Börsencrash als Warnung Börsencrash als Warnung: "Ein Ritt auf der Rasierklinge"

Halle (Saale) - Chinas Börsen beben. Um 30 Prozent sind die Aktienkurse Anfang Juli eingebrochen. Nur mit Mühe gelang es der chinesischen Regierung in den vergangenen Tagen, durch staatliche Eingriffe die Lage zu beruhigen. Mitten im Geschehen war der hallesche Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum. Er besitzt eine Exzellenz-Professur der Volksrepublik China und ist Gastprofessor an der angesehenen University of International Business and Economics in Peking. Es besteht zudem eine Kooperation mit der Uni Halle. Vor zehn Tagen kehrte Blum nach Deutschland zurück. Mit ihm sprach Steffen Höhne
„China boomt so lange, bis jeder Haushalt eine Waschmaschine und einen Kühlschrank hat“, sagte mein früherer Uni-Professor. Wie sieht es heute in den chinesischen Haushalten aus?
Blum: An der Ostküste Chinas leben etwa 300 Millionen Menschen auf europäischen Wohlstandsniveau - in der Spreizung von Rumänien bis Finnland. Über eine Milliarde in den westlichen Landesteilen leben aber schlechter. Das heißt nicht, dass sie hungern. Aber materiell ist der Wohlstand noch gering. Von daher ist der Bedarf an Waschmaschinen und Kühlschränken noch hoch.
Anfang Juli sind die Börsen in Shanghai und Peking dramatisch eingebrochen. Börsen nehmen wirtschaftliche Entwicklungen oft vorweg. Könnte damit das Ende des Booms eingeläutet worden sein?
Blum: Zumindest des Booms in der klassischen Form. Bisher konzentrierte sich das Wachstum in großen Teilen auf die Ostküste. Dort gibt es eine sogenannte Überagglomeration. Alle Unternehmen drängen dorthin. Das führt zu Fachkräftemangel und großen Umweltschäden. Die Freizügigkeit der Menschen bei der Wahl ihres Arbeitsortes ist staatlich eingeschränkt, so dass es keine riesigen Wanderungsbewegungen innerhalb Chinas gibt. Doch die jungen Leute stimmen natürlich mit den Füßen ab, sie zieht es in die Großstädte an der Ostküste. Die großen strukturellen Unterschiede im Land sind eine riesige Herausforderung.
Das heißt also, nur die Wirtschaft an der Ostküste läuft heiß und deswegen kam es zum Börsencrash?
Blum: Das lässt sich jetzt noch nicht genau sagen. Der Einbruch am Aktienmarkt war herb, doch vorher ging es auch rasant bergauf. Die chinesische Regierung sah es gern, dass sich Kleinanleger an hochverschuldeten Staatsunternehmen beteiligen. Damit konnten die Firmen ihre Kapitalstruktur verbessern. Nun setzte eine Korrektur ein.
Eine Korrektur? Die Regierung setzte viele Papiere vom Handel aus und verpflichtete Banken zum Kauf von Aktien. Das ist doch Panik, oder?
Blum: Das kann man so sehen. Doch was die Chinesen machen, ist nicht besser oder schlechter als das, was die Europäische Zentralbank auf den hiesigen Anleihenmärkten macht. Beides sind Eingriffe in die Märkte. Wir sollten die Lage daher nicht dramatisieren. Letztendlich ist es nicht verkehrt, dass die Bürger auch Anteilseigner an Firmen werden. Denn Kapital ist produktiver als Arbeit. Zudem muss sich in China eine Aktienkultur erst entwickeln. In Deutschland haben wir diese seit dem Platzen der New-Economy-Blase 2001 ja ohnehin verloren.
Alles also nur halb so wild?
Blum: Der Crash ist natürlich eine Warnung für die Regierung.
Eine Warnung wovor?
Blum: Zunächst einmal davor, den Westen Chinas nicht zu vernachlässigen, sondern durch weitere Infrastrukturprojekte zu erschließen. Dort kann dringend benötigtes Wachstum erzeugt werden.
Für wie stabil halten Sie die chinesische Wirtschaft?
Blum: Zu sagen, es gebe ein instabiles Wachstum wäre falsch. Aber es gibt natürlich große Probleme. Neben den West-Ost-Unterschieden ist das die Verschuldung der Kommunen und der Wohnungswirtschaft. Im Immobiliensektor gibt es sicher Blasen, die nicht unkontrolliert platzen dürfen.
Hat die Regierung die Zügel noch in der Hand oder wird sie von den heimischen Märkten getrieben?
Blum: Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Es gibt einige, die durch den Börsencrash die Glaubwürdigkeit der Regierung gefährdet sehen. Es gibt einen Deal: Die kommunistische Partei sorgt für Stabilität und Wohlstand. Dafür interessieren sich die Bürger vor allem für ihr wirtschaftliches Fortkommen und stellen politische Mitsprache hintenan - zumindest wenn es um nationale Fragen geht. Die Aufgabe ist aber auch riesig: Einer Milliarde Menschen wurde ein Wohlstandsversprechen gegeben. Bisher hat es aber funktioniert.
Glauben Sie wirklich, dass hochverschuldete Staatskonzerne das Land langfristig modernisieren können?
Blum: Das ist eine westliche Sicht. Es gibt in China auch einen großen und wachsenden Mittelstand. In technischen Dingen denken die Chinesen deutsch. In den 60er Jahren übernahmen sie das deutsche Patent- und Normungssystem. Viele chinesische Ingenieure wurden in West- wie Ostdeutschland ausgebildet. Diese Privat-Unternehmen, die bereits die Hälfte der Wirtschaftsleistung erwirtschaften, halte ich für stark. Durch einen großen nationalen Markt haben sie die Möglichkeit zu expandieren, auch wenn ihre Produkte noch nicht auf allen internationalen Märkten wettbewerbsfähig sind.
Für die deutsche Wirtschaft, allen voran die Autobauer, ist China ein wichtiger Absatzmarkt. Muss man sich aktuell Sorgen machen?
Blum: Aus meiner Sicht nicht. Die Autoverkäufe werden vielleicht nicht mehr so rasant wachsen, einen Einbruch erwarte ich nicht. Vielmehr kritischer sehe ich, dass viele Chinesen bereits so hohe Qualitätsanforderungen an deutsche Produkte haben, dass es beständig zu Reklamationen kommt. Die Kunde ist noch vielmehr König als in Deutschland. Mit dem darf man es sich nicht verderben.