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Zum Tod von Altbundeskanzler Helmut Schmidt Zum Tod von Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Warum Helmut Schmidt auch junge Menschen so faszinierte

Von Tobias Peter 10.11.2015, 17:25
Helmut Schmidt im November 1970 in München.
Helmut Schmidt im November 1970 in München. AFP Lizenz

Berlin - Als Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 als Kanzler gestürzt wurde, war ich gerade mal drei Jahre alt. Ich habe nicht miterlebt, wie der Sozialdemokrat den Terroristen der RAF die Stirn bot. Und natürlich erst recht nicht, wie er als Hamburger Innensenator bei der Sturmflut 1962 dem Großeinsatz von Rettungsdiensten und Katastrophenschutz koordinierte. Kurz: Ich kenne das aktive politische Leben dieses Mannes nur aus Büchern und aus dem Fernsehen.

Trotzdem ist Helmut Schmidt für mich und für viele andere aus meiner Generation ein Mann gewesen, den wir bewundert haben. Ja, dem wir große Sympathie und Achtung schenkten. Und dessen Tod uns berührt. Er war eine großväterliche Figur für uns – nur, dass er mit 96 Jahren älter wurde als die meisten unserer Großeltern. Woher kommt diese enge Bindung?

Faszination als Produkt der jungen Vergangenheit

Eine mögliche Erklärung ist: Für uns, die wir unsere ganze Kindheit hindurch keinen anderen Kanzler als Helmut Kohl (CDU) erlebten, waren die Erzählungen der Eltern über den älteren Helmut immerhin ein Hinweis darauf, dass es einmal einen anderen Kanzler gegeben haben musste. Darauf, dass Politik nicht immer so bleiern gewesen sein mag, wie sie einem Kind der Kohl-Jahre, das sich nicht zur Jungen Union hingezogen fühlt, gelegentlich vorkam – egal, ob das dem Kanzler der Einheit gegenüber fair war oder nicht.

Doch die ganz große Faszination für Helmut Schmidt – bei jungen und auch vielen älteren Menschen – ist ja in der Tat erst ein Produkt der vergangenen Jahre. Und sie hat damit zu tun, dass es sich bei Schmidt, mit Verlaub und mit größtem Respekt, um einen richtig coolen Typen gehandelt hat. Um einen, der auch als über 90-Jähriger nicht auf seine Menthol-Zigaretten verzichtet hat, so ungesund sie auch sein mögen. Der sich nicht mehr an ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden gewöhnt hat, auch wenn das Verbot an sich noch so sinnvoll ist. Und um einen, der seine Meinung gesagt hat.

Schmidt regte zum Nachdenken an

Und was für eine! Wenn mein konservativer Geschichtslehrer oder auch ein Unidozent jene Politiker, die in China die Verletzung der Menschenrechte ansprachen, so kritisiert hätte, wie Helmut Schmidt es bisweilen getan hat – ich hätte aufs Schärfste protestiert. Vielleicht hätte ich sogar eine Protestaktion organisiert. Wenn Helmut Schmidt etwas gesagt hat, was mir völlig gegen den Strich ging, habe ich darüber nachgedacht, ob ein Funke Wahrheit darin steckt. So, wie es einen jungen Menschen irritieren mag, wenn der Großvater sagt: „Hör mal, die Freundin, die passt nicht zu dir.“

„Politiker und Journalisten. Das sind beides Kategorien von Menschen, denen gegenüber größte Vorsicht geboten ist: Denn beide reichen vom Beinahe-Staatsmann zu Beinahe-Verbrechern. Und der Durchschnitt bleibt Durchschnitt.“

(In einer Rede vor Studenten in Freiburg, 1995)

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
(Im „Spiegel“ über Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf, 1980)

„Zum einen der Tod meiner Frau. Zum anderen - viele Jahrzehnte davor - mein Besuch in Auschwitz. Und drittens die monatelange Kette von mörderischen Ereignissen, die mit Hanns Martin Schleyers Namen verbunden bleibt.“
(Schmidt im April 2013 über seine erschütterndsten Erlebnisse)

„Wohl aber ist mir sehr klar bewusst, dass ich - trotz aller redlichen Bemühungen - am Tode Hanns Martin Schleyers mitschuldig bin. Denn theoretisch hätten wir auf das Austauschangebot der RAF eingehen können.“
(Bei der Verleihung des Hanns-Martin-Schleyer-Preises an Schmidt im April 2013 in Stuttgart)

„Willen braucht man. Und Zigaretten.“
(In der ARD auf die Frage von Sandra Maischberger, wie er sein Arbeitspensum schafft, 2007)

„Der liebe Gott hat mich als Arbeitstier geboren.“
(Im November 2010 in der „Bild“-Zeitung)

„Die Heutigen wissen alles viel besser.“
(Schmidt zu Belehrungen wegen der Rolle als Soldat in der NS-Zeit)

„In unserer 68 Jahre währenden Ehe hat es ein einziges Mal etwas gegeben, was ein Außenstehender eine Krise nennen könnte. Ich hatte eine Beziehung zu einer anderen Frau.“

(Schmidt 2015 zu seiner Affäre Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre - er musste Loki von einer Trennung abbringen)

„Im Juni 1944 brachte Loki einen Sohn zur Welt, der nach acht Monaten an Gehirnhautentzündung starb. Der Feldpostbrief, in dem Loki mir vom Tod des Kindes berichtete, war verloren gegangen. Erst aus einem späteren Brief zog ich die Schlussfolgerung, dass der Junge gestorben sein musste. Es war ein schrecklicher Moment.“
(Schmidt zum Tod des Sohnes - er war zu dem Zeitpunkt an der Front)

„Für Loki und mich war klar: Im Falle einer Entführung lassen wir uns nicht austauschen.“

(Schmidt zur Gefahr, von RAF-Terroristen entführt zu werden - eine entsprechende Anweisung ließ er dem Kanzleramt übermitteln)

„Ich konnte mich in jeder Situation auf sie verlassen. Ich zögere nicht zu sagen: Loki war der Mensch in meinem Leben, der mir am wichtigsten war.“

(Schmidt im Buch „Was ich noch sagen wollte“ über Loki)

„Für mich war sie wirklich die unverzichtbare Stimme des Volkes. Ich bin immer noch so stolz auf sie.“

(Nach dem Tod seiner Frau Loki im Oktober 2010)

„Als deutsche Hauptstadt ein trauriger Witz, aber Realität.“

(Bemerkung über Bonn)

„Ich war als Schüler relativ faul. Was mich nicht interessiert hat, habe ich nur flüchtig gemacht. (...) Meine Frau und ich waren ja in derselben Klasse; wir hatten eine ähnliche Handschrift und es ist vorgekommen, dass Loki meine Hausaufgaben in mein Heft geschrieben hat, zum Beispiel in Mathematik, da war sie besser.“

(In der Wochenzeitung „Die Zeit“, 2008)

„Mir scheint, dass das deutsche Volk - zugespitzt - fünf Prozent Preisanstieg eher vertragen kann, als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“

(In der „Süddeutschen Zeitung“, 1972)

„Sich vorzustellen, dass Deutschland in der Weltpolitik eine Rolle zu spielen habe, finde ich ziemlich abwegig.“

(Zum Streben nach einem Ständigen Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat, 2004)

„Die heutige politische Klasse in Deutschland ist gekennzeichnet durch ein Übermaß an Karrierestreben und Wichtigtuerei und durch ein Übermaß an Geilheit, in Talkshows aufzutreten.“

(In Berlin, 1994)

„Der Köhler, wenn er Bundespräsident wird, hat allein mehr ökonomischen Verstand als die ganze deutsche politische Klasse zusammen.“

(In der „Zeit“ über Horst Köhler, 2004)

„Ich möchte Kohl zugute halten, dass er im Grunde ein anständiger Politiker gewesen ist.“

(Schmidt 2015 zu Helmut Kohls Leistungen bei der Deutschen Einheit - er warnte davor, die CDU-Spendenaffäre überzubewerten)

„Das gegenwärtig zur Verfügung stehende Personal ist nicht sonderlich geeignet, gemeinsam zu regieren, weil beide Seiten nicht ausreichend wissen, was sie eigentlich wollen.“

(In der „Zeit“ zur Frage einer großen Koalition aus Union und SPD, 2005)

„Vor zehn Jahren wäre keiner auf die Idee gekommen, dem Vorstandsvorsitzenden von VW 15 Millionen Euro Gehalt zu zahlen.“

(Schmidt 2015 zur Steigerung der Gehälter für Unternehmenschefs)

„Er kann es.“

(Schmidt 2012 über eine mögliche Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks)

„Sie haben einem uralten Mann zugehört. Sie müssen ihn nicht unbedingt ernst nehmen.“

(Schmidt in Brandenburg bei seinem einzigen großen Auftritt im SPD-Bundestagswahlkampf 2013)

„Ich mache weiter, bis der liebe Gott sagt: Jetzt ist Schluss!“

(In einer Rede zu seinem 79. Geburtstag, 1997)

„Ich bin der Mann mit der schnellen Schnauze.“

(1957, in seiner ersten Amtszeit als Bundestagsabgeordneter)

„Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen.“

(Die Zeit, Nr. 18/2004, 22. April 2004)

(dpa, red)

Natürlich richtet man sich nicht danach. Aber man denkt darüber nach, weil es jemand mit Lebenserfahrung sagt. Schmidt wurde zu einem Unabhängigen mit eigenen Regeln - in einem Land, das sich immer mehr Regeln gab. Und beides galt umso mehr, je älter er wurde.

Helmut Schmidt hat mehr als nur einmal gesagt, wer so alt werde wie er, gewöhne sich daran, dass Schmerzen zum Alltag dazu gehörten. Wer ihn in den vergangenen Jahren immer mal wieder im TV gesehen hat – mit geschwächtem Körper, aber klugem Kopf –, der glaubt das sofort. Danke, Helmut Schmidt, dass Sie so lange geblieben sind.

Hier können Sie Abschied nehmen.

Altkanzler Helmut Schmidt: Mit der Gelassenheit der späten Jahre hatte er sich auf das Lebensende vorbereitet.
Altkanzler Helmut Schmidt: Mit der Gelassenheit der späten Jahre hatte er sich auf das Lebensende vorbereitet.
dpa Lizenz