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Interview mit Kuka-Chef Chef des Roboterherstellers Kuka: "Nicht vorstellbar was Roboter alles können werden"

Von Frank-Thomas Wenzel 03.06.2017, 15:53
Gefühl und Geschick wird für das Einschenken eines Weizenbiers benötigt. Dem Kuka-Roboter gelingt das.
Gefühl und Geschick wird für das Einschenken eines Weizenbiers benötigt. Dem Kuka-Roboter gelingt das. dpa

Interviewtermin direkt nach der Hauptversammlung: Till Reuter hat die orangefarbene Krawatte abgelegt – Orange ist die Erkennungsfarbe von Kuka. Der Chef des Roboterherstellers ist hungrig und aufgedreht. Er antwortet im Hochgeschwindigkeitstempo. Reuter hat was zu sagen, und er hat eine Vision – von Robotern, die sich als Helfer zu Hause nützlich machen, die in Krankenhäusern und in Automobilfabriken für mehr Effizienz sorgen und Abhilfe beim Fachkräftemangel schaffen.

Herr Reuter, wer sich mit Robotern beschäftigt, stößt schnell auf ein Youtube-Video, das zeigt ein Tischtennis-Duell eines Kuka-Roboters gegen den Weltklassespieler Timo Boll, der ganz schön ins Schwitzen kommt. Sind ihre Maschinen wirklich so sportlich?

Das Video ist schon – sagen wir – installiert. Eine einfache Tischtennis-Funktion kriegen wir hin. Aber wenn Timo Boll Bälle mit extremem Spin spielt, dann kommt der Roboter nicht mehr mit – noch nicht.

Was ist so kompliziert an dem einfachen Tischtennis-Spiel?

Heute leben Roboter in einer definierten, geordneten Umgebung. Das Bauteil, das bewegt oder bearbeitet werden muss, ist immer genau an derselben Stelle. Der Roboter fährt hin und greift es – 1000 Stunden auf die exakt gleiche Art und Weise. Beim Tischtennis ergeben sich im Bruchteil einer Sekunde immer neue Situationen. Das überfordert Roboter. Aber wir werden bei der Kameratechnik immer besser, um den Ballflug zu erkennen und um die Hardware mit künstlicher Intelligenz zu befähigen, auf den heranfliegenden Ball zu reagieren.

Ist der Boll-Gegner ihr Lieblingsroboter?

Man muss aufpassen, dass man nicht ein Kind bevorzugt, wenn man viele hat. Aber unser Größter ist sehr beliebt, der kann 1,3 Tonnen heben, hat auch den Namen Titan, er ist aber im Verhältnis nicht viel größer als die anderen Roboter. Das ist mechatronisch schon eine Spitzenleistung. Er kann Beschleunigungskräfte bis zu 50 000 Newtonmeter entwickeln. Sportwagen kommen auf 800 Newtonmeter. Großer Beliebtheit erfreut sich aber auch der LBR iiwa, weil er sehr innovativ ist, da er mit Menschen zusammenarbeiten kann und schon beinahe anschmiegsam ist. Er ist feinfühlig, kann seine Kraft gut dosieren. Er kann Weizenbier einschenken und wird unter anderem schon in der Montage von Geschirrspülmaschinen eingesetzt, er erledigt da die für Menschen ergonomisch unangenehmen Tätigkeiten.

Wie könnte die Tätigkeit des weiterentwickelten Boll-Gegners jenseits des Tischtennis aussehen?

Denken Sie nur an Supermärkte oder Warenverteilzentren: Regale nachfüllen. Der Roboter erkennt über eine Kameras Lücken in den Regalen und füllt sie automatisch auf. Das kann tagsüber passieren oder aber auch nachts, wenn der Markt geschlossen ist. Oder zu Hause: Die Kamera erkennt, was nach einem üppigen Abendessen mit Freunden auf dem Tisch stehen geblieben ist und räumt das weg. Das ist anspruchsvoll, denn die Gegenstände stehen unordentlich auf dem Tisch, haben unterschiedliche Formen und Größen. Gläser sind mal gefüllt und mal leer. Der Roboter muss jedes Mal „lernen“ wie er mit diesen Varianten umgehen muss.

Warum sind Kameras so wichtig?

Durch den Einsatz solcher Systeme verringert sich der Programmieraufwand. In der Software ist hinterlegt, wie der Roboter ein Glas greifen muss, ohne es zu zerbrechen. Mit einer Kamera erkennt der Roboter das Glas und ruft dann seine Glasgreifstrategie ab.

Wohin führen generell die Wege der Roboter?

Also, wir haben einerseits die Industrierobotik, die tatsächlich in einem definierten Umfeld und einem Käfig drum herum hocheffizient funktioniert. Dieser Markt wächst pro Jahr um zehn bis zwölf Prozent. Daneben gibt es Cobots wie den LBR iiwa, die keine Käfige mehr brauchen. Diese Roboter werden in neue Felder gehen. Die Potenziale sind enorm. Ich sehe für den Cobots-Markt schon ein Marktpotenzial von vier bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Wir müssen sehen, für welche Anwendungen große Stückzahlen nachgefragt werden. Visionsysteme und Lernprogramme sind für das Wachstum maßgeblich. Zudem werden die Roboter mit wachsender Stückzahl immer billiger. So kann sich schon nach zwei bis drei Jahren die Investition in Roboter für ein Unternehmen bezahlt machen.

Wo werden die überall arbeiten?

Da ist sehr viel vorstellbar, nicht nur in der industriellen Fertigung. Zum Beispiel: Operationsbesteck muss gereinigt werden. Das ist oft hochgradig mit Bakterien und Keimen belastet. Die Krankenschwestern fassen das an. Die Reinigung können Roboter viel besser erledigen, um sicherzustellen, dass keine Keime freigesetzt werden. Oder Roboter können die Verteilung von Medizin in Krankenhäusern übernehmen, um die nicht so seltenen Fehler bei der Verteilung von Pillen und anderer Medikamenten zu vermeiden.

Kuka will ins Krankenhaus?

Japan ist beim Einsatz von Robotern in Krankenhäusern teilweise erheblich weiter als Deutschland. In Japan helfen Roboter, die Patienten im Krankenbett aufzurichten, was sehr viel Kraft erfordert. Das ist gesellschaftlich akzeptiert. Bei uns weigern sich die Krankenkassen, dafür zu zahlen. Doch mit der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft werden wir solche unterstützenden Roboter brauchen. Nur wir müssten jetzt schon Anreize für den Einsatz solcher Roboter schaffen, da Japan und China dort einen Vorsprung gewinnen könnten...

...weil es dort erheblich größere demografische Probleme gibt?

Genau. In Deutschland gab es schon oft genug herausragende technologische Entwicklungen, doch das Ausrollen von Geschäftsmodellen hat nicht geklappt, weil es hierzulande an Anreizen für die Unternehmen gemangelt hat.

Gilt das auch für Home-Roboter?

Wir wollen jetzt bei Kuka keinen Staubsauger bauen, das ist nicht unser Ziel. Aber denken Sie an die ersten Handys. Heute haben sie mit dem Smartphone einen Mini-Computer als permanenten, unentbehrlichen Lebensbegleiter. Ich glaube, in der Robotik werden wir eine ähnliche Entwicklung haben. Wir können uns noch gar nicht vorstellen, was die Roboter alles können werden in der Zukunft.

Was sind da Ihre Ideen?

Unsere Idee ist: Lass uns doch einmal anfangen mit einer Lösung zur Überwachung. Ich habe einen Roboter in der Wohnung, der verfügt über eine Kamera, er erkennt Sie als Bewohner, und er schlägt Alarm, wenn ein Fremder in die Wohnung kommt. Der Roboter hat vielleicht einen Arm, um Gegenstände aufheben und bewegen zu können. Wenn Sie eine Mutter haben, die Probleme beim Heben hat, dann kann das der Roboter ferngesteuert übernehmen. Ich glaube, wir müssen damit einfach mal anfangen. Der Roboter muss nicht gleich zehn Funktionen haben – mit den ersten Mobiltelefonen konnten Sie auch nur telefonieren.

Die ganz große Stärke von Kuka sind Roboter für die Automobilindustrie. Wie wird die technologische Entwicklung da weitergehen?

Wir haben das Thema Digitalisierung, wir haben das Thema Variantenvielfalt bei den Automodellen. Die gesamte Prozesskette muss viel effizienter werden und besser abgestimmt werden. Die Fertigung wird flexibler. Dafür werden in der Montage fahrerlose Transportsysteme und mobile Roboter gebraucht, die mit den Menschen zusammenarbeiten – da können wir jeweils liefern. Und das Thema Batteriefertigung kommt mit der Elektromobilität. Es werden große Batteriefabriken entstehen – auch dafür können wir Roboter liefern, in Europa, in China und in den USA. Das Potenzial ist wirklich riesig. Derzeit werden jährlich weltweit fast 100 Millionen Autos verkauft. Wie hoch ist der Anteil der Elektrofahrzeuge? Wenn wir nur einen Anteil von 20 Prozent erreichen, brauchen wir jedes Jahr 20 Millionen neue Batterien. Da ist einiges in der Pipeline.

Stimmt es, dass ein Roboter über den gesamten Lebenszyklus gerechnet nur fünf Euro pro Stunde kostet?

Wir wurden einmal wegen der Gesamtkosten für Roboter gefragt und wann sich ein Roboter rechnet. Ein Roboter hält etwa 40 000 Stunden und sieben bis zehn Jahre. Daraus ist die runde Zahl von fünf Euro entstanden. Roboter ist nicht gleich Roboter.

Auch wenn es zehn Euro pro Stunde wären: Roboter sind damit um ein Vielfaches billiger als ein Arbeiter in einer Autofabrik. Fühlen Sie sich als Jobkiller?

Keinesfalls. Und schon gar nicht in Deutschland. Wir brauchen die Automatisierung, um die Babyboomer ersetzen zu können, die in den nächsten Jahren in Rente gehen. Die Autobranche hat schon heute das Problem, dass es an Fachkräften mangelt.

Gewerkschafter müssen also weder hierzulande noch anderswo Angst vor Jobabbau haben?

Insgesamt sind in Europa in den vergangenen Jahren trotz, beziehungsweise wegen der Automatisierung mehr Arbeitsplätze entstanden als wegrationalisiert worden.

Das Gespräch führte Frank-Thomas Wenzel

Zur Person

Till Reuter, Jahrgang 1968, stammt aus dem Rheingau. Er hat Betriebswirtschaftslehre in schweizerischen St. Gallen und Jura in Konstanz studiert. Seine berufliche Karriere startete er 1995. Er war zunächst als Wirtschaftsjurist und Anwalt in international agierenden Kanzleien tätig.

Als Investmentbanker bei Morgan Stanley, der Deutschen Bank und bei den Lehman Brothers arbeitete er von 1999 bis 2008. Dann gründete er die Investmentgesellschaft Rinvest, deren Verwaltungsratschef er immer noch ist.

Zum Vorstandschef der Firma Kuka wurde er 2009 berufen. Das Augsburger Unternehmen, gegründet 1898, hat eine lange wechselhafte Geschichte hinter sich.

Den Maschinenbauer Kuka hat Till Reuter zum führenden Hersteller von Industrierobotern in Europa gemacht. Im vergangenen Jahr hat der chinesische Hausgerätehersteller Midea 95 Prozent der Kuka-Aktien erworben. (fw)