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Abschied vom Traumberuf Abschied vom Traumberuf: Flugbegleiter leiden unter dem Verfall der guten Sitten

Von Stefan Sauer 08.11.2015, 16:35

Berlin - Der Glamour-Faktor war enorm. Als das Fliegen noch den Reichen, Schönen und Berühmten vorenthalten war, färbte deren Glanz ein wenig auch auf die Stewardessen ab. Sie sorgten an Bord für das Wohl der Damen und Herren von Welt, reisten um den Globus und lernten Sehnsuchtsorte kennen, die kein Normalsterblicher je zu Gesicht bekommen würde. Sie kannten Strände auf Barbados, Bali und Hawaii und Bars in New York, Rio, Tokio. Damals, in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, bewegten sich Stewardessen in einer Liga mit Models und Schlagersternchen.

Das Flugzeug ist zum Massentransportmittel

Ein halbes Jahrhundert später ist vom mondänen Flair nichts geblieben. Das Flugzeug ist zum Massentransportmittel geworden. 3,3 Milliarden Passagiere zählte die internationale Flugverkehrsorganisation IATA 2014 weltweit, Prognosen zufolge wird sich die Zahl bis 2035 auf sieben Milliarden mehr als verdoppeln. Allein auf deutschen Flughäfen wurden im vergangenen Jahr gut 208 Millionen Reisende abgefertigt. Der globale Umsatz im Passagierverkehr erreichte 556 Milliarden US-Dollar. Auf vielen Strecken ist Fliegen heute billiger als Bahnfahren.

Entsprechend verändert hat sich die Kundschaft der Airlines. Kam man einst in Anzug und Kostüm zum Flugsteig, um der luxuriösen Fortbewegung Rechnung zu tragen, sind heute T-Shirts und Badelatschen gang und gäbe. Alle Exklusivität ist dahin. Das gilt auch für das Kabinenpersonal: Aus dem Traumberuf ist ein Knochenjob geworden, der nicht einmal sonderlich gut bezahlt wird. Dass die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter der Lufthansa am Freitag für eine ganze Woche in den Streik getreten sind, kommt nicht von ungefähr. Es geht um die Höhe der Vergütung, und, mindestens ebenso wichtig, um die Übergangs- und Altersversorgung für die 19.000 Kabinen-Crew-Mitglieder der Lufthansa.

Aus Traumjob ist ein Knochenjob geworden

Die Einstiegsgehälter bei der Kranichlinie liegen nach Angaben der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (Ufo) aktuell bei monatlich 1.380 Euro brutto. Enthalten ist darin eine Zwangsteilzeit während der Wintermonate, in denen weniger geflogen wird als im Sommer. Ohne diese Teilzeit läge das monatliche Entgelt bei rund 1600 Euro. Hinzu kommen Abwesenheits-, Nachtschicht- und Überstundenzuschläge, die je nach Einsatzdauer 200 bis 500 Euro pro Monat erreichen. Nach 25 Jahren verdient eine Flugbegleiterin laut Ufo ein Grundgehalt von 3100 Euro, die „Purser“ genannten Teamchefs können es auf 4000 Euro einschließlich Zulagen bringen.

Nach Angaben der Lufthansa sind auch bis zu 7000 Euro möglich. „Das sind aber absolute Ausnahmen, die die Lufthansa gern anführt, um die angeblich üppigen Bezüge zu illustrieren und Kürzungen zu rechtfertigen“, sagt Ufo-Chef Nicoley Baublies. Solche Supergehälter seien nur für eine Handvoll langgedienter Mitarbeiter einschließlich aller denkbaren Zuschläge auf der Langstrecke drin. Das Gros des Kabinenpersonals erhalte um die 2000 Euro.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, womit sich Flugbegleiter in ihrem Berufsalltag auseinandersetzen müssen.

Nicht nur Löhne, auch die Tätigkeiten ähneln sich

Bei Billigfliegern arbeiten Flugbegleiter bei der Reinigung der Kabinen mit, das Einsammeln von Abfällen während des Flugs zählt ohnehin bei allen Airlines zum Job. Hinzu tritt das Entfernen der Hinterlassenschaften. Berühmt ist der Ausraster des Schauspielers Gerard Depardieu, der 2011 während eines Fluges von Paris nach Dublin im Mittelgang seine Notdurft verrichtete.

Andere prominente Flegel belassen es bei Pöbeleien: Jennifer Lopez wurde 2006 durch wüste Beleidigungen der Flugbegleiter auffällig, Oasis-Sänger Liam Gallagher randalierte in einigen Tausend Metern Höhe mehrfach unter dem Einfluss bewusstseinsverändernder Substanzen, Topmodell Naomi Campbell erhielt wegen fortgesetzt schlechten Benehmens ein lebenslanges Flugverbot bei British Airways und Skandalrocker Pete Doherty bei Easy Jet, nachdem er sein Spritzbesteck auf der Toilette hatte liegen lassen.

Weitaus verbreiteter und somit für das Kabinenpersonal belastender ist das Rowdytum ganz normaler Passagiere. Besonders leiden die Flugbegleiterinnen, die 80 Prozent des Kabinenpersonals stellen. Denn unter Alkoholeinfluss schwindet die Hemmschwelle, Brüste und Pos der Bediensteten zu begrapschen, ebenso sowie die Neigung, auf Sicherheitsanweisungen der Cabin-Crew zu pfeifen.

So musste ein Flieger im September 2013 von Glasgow nach Ibiza unplanmäßig in Paris zwischenlanden, weil 16 Schotten im Zustand der Volltrunkenheit durch die Maschine tanzten. Ein alkoholisierter Isländer, der auf dem Flug von Reykjavik nach New York seine Sitznachbarin würgte, konnte vom Kabinenpersonal überwältigt und mit Klebeband bis zur Landung am Sitz fixiert werden. Im Zeitraum zwischen 2007 und 2014 wurden der IATA 38 230 „unruly Passengers“ gemeldet, die durch aggressives oder anderweitig sicherheitsgefährdendes Verhalten auffällig geworden waren.

Ein Verfall der guten Sitten ist zu verzeichnen

Am Verfall der guten Sitten sind die Fluggesellschaften nicht unschuldig. Im Streben nach optimaler Auslastung und sinkenden Kosten wurden immer mehr Sitze in die Kabinen gequetscht. Zusatzgebühren für aufgegebenes Gepäck lassen Umfang und Menge des Handgepäcks anschwellen, was den Platzmangel verschärft. Hinzu kommt mitgebrachter Proviant, um die Kosten für den Snack an Bord zu sparen. Allzu große Enge kann Aggressionen und Platzangst hervorrufen. Gepaart mit Alkohol ergibt sich eine explosive Mischung, unter der zu allererst das Kabinenpersonal zu leiden hat.

Ein Traumjob sieht anders aus. Ufo-Chef Baublies versichert, die allermeisten Kolleginnen und Kollegen liebten ihren Beruf trotz der Widrigkeiten. Die von der Lufthansa geplante Kürzung der Altersversorgung will die Gewerkschaft aber nicht hinnehmen. Und was, wenn sich das Unternehmen nicht bewegt? „Dann wird dieser nicht der letzte Streik sein.“