Dreimal wird der Zug abgebremst, um schließlich über die alte Strecke durch das Saaletal umgeleitet zu werden. Um 1.18 Uhr in der Nacht zum Montag kommt Christian Weinert endlich in Halle an - statt wie geplant kurz nach 21 Uhr. Ein paar Tage später fährt er nochmal nach Nürnberg, er hat ja Urlaub. „Diesmal hatte ich nur eine Dreiviertelstunde Verspätung.“ Er grinst. Bahnfahrer brauchen Galgenhumor.

ICE 1001 ist am Dienstag noch pünktlich. Und falls es doch länger dauert? Hans-Hermann Porath winkt ab: „Für uns wäre das nicht so schlimm, wir haben ja keine Termine.“ Er sitzt mit seiner Frau Brigitte im Wagen 28, vor ihnen liegen drei Tage München. Früh am Morgen sind sie in 5.48 Uhr in Dessau in die S-Bahn gestiegen, in Halle Umstieg in den ICE. „Hat reibungslos geklappt“, sagt sie. Sie sind neugierig. „Wir wollten die neue Strecke mal ausprobieren.“

Und? Hans-Hermann Porath ist vor allem vom Tempo beeindruckt: „Ich fahre sonst viel Auto, da darf es auch mal 200 sein“, er lächelt verschmitzt, „aber gerade bei Winterwetter ist die Schnellverbindung eine gute Alternative.“ Die Pannen in der ersten Woche? „Da haben wir nur gedacht: Oh, oh!“, sagt seine Frau lachend. Da war es ohnehin zu spät, sie hatten die Tickets schon gebucht. Kurzfristig haben sie noch Karten für das Pokalspiel Bayern-Dortmund am Mittwoch ergattert. Hans-Hermann Porath strahlt übers ganze Gesicht: „Jetzt wird das eine richtig runde Sache!“

ICE 1001 hat den Thüringer Wald mittlerweile verlassen und schleicht dahin, gefühlt jedenfalls. Ein Blick auf die Digitalanzeige im Waggon zeigt: Der Eindruck täuscht, der Zug fährt immer noch Tempo 160. Schneller wird es hier erst in ein paar Jahren gehen - dieser Abschnitt der Strecke muss noch ausgebaut werden. Als wäre das ein schlechtes Omen, erreicht der Zug Nürnberg später als geplant. Eine Stunde später teilt der Zugchef mit, dass man die Verspätung nicht mehr aufholen werde, voraussichtliche Ankunft in München: 10.20 statt 10.04 Uhr. So wird es dann auch kommen.

In weniger als drei Stunden von der Saale an die Isar - diesmal hat das nicht geklappt. Aber wie hatte Hans-Hermann Porath gesagt: Hauptsache, der Zug fährt!  (mz)