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40 Jahre Ikea in Deutschland 40 Jahre Ikea in Deutschland: Das Geheimnis des Ikea-Erfolgs

Von Nikolaus Bernau 14.10.2014, 14:31
Deutschlands erstes Ikea-Möbelhaus in Eching bei München. Aufnahme aus dem Jahr 1974.
Deutschlands erstes Ikea-Möbelhaus in Eching bei München. Aufnahme aus dem Jahr 1974. dpa Lizenz

Köttbullar, ausgesprochen etwa Schöttbulla, diese schwammig-weichen Fleischbällchen in mattgelbem Kartoffelpüree an quietschroter Preiselbeermarmelade, haben inzwischen vier Generationen auf Ikeas Bild vom hohen Norden geprägt: Süss ist‘s da, freundlich hell und matschen darf man auch.

Wer den Einfluss des größten Möbelhauses der Welt auf unsere Wohn- und Lebenskultur verstehen will, darf das Restaurant nicht übersehen, den Kaffee, den man sich einfach so nachschenkt. 1974, als das erste deutsche Ikea-Haus in Eching im Norden Münchens eröffnete, war eine solch demonstrative Liberalität kaum weniger als eine gesellschaftspolitische Revolution.

Ikea steht für modernen Kapitalismus

Der Aufstieg von Ikea – heute weltweit mit Abstand und mehr als 20 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern der größte Verkäufer von Alltagsgestaltung – ist ein Mythos des modernen Kapitalismus. Möglich war er letztlich nur dank des, ja, hier ist der Begriff einmal korrekt anzuwenden, Verkaufsgenies von Ingvar Kamprad.

Von der Idee des Selbermachens beim Möbelbau, den Spielecken, der offenen Lagerhaltung bis hin zu den Restaurants ist Ikea seine Schöpfung. 1943 eröffnete der damals 17-jährige Kamprad mit einem Startkapital von umgerechnet 30 Euro seinen ersten Laden, das neutrale Schweden prosperierte dank Waffen- und Erzverkäufen an die Deutschen. 1947 begann er damit, modern gestaltete, aber billige Möbel zu verkaufen, bediente den wachsenden Wohlstand im traditionell armen Smaland.

1951 erschien der erste Katalog, 1958 eröffnete der erste Ikea in Almhuld, 1963 der erste in Norwegen, Dänemark folgte 1969, die Schweiz 1973, Deutschland 1974. Und trotz des stark wachsenden Internet-Geschäfts will der Konzern in den kommenden Jahren 20 neue Filialen in Deutschland bauen. Bisher sind es 48.

Die nördliche Welthalbkugel bis nach China und Japan, Südostasien und Australien hat Ikea fest im Griff, von den großen Schwellen- und Industriestaaten fehlen nur Mexiko und Brasilien, wo eigene Labels nach dem Vorbild von Ikea den Markt für modern gestaltete Wohnungen besetzen, sowie Südafrika und Indien. Selbst Saudi-Arabien eroberte Ikea.

Blau-Gelb und das Grün islamischer Fundamentalisten? Auf den Titelblättern, die in Europa schon einmal lesbische oder schwule Paare zeigen konnten, werden in Saudi-Arabien Frauen nicht gezeigt. Ideologie zählte für Kamprad und sein Management nie: als schwedische Möbelhersteller in den 1960ern versuchten, seinen Aufstieg mit Boykott der Holzlieferungen zu behindern, wich er ins sozialistische Polen aus.

Klar gestaltete Möbel

Von vorneherein setzte Kamprad nicht auf populär-historisierende Formen à la Gelsenkirchner Barock. Er verkaufte stattdessen erschwingliche Ausgaben jener demonstrativ modern, klar und offen gestalteten Möbel und Ausstattungen, die mit der Stockholmer Ausstellung von 1930 zum weltweit beachteten Signet des schwedischen Wohlfahrtsstaats geworden waren.

Und so wie deutsche Reformkünstler der frühen Moderne um 1910 zeigte Kamprad seine Produkte in den Katalogen nicht vereinzelt, sondern zusammengestellt zu Zimmereinrichtungen. Die inzwischen mehr als 12.000 Produkte umfassende Palette wird dabei gnadenlos gesiebt: So manche schöne Schüssel, die nicht sofort Erfolg bei den Käufern hatte, wurde nach nur einer Saison wieder aus dem Rennen genommen und ist heute ein gesuchtes Rarissimum der Antiquitätenmärkte.

In den 2000dern kam sogar ein Fertighaus auf den Markt. Damit war allerdings wenigstens in Deutschland, das mit mehr als 15 Prozent des Gesamtumsatzes der bei weitem wichtigste Einzelmarkt von Ikea ist, die Grenze erreicht. Das Haus floppte, gerade einmal acht Stück wurden verkauft. So viel Ikea wollten dann doch selbst diejenigen nicht, die ansonsten in Färglav-Wäsche schlafen, sich vor Trensum die Zähne putzen, das Müsli aus Dinera-Schüssel löffeln und Bücherwände nur in Billy-Formaten denken können.

In Deutschland konnte Ikea nämlich auf eine Skandinavien-Begeisterung aufbauen, deren Wurzeln in der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts und in der Kaiserzeit liegen. Um 1900 machte der schwedische Reformkünstler Carl Larsson mit seinem bis heute als „Blaues Buch“ (Königstein-Verlag) erhältlichen „Das Haus an der Sonne“ den in seiner Heimat von Reformerinnen wie Ellen Kay gepredigten Grundsatz der „Schönheit für Alle“ populär.

Zierliche, leichte, weiße Möbel wurden da gezeigt, in hellen, luftigen Räumen. In den 1950ern schloss in Deutschland die internationale Begeisterung für funktionales skandinavisches Design die Distanzierung vom schweren Heimatstil der Nazis mit ein, Architekten wie Sten Samuelson, Arne Jacobsen oder Alvar Aalto waren die Stars der West-Berliner Internationalen Bauausstellung im Hansaviertel 1957. Wie in den USA wurden der Volvo und das dänische Teakwohnzimmer mit elegant geschwungenen Handgriffen zum Ausweis liberaler Lehrer und Professoren.

Moderne ohne Zwang

Bis heute steht dieses freundlich unorthodoxe, elegante, aber scheinbar naturverbundene Industriedesign für einen Lebensstil, der den Kapitalismus sozialdemokratisch reformierte, ohne kreative Dynamik und Wohlstandsversprechen zu demolieren. Ikea gab uns Moderne ohne Doktrin, ohne den Zwang, gleich das ganze Leben zu ändern, um zu den Möbeln und dem Geschirr zu passen. Und damit hat Ikea unser dann doch Leben geändert: Es dürfte praktisch keinen Haushalt in Deutschland geben, in dem nicht irgendein Produkt von Ikea steht. Und sei es ein geschenkter Kerzenbecher.

Die Firma hat damit selbst Skandale überlebt, die anderen wenigstens den moralischen Hochmut, immer an der Spitze des Fortschritts zu stehen, geraubt hätten. Kamprad wurde als Ex-Nazi identifiziert, Kinderarbeit konnte in Ikea-Läden gekauft werden, bis heute ist die Herkunft vieler Metallwaren aus China äußerst dubios, Umweltauflagen wurden nicht eingehalten, die Zwangsarbeit von DDR-Häftlingen ist gut belegt.

Ikea lässt unsere Idee einer freundlichen Moderne ziemlich ruchlos dort produzieren, wo sie am billigsten zu kriegen ist. Aber wer ist schon bereit, so viel Geld wie die sparsamen Schweden, Finnen und schon gar Dänen auszugeben, um gutes Design und lang haltende Waren im Haus zu haben? Lieber glauben wir der Legende von Ikea, es gäbe im Norden eine frische Jahreszeit namens Knut, in der man sich mal schnell ganz neu einrichtet.

Übrigens Köttbullar: Dies Ikea-Gericht hat außer den Grundsubstanzen rein gar nichts mit dem sehr leckeren, bissfesten gleichnamigen schwedischen Gericht gemein. Genau das aber ist das Rezept von Ikea: Das Freiheits- und Gleichheitsversprechen des Nordens anzupassen an die Geschmäcker der Welt.