BIP Deutsche Wirtschaft wächst um 22 Prozent - rekordhohe Erwerbstätigkeit

Berlin - Nun ist es offiziell: Die deutsche Wirtschaft hat ein weiteres gutes Jahr hinter sich. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte die Produktion von Waren und Dienstleistungen 2017 abzüglich Inflation um 2,2 Prozent zu, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag mit.
Das achte Wachstumsjahr in Folge bescherte Deutschland eine rekordhohe Erwerbstätigkeit, sinkende Arbeitslosenzahlen und einen Milliardenüberschuss im Staatshaushalt. Und für 2018 sieht es gut aus. „Die Startposition einer neuen Regierung könnte kaum besser sein“, kommentierte der deutsche Industrieverband BDI.
Die deutsche Wirtschaft hat alle Prognosen der Ökonomen in den Schatten gestellt. Vor einem Jahr hatten sie im Durchschnitt ein Wachstum von 1,5 Prozent vorausgesagt. Nun sind es deutlich mehr geworden. Berücksichtigt man, dass 2017 drei Arbeitstage weniger hatte als 2016, dann summiert sich das Wachstum sogar auf 2,5 Prozent und liegt deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre.
Auch die Produktivität legt um ein Prozent zu
Damit ist es auch gelungen, einen jahrzehntelangen Abwärtstrend der Wachstumsraten vorerst zu stoppen. Laut Statistischem Bundesamt wuchs die Wirtschaftsleistung in den 50er Jahren in Westdeutschland im Durchschnitt mit 8,2 Prozent, in den 60ern mit 4,4 Prozent und in den 70ern noch mit 2,9 Prozent. In den 80ern waren es dann 2,6 Prozent, in den 90ern 1,6 Prozent und im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums nur noch 0,9 Prozent.
Für das vergangene Jahr zählen die Statistiker 44,3 Millionen Erwerbstätige – ein neuer Rekordstand. Zum einen arbeiten immer mehr Menschen, zum anderen werden sie auch immer produktiver. Die Produktivität – gemessen am BIP je gearbeiteter Stunde – legte 2017 um ein Prozent zu.
Größter Zuwachs im Inland
Mehr Erwerbstätige, weniger Arbeitslose und höhere Löhne ließen die Einkommen der Haushalte im vergangenen Jahr steigen. Demensprechend trug der private Konsum das Wachstum 2017: Er legte laut Statistischem Bundesamt um 2,0 Prozent zu, der Staatskonsum nur 1,4 Prozent. Angesichts der guten Lage investierten die Unternehmen auch wieder mehr, ihre Ausgaben für Maschinen, Geräte und Fahrzeug erhöhten sich um 3,5 Prozent.
Vom gesamten BIP-Zuwachs von 2,2 Prozent kam im vergangenen Jahr der Löwenanteil zwar aus dem Inland. Doch auch der Außenhandel lief gut: Die Exporte wuchsen um 4,7 Prozent. Damit profitierten die deutschen Unternehmen von einer festeren globalen Konjunktur und von der Erholung in den Ländern der EU, die laut Bundesamt knapp 58 Prozent aller deutschen Ausfuhren abnahm. Die Exporte liegen nun etwa 30 Prozent höher als vor der Finanzkrise 2007, das BIP ist etwa zehn Prozent höher. „Das ist auch beeindruckend, weil das Wachstum ohne jede bedeutende Strukturreform in den letzten zehn Jahren erzielt worden ist“, so Carsten Brzeski von der Bank ING-Diba.
Vierter Überschuss des Staatshaushalts in Folge
Zum starken Wirtschaftswachstum 2017 trugen zwar alle Sektoren bei, insbesondere die Industrie. Dennoch verschiebt sich die Wirtschaftsstruktur Deutschlands laut Statistischem Bundesamt stetig weg vom produzierenden Gewerbe in Richtung Dienstleistungen. Letztere hatten 2017 einen Anteil von knapp 69 Prozent an der Wirtschaftsleistung, 1991 waren es nur 62 Prozent.
Das überraschend starke Wirtschaftswachstum spülte unerwartet hohe Summen in den Staatshaushalt. Er erzielte im vergangenen Jahr einen Überschuss von 38,4 Milliarden Euro, es war der vierte Überschuss in Folge. Gleichzeitig sinkt der Schuldenstand: Finanzkrise, staatliche Konjunktur- und Bankenrettungsprogramme hatten die Staatsschulden bis 2010 auf 81 Prozent des BIP getrieben, inzwischen ist dieser Wert auf knapp 65 Prozent gefallen.
Die Ausbildung des Nachwuchses wird vernachlässigt
Geschuldet ist die gute Finanzlage zum einen dem niedrigen Zinsniveau. Laut Berechnungen der Bundesbank ersparte es dem deutschen Staat seit 2008 fast 300 Milliarden Euro an Zinszahlungen, berichtet das Handelsblatt. Der andere Grund für die Überschüsse ist das starke Wirtschaftswachstum. „Deutsche Politiker sollten daher nicht mit dem Finger auf andere EU-Regierungen zeigen, die noch immer mit Defiziten kämpfen, aber nicht mit einer ähnlich starken Konjunktur gesegnet sind“, so Andreas Rees, Ökonom bei der Bank Unicredit.
Da die Löhne weiter steigen, die Unternehmen mehr investieren und der Welthandel sich belebt, wird die Wirtschaftsleistung Deutschlands dieses Jahr wohl abermals um mehr als zwei Prozent zulegen. Dennoch warnen Ökonomen vor Untätigkeit: „So gut es der deutschen Wirtschaft derzeit geht, viele Schwachstellen sind erkennbar“, kommentierte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Notwendig seien vor allem Investitionen. „In den deutschen Großstädten spricht man vom Verkehrsinfarkt. Und das wichtigste Gut Deutschlands, die Ausbildung des Nachwuchses, wird vernachlässigt.“
Der Industrieverband BDI forderte am Donnerstag den beschleunigten Ausbau der digitalen Infrastruktur und Steuersenkungen. „Dies gilt besonders vor dem Hintergrund des von den USA und China neu entfachten schärferen Steuerwettbewerbs“, sagte BDI-Chef Dieter Kempf. Zudem forderte er, Klimaschutz und Energiewende „an der Wirtschaftlichkeit zu orientieren“. Kempf begrüßte daher, dass bei den Sondierungsgesprächen zwischen Christdemokraten und SPD das nationale Klimaziel – die Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 40 Prozent bis 2020 – wohl aufgegeben worden ist. „Offenbar sind die Sondierer willens, die Realität anzuerkennen“, sagte Kempf.