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Wahl in Mecklenburg-Vorpommern Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Wie der rasante Aufstieg der AfD möglich war

Von Thomas Kröter 04.09.2016, 20:33
Der Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm (M) und die beiden stellvertretenden Bundesvorsitzenden Alexander Gauland (l) und Beatrix von Storch (r) jubeln am 04.09.2016 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse zu den Landtagswahlen.
Der Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm (M) und die beiden stellvertretenden Bundesvorsitzenden Alexander Gauland (l) und Beatrix von Storch (r) jubeln am 04.09.2016 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse zu den Landtagswahlen. dpa

Für Helmut Holter ist dieser Abend besonders bitter. 1998 war er in Schwerin der erste Minister aus den Reihen der, wie man damals noch sagte, SED-Nachfolgepartei. Offiziell hieß die heutige Linkspartei PDS. Doch der Erfolg Holters, der seine Partei im Nordosten immer noch führt, trug den Keim für den Abstieg schon in sich, noch ehe die PDS durch Fusion mit westdeutschen SPD-Absprengseln ihre heutige Form annahm. Dass sie nun nur noch höchstens zur Hälfte eine Protestpartei war, konnte sie so lange verkraften, wie es auf diesem Feld keine Konkurrenz gab. Doch dann betrat die AfD die politische Bühne, und alles wurde anders – nicht nur für Angela Merkel, sondern auch für die Linke.

Entsprechend bedröppelt stehen ihre Protagonisten in Schwerin und Berlin da. Von einem Wahlergebnis, „das nicht befriedigend ist“, spricht Holter, der Held vergangener Tage. Er fordert eine genaue Analyse, nimmt aber einen wichtigen Teil vorweg: „Ich gehe davon aus, dass es eine gesamtpolitische Situation ist.“ Katja Kipping, Sprecherin der Bundespartei, räumt ein, dass es nicht gelungen sei, die sozialen Themen stark zu machen.

Von Protest keine Rede. Doch wer es heute denen „da oben“ zeigen will, macht sein Kreuz bei der Alternative, die vor erst vor drei Jahren gegründet wurde – als Protest gegen die heute schon fast vergessene Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung.

Den Charakter geändert

Doch der rasante Aufstieg der AfD wäre nicht möglich gewesen, wenn sie ihren Charakter nicht geändert hätte – aus einer wirtschaftsliberalen Partei mit rechtskonservativen Elementen wurde eine radikale „Partei der kleinen Leute“. Gründer Bernd Lucke hatte das noch abgelehnt, weil er fürchtete, unter den Einfluss von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Strömungen zu kommen, wie sie sich bei den Dresdner Pegida-Demonstrationen manifestierten. Alexander Gauland, früher CDU, heute die graue Eminenz der AfD, sorgte genau dafür.

Die Linke hat immer auch das Thema „DDR-Nostalgie“ bedient und die Sehnsucht nach klaren Verhältnissen. Doch das konnte sie nur zum geringen Teil, weil sie eben auch ihren überwiegend sozialistischen und internationalistischen Flügel hat. Die AfD hat damit keine Probleme. Sie ist nationalistisch und tendenziell fremdenfeindlich. Das bedingungslose Nein zum Islam ist ihr Markenzeichen.

Die große Enttäuschung

Doch den Turbo gezündet hat für die AfD nicht eine wabernde Stimmungslage, sondern wiederum Angela Merkel. Ihre offene Flüchtlingspolitik mit dem „Wir schaffen das“ als Slogan ließ die Dämme gegen rechts brechen. Da hilft es auch nichts, wenn Innenminister Thomas de Maizière diesen Gedanken kurzerhand für abwegig erklärt, weil überall in Europa rechtspopulistische Bewegungen auf dem Vormarsch seien. Denn auch in den anderen Ländern ist ihr zentraler Nährboden die Angst vor vermeintlicher Überfremdung. In Deutschland verbindet sich auf diese Weise der linke Protest gegen die einst von Gerhard Schröder auf den Weg gebrachten Sozialreformen mit dem Protest gegen die offenen Grenzen.

In der Linken artikuliert diese Verbindung eine Frau, die an diesem Abend schweigt: Sahra Wagenknecht. Die Vorsitzende der Bundestagfraktion will dem Eindruck entgegentreten, „dass auch wir hinter Merkels Flüchtlingspolitik stehen“, hat sie zum Ärger vieler in ihrer Partei vor der Wahl gesagt. Sie will die Rolle der „Stimme des Protests gegen die herrschende Politik“ zurückerobern. Damit die Menschen nicht „am Ende aus Verzweiflung AfD wählen“.

Aufmerksam wurde in der Linken beobachtet, dass der Schweriner Wahlsieger Erwin Sellering bewusst auf AfD-Wähler zugegangen ist. Wagenknechts Linie dürfte an diesem Abend Auftrieb bekommen haben.

Und die AfD freut sich über den Erfolg. Leif-Erik Holm wird zwar nicht Minister. Aber der AfD-Spitzenmann und seine Partei treiben die Konkurrenz vor sich her – nicht nur in Schwerin.