Radikaler Umbau nach der DDR Radikaler Umbau nach der DDR in Leinefelde: Vom tristen Plattenbau-Viertel zur Musterstadt

Leinefelde-Worbis - Als die ersten Abrissbagger in den 1990er Jahren durch Leinefelde im Eichsfeld rollten, war eine Hürde bereits genommen: die übrig gebliebenen Einwohner des ehemals größten DDR-Textilstandorts davon zu überzeugen, dass die Stadt ohne einen radikalen Umbau keine Zukunft hat. „Als ich in der zweiten Stadtratssitzung 1990 sagte, es sieht so aus, dass wir auch Blöcke zurückbauen müssen, da haben einige doch aufgeschrien“, erinnert sich der gerade aus dem Amt geschiedene, langjährige Bürgermeister von Leinefelde-Worbis, Gerd Reinhardt (CDU). Die Stadt hatte mit erheblichen Wegzügen zu kämpfen. Der Umbau dauert immer noch an.
„Der Stadtumbauprozess in Thüringen ist nicht abgeschlossen“, betont Bauministerin Birgit Keller (Linke) immer wieder und mahnt: Der Freistaat dürfe sich nicht auf den Erfolgen ausruhen. Zwischen 1991 und 2015 flossen landesweit rund 3,2 Milliarden Euro aus dem Topf für den Städtebau. Nach Zahlen aus Kellers Ministerium gingen allein nach Leinefelde mehr als 40 Millionen Euro. „Ich muss mit einem Mythos aufräumen: Wir haben nur im Durchschnitt der Fördermittel-Empfänger gelegen und manchmal auch darunter“, sagt Reinhardt.
Als findiger und umtriebiger Bürgermeister galt er dennoch: „Ich will gern zugeben, dass wir manchmal kreativ waren und Fördergelder gut verknüpften konnten mit unseren Mitteln“, schiebt der CDU-Politiker nach, der aus Altersgründen bei den Bürgermeisterwahlen Anfang Juni nicht erneut antreten durfte und zum Monatswechsel ausschied. Reinhardt hat die Eichsfeldstadt international bekannt gemacht. Weltweit nähmen sich viele Städte Leinefelde zum Vorbild, sagt er.
Das am dichtesten besiedelte DDR-Plattenbau-Viertel
Die Stadt besaß das mit 5500 Wohnungen am dichtesten besiedelte DDR-Plattenbau-Viertel. 43 Prozent wurden abgerissen. Nicht immer fielen ganzen Blöcke der Abrissbirne zum Opfer. Bei manchen wurden einzelne Etagen oder ganze Eingänge entfernt. So entstanden zum Beispiel die Stadtvillen mit Balkons, die keineswegs mehr daran erinnern, dass sie einst Mehrgeschosser waren.
Größter Arbeitgeber war einst die Baumwollspinnerei. In dem Betrieb waren kurz vor dem Zusammenbruch der DDR rund 4500 Menschen beschäftigt. Nach der Wiedervereinigung ging die Zahl auf wenige Hundert zurück. Reinhardt nannte den Großbetrieb „das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt“. Bis 1990 lebten 16 500 Menschen in den damals begehrten Wohnblocks. Leinefelde war ursprünglich ein Dorf und galt als einer der sozialistischen Musterstädte der DDR.
Bereits 1993 habe die Stadt mit den Planungen begonnen und die Weichen für die Zukunft gestellt, erinnert sich der frühere Bürgermeister. „Niemand in Ost und West hatte ein Rezept in der Schublade.“ Wichtig sei ihm gewesen, den Einwohnern die Wahrheit zu sagen: „Wer in einem Eingang wohnt, der bis zur Wende voll belegt war und der nun zunehmend von Leerstand gekennzeichnet ist - da darf man den Menschen nicht sagen, der wird wieder voll.“
Grünflächen und architektonisch anspruchsvolle Wohngebäude
Leinefelde war zur Expo 2000 in Hannover Modellstadt zum Stadtumbau. Reinhardt sprach von „Glücksgriff und Initialzündung“. Mit dieser Bewerbung habe sich die Stadt selbst ein Ziel gesetzt - „der Weltöffentlichkeit ein Ergebnis zu präsentieren“. „Wenn wir das getan hätten, was andere Städte auch getan haben, wäre doch keiner zu uns gekommen - Expo hin oder her“, ist Reinhardt überzeugt.
Die komplette Südstadt wurde umgestaltet. Es entstanden viele Grünflächen und architektonisch anspruchsvolle Wohngebäude. Dafür hat die Stadt unter anderem den Europäischen Städtebaupreis erhalten. Leinefelde habe frühzeitig und umfassend reagiert, sagt Arvid Krüger von der Bauhaushaus-Universität Weimar. „Man kann deshalb zu Recht sagen: Leinefelde gilt bundesweit als Modellstadt.“ Es seien unterschiedliche Wohnformen entstanden, auch preiswertes Wohnen.
„Nun besteht die Herausforderung, die Zeit nach dem Stadtumbau im Blick zu haben“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Professur Stadtumbau - er denkt dabei angesichts des demografischen Wandels an die Entwicklung des Nahverkehrs und die Frage, wie viele Geschäfte und Arztpraxen es künftig geben wird.
Für Reinhardt ist der Stadtumbau längst nicht abgeschlossen. Weitere, bereits sanierte Wohnblöcke sollen nun noch einmal umgebaut werden. In den Mehrgeschossern könne zum Beispiel die Zahl der Wohnungen in einem Block verringert, Zimmer aber größer werden, erläutert er. Die Stadt sei „da noch in der Findungsphase“. (dpa)