Übernahme Übernahme: Schoko-Hersteller Rotstern ist katholisch
Osterfeld/MZ. - Ein Gabelstapler hebt eine große Palette in das Regal. In den Kartons befinden sich Einzelteile für den Bau von Waschbecken. Am anderen Ende der kleinen Halle nimmt er anschließend eine Palette mit eingeschweißten Pralinenverpackungen auf. Ein Liefer-Lkw wartet bereits. Eine typische Szene, wie sie in tausenden deutschen Lagerhallen täglich passiert. Lediglich die schwere Stahltür am Eingang, an der dutzende weiße Zettel kleben, fällt aus dem Rahmen. Auf einem Blatt steht beispielsweise der Satz: "Du sollst mich ernst nehmen, auch wenn ich nicht in allem mit Dir Schritt halten kann."
Das Lager ist Teil des Caritas Behindertenwerks Burgenlandkreis. Das Unternehmen liegt im Industriegebiet Osterfeld an der A 9 in Nachbarschaft zum Versandzentrum Kaufland und dem Spediteur Offergeld. "500 behinderte Menschen arbeiten hier", sagt Geschäftsführer Ralf Breuer. Die gemeinnützige Firma vereint viele Gewerke unter einem Dach. Und der "Dachstuhl" wird ausgebaut.
Bekannte Ostmarke
Zuletzt landete das Behindertenwerk einen regelrechten Coup: Die katholische Einrichtung erwarb den insolventen Schokoladen-Hersteller Rotstern. Das Thüringer Traditions-Unternehmen, das in der DDR bekannte Produkte wie die "Schlager Süsstafel" herstellte, produziert heute in einer kleinen Manufaktur in Saalfeld. Durch Managementfehler rutschte die Firma laut Breuer in die Krise. Dies traf auch die Behindertenwerkstatt, die mit 150 Mitarbeitern die Verpackung der Rotstern-Pralinen übernommen hatte. Nach Angaben von Breuer drohte der Verlust des Großauftrages.
Also legte der Caritas-Manager sein Rettungskonzept Insolvenzverwalter Rolf Rombach vor, der auch Angebote von namhaften Schoko-Herstellern hatte. "Wir haben den Erhalt der Produktion mit elf Mitarbeiten in Thüringen zugesagt", sagt Breuer. Dies habe dann wohl den Ausschlag gegeben. Zum Kaufpreis sagt er nur soviel: "Es war nicht der symbolische Euro."
Doch kann eine Behindertenwerkstatt einen Schoko-Hersteller führen? Breuer lächelt. "Viele verbinden mit Behindertenwerkstätten noch die Gestaltung von Weihnachtskarten." Doch dies habe wenig mit der Realität zu tun. Die Caritas im Burgenlandkreis arbeitet nicht nur für Rotstern, sondern unter anderem auch für Sanitärfirmen. In der eigenen Metall-Werkstatt stehen CNC-Maschinen, im Nebenraum befindet sich eine Wäscherei. Auf insgesamt zwölf Millionen Euro beläuft sich das Haushaltsvolumen "Es ist unser Auftrag, behinderte Menschen in die moderne Arbeitswelt zu integrieren", sagt Breuer. Dazu müsse man verschiedene Tätigkeiten anbieten. "Jemand mit psychischen Problemen kann ein erstklassiger Metallbauer sein", sagt Breuer. Menschen mit Down-Syndrom könnten sehr gut Pralinenkästen zusammenbauen. Daher kann man nach seinen Worten die Arbeit in einer Werkstatt nicht mit einem Industriebetrieb vergleichen - obwohl die selben Produkte hergestellt werden. Etwa 100 Angestellte unterstützen bei Caritas die behinderten Menschen. In regelmäßigen Pausen werden Karten und "Mensch-ärgere-Dich-nicht" gespielt. Nicht vergleichbar ist auch die Bezahlung: Die Behinderten erhalten neben ihren Sozialleistungen ein Gehalt, das im niedrigen dreistelligen Bereich liegt. Urlaub und Arbeitszeit sind genau geregelt.
Nach Angaben der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen gibt es in Sachsen-Anhalt 33 Behindertenwerkstätten, die 12 000 Mitarbeiter beschäftigen. Die Unternehmer sehen sie nicht als Konkurrenz: Auf MZ-Anfrage sagt der oberste Wirtschaftsvertreter Deutschlands, Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages: "Die Integration von Menschen mit Behinderungen ist wichtig und ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe. Dabei helfen die Behindertenwerkstätten, denen eine wichtige Aufgabe zukommt."
Auf die Produktion angewiesen
Diese auszufüllen, falle den Werkstätten aber immer schwerer, sagt der zuständige Landsverbandschef Ernst-Christoph Römer. Für ihre Arbeit erhalten die sozialen Unternehmen für jeden behinderten Menschen von den staatlichen Sozialagenturen eine Vergütung. "Die Tarife wurden in den vergangenen Jahren aber nicht ausreichend angepasst", beklagt Römer. Daher würden die Pauschalen die Kosten kaum mehr decken. Die Werkstätten seien daher immer öfter auf Einnahmen aus der Produktion angewiesen.
Beim Caritas Behindertenwerk Burgenlandkreis, das 1991 gegründet wurde, ist die Auftragslage gut. "Wir müssen stellenweise Anfragen ablehnen oder geben sie an andere Werkstätten weiter", sagt Breuer. Die Caritas konzentriere sich auf fünf Großkunden, mit denen langfristige Lieferverträge vereinbart sind.
Breuers größte Baustelle heißt Rotstern. "Derzeit stimmen wir unsere EDV aufeinander ab." Mehrmals in der Woche fährt er nach Saalfeld, wo die Produktion der bekannten Marke stattfindet. Breuer verhandelt derzeit auch mit den großen Handelsketten, um wieder mehr Rotstern-Produkte in die Supermarktregale zu bekommen. Gibt es bei den Gesprächen Berührungsängste wegen der Behindertenwerkstatt? "Null", sagt Breuer. Einen Handelskonzern kenne er bereits bestens, weil man in Osterfeld für diesen defekte Einkaufswagen repariere.
Nach Ansicht von Breuer hilft die Arbeit der Behindertenwerkstätten der deutschen Wirtschaft sogar. "Wir erledigen hier viele Arbeiten, die sonst in Billiglohnländer abwandern würden."
Auf den Rückhalt seiner 500 Angestellten kann der Caritas-Mann offenbar zählen. Beim Gang durch die Werkstätten wird er mit Handschlag begrüßt. "Wir haben sogar oft das Problem, dass viele unserer Mitarbeiter ihre Urlaubstage nicht nehmen", sagt er. "Sie sind lieber in der Werkstatt als allein."