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Arti-Back in Halle Früher Klemme: Wie Arti-Back im Star-Park in Halle die Bäcker gegen sich aufbringt

Von Steffen Höhne 03.02.2017, 09:00
Die Backstraßen der großen  Hersteller gleichen sich.
Die Backstraßen der großen  Hersteller gleichen sich. MZ

Halle (Saale) - „Willkommen bei unserem Start-up“, sagt Frank Küntzle und drückt einem fest die Hand. Der große, hagere Mann mit braunem Haar steht im Flur einer kleinen Büroetage. Die großen Fenster geben den Blick auf die hallesche Altstadt frei. In den Zimmern schauen Mitarbeiter konzentriert auf ihre Laptop-Monitore. Das könnte hier eine junge Software-Firma sein oder eine Werbeagentur. Es handelt sich jedoch um ein Back-Unternehmen. „In dieser Woche habe ich Mitarbeiter Nummer zehn eingestellt“, sagt der 46-Jährige. Doch das ist nur der Anfang. Vor den Toren der Saalestadt, im sogenannten Star-Park, soll für 40 Millionen Euro ein neues Werk gebaut werden. Der Grundstückserwerb wurde am Dienstag bekanntgegeben. Man kann Küntzle aktuell als Jung-Unternehmer bezeichnen, doch er ist einer, den alle deutschen Bäckerei-Fachleute kennen. Seine Neugründung sorgt bereits für Gesprächsstoff in der Branche.

Mit dem Namen Küntzle ist eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte verbunden. Der aus Baden-Württemberg stammende Wilhelm Küntzle baute 1993 in Mansfeld (Mansfeld-Südharz) einen kleinen Backwaren-Betrieb auf, der zunächst nur Croissants und Plunder herstellte. 15 Mitarbeiter waren beim Start dabei. Bereits drei Jahre später wurde der Grundstein für ein zweites, größeres Werk im benachbarten Eisleben gelegt. Die Firma Klemme, nach dem Gründer benannt, wuchs rasant mit Tiefkühl-Backwaren, die im Supermarkt oder Hotels nur noch aufgebacken werden mussten. Frank und Stefan Küntzle setzen die Arbeit ihres Vaters fort, ließen fast alle zwei Jahre eine neue Fabrik - auch in Artern und Nordhausen (beide Thüringen) - errichten.

Verkauf an Schweizer Konzern

Anfang 2013 kam dann eine für viele überraschende Nachricht: Das Unternehmen mit damals 1.400 Mitarbeitern wurde an den Schweizer Backkonzern Aryzta verkauft. Über Nacht zogen sich die Familie Künztle und die anderen damaligen Gesellschafter aus dem Backgeschäft zurück.

Gesprochen hat der Unternehmer damals über die Gründe öffentlich nicht. Heute sagt er: „Wir sind sehr schnell gewachsen. Als Mittelständler konnten wir das allein nicht mehr finanzieren.“ Allein das nun von Aryzta neu errichtete Werk 7 in Eisleben habe mehr als 100 Millionen Euro gekostet. Mit dem Verkauf ging Küntzle auch ein sogenanntes Wettbewerbsverbot ein. Das heißt, der Unternehmer durfte Aryzta keine Konkurrenz machen. Diese verordnete Auszeit endete 2016. Nach seinen Worten ist es auch nicht sein Plan gewesen, noch einmal in den Backbranche zurückzukehren. Doch es gab ein Umdenken. „Einmal Mehl an den Fingern, immer Mehl an den Fingern“, zitiert er einen Bäcker-Spruch. Doch es ist wahrscheinlich komplizierter, hat damit zu tun, wie ein Mittelständler so tickt.

Arti-Back soll sogenannte Spezialitäten im Tiefkühl-Bereich herstellen

Das neu gegründete Unternehmen Arti-Back soll sogenannte Spezialitäten im Tiefkühl-Bereich herstellen. Küntzle selbst spricht von rustikalen Broten und Brötchen, die handwerklich nur mit ursprünglichen Zutaten wie Mehl, Wasser, Salz und Hefe hergestellt werden. Der Firmenname leitet sich auch aus dem englischen Begriff artisan (handwerklich) und i für Innovation ab. Auf Backmischungen soll jedenfalls ganz verzichtet werden. „Wir wollen damit die Sortenvielfalt erhöhen“, sagt er.

Große Backkonzerne haben in den vergangenen Jahren effiziente Werke gebaut, die kostengünstig hohe Stückzahlen herstellen. Auf Marktveränderungen können sie aber nicht so schnell reagieren. Das will Küntzle nutzen: „Wir wollen mit unseren Produkten kleinere und neue Marktsegmente besetzen“. Das könne man als Mittelständler flexibler.

50 Mitarbeiter sollen im Star-Park bei Halle zunächst arbeiten

Zum Führungsteam und den Gesellschaftern gehören auch Marc Michael Saam und Axel Sehnert. Beide waren bereits bei Klemme tätig und dann bei Aryzta. Saam musste als Manager im Mai 2016 für den Schweizer Konzern bekanntgeben, dass das Backwerk Fricopan in Klötze (Altmark) geschlossen wird. Saam stand bei der Betriebsversammlung vor 500 Beschäftigten und teilte ihnen mit, dass sie ihren Job verlieren. Anschließend kündigte er selbst und baut nun Arti-Back mit auf. Küntzle will das nicht kommentieren. Muss er auch nicht. Kommentiert sich irgendwie von selbst.

Der Unternehmer, der noch immer einen schwäbischen Akzent besitzt, wohnt mit seiner Familie in Halle: „Das ist unser Zuhause, hier wollen wir leben.“ Für den Neubau wurden mehrere Standorte geprüft. Doch dass das Werk in der Umgebung von Halle entsteht, stand nicht in Frage. Im April soll im Star-Park der Spatenstich gesetzt werden, im Frühjahr 2018 die ersten Backwaren vom Band laufen. 50 Mitarbeiter sollen dort zunächst arbeiten. Für die 40 Millionen-Euro-Investition hat Arti-Back auch Fördermittel beantragt.

Das Bäcker-Handwerk in Sachsen-Anhalt kritisiert, dass die Investition wohl staatlich unterstützt wird. „Hier wird eine verfehlte Förderpolitik fortgesetzt“, sagt Andreas Baeckler, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Bäckerhandwerks. Nach seiner Ansicht werden mit Subventionen die Handwerksbäcker kaputt gemacht. „Das Handwerk spielt in der Wirtschaftspolitik keine Rolle mehr“, sagt Baeckler und führt dafür Zahlen an: „Vor drei Jahren gab es in Sachsen-Anhalt noch 320 Bäckereien, heute sind es weniger als 220.“ Sowohl Aryzta, Lieken, Edeka und nun auch Arti-Back würden mit Steuergeldern Back-Fabriken bauen, die gemessen an der Produktion wenig Personal benötigen. Unter der Konkurrenz würden aber die kleinen Bäckereien leiden.

Wird das traditionelle Handwerk verdrängt?

Küntzle kann mit solcher Skepsis beziehungsweise Vorwürfen gut umgehen. Nach seinen Worten haben die Tiefkühlbackwaren durch die Backstationen in Supermärkten erheblich Marktanteile gewonnen. „Doch auch hier wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel.“ Der Unternehmer ist fest davon überzeugt, dass es ein Nebeneinander von kleinen handwerklichen Bäckern, regionalen Filialbäckern und Tiefkühlbackwaren-Herstellern geben wird. „Jeder hat bestimmte Vorteile, die er ausspielen kann“, sagt er. Mit Interesse verfolgt er - rein als Kunde - beispielsweise wie der Markkleeberger Bäcker Wendl zuerst in Leipzig und nun auch in Halle eine Filiale nach der anderen eröffnet. „Am Ende wird es nie allein der Preis sein, sondern vor allem die Qualität, die über Erfolg und Misserfolg entscheidet“, ist Küntzle überzeugt. Es werde nicht Platz für alle geben - aber für die besten.

Zu diesen will künftig auch Arti-Back gehören. Durch die Einnahmen aus dem Klemme-Verkauf hat Küntzle die finanzielle Stärke, das Projekt anzugehen. Doch geht er damit auch ein gehöriges Maß unternehmerisches Risiko ein. „Wir haben bisher noch keinen Abnehmer. Wir werden erst in den kommenden Monaten auf potenzielle Kunden zugehen.“ Durch den Namen Küntzle und seine Kontakte werden sich einige Türen sicher schnell öffnen. Doch ob er mit Aufträgen wieder rausgeht, ist offen. Doch für die nötige Ruhe hilft ihm seine Erfahrung: „Interessante Produkte finden schon ihren Abnehmer.“ (mz)

Frank Küntzle will  rustikales Brot ohne Zusatzstoffe herstellen.
Frank Küntzle will  rustikales Brot ohne Zusatzstoffe herstellen.
MZ
Die Backwarenbranche in Deutschland erwirtschaftet einen Umsatz von rund 19,3 Milliarden Euro im Jahr.
Die Backwarenbranche in Deutschland erwirtschaftet einen Umsatz von rund 19,3 Milliarden Euro im Jahr.
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Als Klemme-Geschäftsführer zeigte Frank Küntzle im Jahr 2006 Sachsen-Anhalts damaligem Finanzminister Karl-Heinz Paqué (FDP) (von links) die Produkte des Unternehmens.
Als Klemme-Geschäftsführer zeigte Frank Küntzle im Jahr 2006 Sachsen-Anhalts damaligem Finanzminister Karl-Heinz Paqué (FDP) (von links) die Produkte des Unternehmens.
DPA