Wahl in Berlin Wahl in Berlin: CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel kämpft mit einem lausigen Image

Berlin - Frank Henkel schnappt sich schnell noch einen Keks, dann lässt er sich gut gelaunt in einen schwarzen Ledersessel der ausladenden Sitzgarnitur in seinem Senatorenbüro fallen. Dunkelblauer Anzug und offenes weißes Hemd, das ist sein Stil. Seriös und doch locker, das ist die Botschaft. Dazu ein Lächeln fertig ist der erste Mann der Berliner CDU. Wie macht der das, so gelassen zu erscheinen?
Der Berliner Innensenator, CDU-Landesvorsitzende und Spitzenkandidat für die Wahl am 18. September hat ein ziemlich lausiges Image, das muss man so sagen. Er wird in den Medien als entscheidungsschwach und konfliktscheu beschrieben. Als eigentlich netter Kerl, der nun versucht, den harten Hund zu markieren, aber auch das nicht schafft. Als einer, der sein Amt als Innensenator nicht mag und wahlweise lieber in der Weltgeschichte herumdüst oder seinen dreijährigen Sohn hütet, als an einer wichtigen Senatssitzung teilzunehmen. „Was macht Herr Henkel eigentlich beruflich?“, lautet eine legendäre Bemerkung des damaligen Piraten Christopher Lauer aus einer Debatte im Abgeordnetenhaus. Kaum ein anderer Politiker in Berlin, vielleicht sogar in Deutschland, muss mit so viel Häme klarkommen wie dieser Frank Henkel.
Also, wie halten Sie das aus, Herr Henkel? Machen Sie Yoga? „Nee!“ Eine entschiedene Antwort in diesem nur leicht geschliffenen, weichen Berliner Akzent, wie man ihn besonders aus dem Osten der Stadt kennt. Da kommt Frank Henkel, 52 Jahre alt, her, und das wird noch eine Rolle spielen in dieser Geschichte. Obwohl, er habe mit seiner Frau schon darüber gesprochen, ob sie Yoga doch mal ausprobieren sollten. „Man hört ja viel Gutes darüber. Aber man muss dran glauben!“
„Damit muss ich leben“
Doch jetzt ist keine Zeit für Schnickedöns, wie er das nennt. Jetzt ist Wahlkampf, und Wahlkampf macht ihm Spaß, sagt der kräftige Mann im Sessel. Auch deshalb geht es ihm gut. „Klar, Gegner und Medien sparen nicht mit Häme und Angriffen – aber es ist, wie es ist. Damit muss ich leben“, sagt er. Und das ja auch nicht erst seit gestern. Seit 15 Jahren macht er hauptberuflich Politik in Berlin, nur in Berlin. „Wichtig ist nicht, wie andere mich beurteilen – sondern ob ich überzeugt bin von dem, was ich mache. Und das bin ich.“ Er habe gute Leute in seinem Mitarbeiterstab, ein stabiles Familienleben. „Ich bin sehr glücklich mit meinem kleinen Sohn und mit meiner Frau. Warum soll ich da verdrießlich sein?“
Ein wenig herausfordernd schaut Frank Henkel, und man spürt, dass er vielleicht doch nicht ganz so sehr in sich ruht wie gerade noch im Sessel. Er hat Misstrauen im Umgang mit Journalisten gelernt. Mit manchen spricht er gar nicht mehr. Aber jetzt redet er schnell weiter. Die Umfragen zeigten SPD und CDU fast gleichauf. „So nah dran waren wir schon lange nicht. Wir können stärkste Fraktion werden. Das Rennen ist total offen.“
Angst vor dem Machtverlust
Man kann das so sehen. Es ist das Prinzip: Das Glas ist halb voll. Die Berliner allerdings, auch die in der CDU, neigen eher zum Prinzip: Das Glas ist halb leer. Dann sähe das Bild so aus: Die CDU liegt zwar fast gleichauf mit der SPD, aber das ist vor allem eine Folge der Schwäche der Sozialdemokraten. Beide Parteien schneiden in den Umfragen schlechter ab als bei der Wahl von 2011. Und Michael Müller, der Regierende Bürgermeister und Koalitionspartner, hat das Tischtuch zur „Henkel-CDU“, wie er sie nun nennt, öffentlich zerschnitten. Selbst wenn die CDU am 18. September zur stärksten Fraktion würde, Frank Henkel würde noch lange nicht Regierender Bürgermeister. SPD, Grüne und Linke hätten immer noch viel mehr Stimmen und Gemeinsamkeiten und die CDU eher keinen Koalitionspartner. Angst vor dem Machtverlust hat sich breitgemacht in der CDU, nach nur fünf Jahren im Senat.
Frank Henkel verweist auf eine glänzende Bilanz als Innensenator, was vor allem den Wiederaufbau der zuvor kräftig eingedampften Polizeitruppe betrifft. 250 zusätzliche Stellen hatte er im Wahlkampf vor fünf Jahren gefordert, nun sind es mehr als tausend geworden – den Plan vierfach übertroffen, was will man mehr? Dass die Auseinandersetzung um das Autonomen-Zentrum Rigaer Straße 94, wo die Polizei erst aufgerüstet hatte und dann per Gerichtsbeschluss zum Abzug gezwungen wurde, in einem Debakel für ihn endete, dass auch die Gutwilligsten in der von Henkel mit angeschobenen Debatte um ein Burkaverbot eine Wahlkampfschwalbe erkannt haben – geschenkt. Frank Henkel spricht über die typische Berliner Aufgeregtheit und den Druck der Medien, damit müsse man eben leben.
Ein Mann mit Schauspieltalent
Er zieht eher unauffällig durch die Stadt, besucht Wahlkampfstände, trifft sich mit der Fahrradlobby, spricht auf einer Veranstaltung von Junger und Senioren Union. Er tut das routiniert, hemdsärmelig, berlinerisch, er kommt gut an, ohne Begeisterung auszulösen. Auf den Webseiten des Kandidaten und seiner Partei finden sich diese Termine nicht. Sicherheitsgründe, heißt es dazu schmallippig. Aber man möchte wohl auch der Rechtskonkurrenz AfD und deren Anhängern keine Foren vor Bühnen der CDU bieten. Denn vor der hat die CDU vor allem Angst. Dass sie ihr die rechten Stammwähler abspenstig macht.
Deshalb ja auch der Verdacht, der Innensenator habe in der Rigaer Straße im Juli mal so richtig durchgreifen und die Macht des Staates demonstrieren wollen. Henkel kann sich darüber furchtbar aufregen und verfällt in seinem Büro in eine gekonnte Persiflage, wie das wohl abgelaufen sein könnte. Er hält einen fiktiven Telefonhörer ans Ohr und nuschelt Anweisungen in seine Hand: 700 Polizisten in die Rigaer, den Hubschrauber, die Hundestaffel und den Wasserwerfer nicht vergessen, es soll möglichst martialisch aussehen, schließlich brauche er mal einen harten Einsatz im Wahlkampf. So stellten seine Kritiker sich das wohl vor, sagt Henkel – absurd! So könne mit der Berliner Polizei niemand umspringen. Der Besucher aber weiß jetzt: Der Mann verfügt über komödiantische Fähigkeiten. Parteifreunde berichten auch von hinreißenden Karaoke-Auftritten Henkels mit deutschen Schlagern auf fröhlichen CDU-Festen.
Ringen um die Rigaer Straße
Von diesem Frank Henkel ist in dem merkwürdig diskreten Wahlkampf, der lange Sommerferienwochen überbrücken musste, nichts zu spüren. Schon sein Start mit der Uraufführung des verfilmten Wahlprogramms der CDU im traditionsreichen Delphi-Kino an der Kantstraße verläuft im Juli sehr gedämpft. Es sind die Tage nach der öffentlich gefühlten Niederlage Henkels im Ringen um die Rigaer Straße. Der Innensenator hält eine eher lustlose Rede im Delphi und geht auch auf diese Vorgänge ein. Sollte es stimmen, dass der Anwalt des Hauseigentümers wegen eines Brandanschlags sein Mandat niedergelegt habe, sagt Henkel, „dann sind das Mafia-Methoden in unserer Stadt. Dann sind das Methoden von SA und SS. Und in einem solchen Fall würde ich mich nicht nur in meinem Kurs bestätigt fühlen, in einem solchen Fall müssen wir aufstehen und klar sagen: Dies dürfen wir niemals zulassen!“
Die 250 Parteitagsdelegierten applaudieren heftig, es ist der einzige kräftige Beifall während der Rede. So wollen sie ihn haben, ihren Spitzenkandidaten, mit klarer Kante. Die zeigt er nach Ansicht vieler Unionisten viel zu selten, und auch jetzt kann man zweifeln, ob Henkel sehr wohl ist in seiner Haut bei diesem heiklen, eigentlich skandalösen Vergleich. Dass der nicht mehr Empörung in der Stadt auslöst, zeigt auch, wie sehr hier die politische Sensibilität abgestumpft ist.
Warme Worte für Henkel
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hält dann eine umjubelte Rede, mit der er vorführt, wie man einen Parteitag mitreißt. Er bittet um Verständnis für Henkel, jeder habe doch spüren können, wie es in ihm aussehe nach den schweren letzten Tagen. Das ist gewiss gut gemeint, aber es bestärkt doch die Zweifler am Spitzenkandidaten in der CDU. Ein Sensibelchen, einen Zauderer wollen sie nicht an der Spitze ihrer Partei.
Diese Zweifel begleiten Henkel, seit er vor acht Jahren Landesvorsitzender geworden ist. Er hat das Amt nicht gewollt, sie haben den damals gerade erst zum Fraktionsvorsitzenden Gewählten in höchster Not in einer Nachtsitzung hineingepresst, weil die Partei zu implodieren drohte. Die alten West-Berliner Strippenzieher hatten den von außen geholten, glücklosen Friedbert Pflüger weggeputscht und dann die Kontrolle verloren. Da kam Frank Henkel gerade recht, der fleißige, aber nicht besonders ambitionierte Mann aus Ost-Berlin.
In dieser Lage war es von Vorteil, dass er nicht so verstrickt war in die jahrelangen Machtkämpfe der immer noch sehr, sehr westlich geprägten Berliner CDU. Er ist mit seinen Eltern 1981 von Ost- nach West-Berlin ausgereist. Er ist da politisiert, hat aber erst einmal genug von Parteien. Er engagiert sich in der betont antikommunistischen Gesellschaft für Menschenrechte, und als er dann doch an die CDU herangeführt wird, wählt er als Heimat den eher fiktiven Kreisverband Mitte. Die CDU führt die Ost-Kreisverbände nach dem Mauerbau weiter, um ihren Anspruch auf eine ungeteilte Stadt zu demonstrieren. Doch Karriere kann man in diesen einflusslosen Parteigliederungen nicht machen, die nicht einmal über Wahlkreise verfügen. Dazu müsste man in die mächtigen Kreisverbände in Charlottenburg, Wilmersdorf oder Zehlendorf gehen, wo die Strippenzieher sitzen. Nach dem Mauerfall allerdings sind Leute mit Sinn für den Osten gefragt, und so gerät Henkel in die Obhut der CDU-Granden Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky, die den Getreuen fördern. Aber bis heute verfügt Frank Henkel nicht über eine funktionierende eigene Hausmacht in der Berliner CDU.
Die CDU hat keine Alternative
Als sein großes Verdienst gilt, dass er das System von Intrigen, Hinterzimmerabsprachen und Mobbing in der tief zerstrittenen Partei überwunden und sie befriedet hat. Das hat ihm Wiederwahlquoten als Vorsitzender von über 90 Prozent und gar fast 100 Prozent bei der Nominierung zum Spitzenkandidaten gebracht – freilich auch, weil sich nie eine Alternative bot. „Es gibt keinen Gegenspieler, sondern eine Stimmung“, beschreibt einer aus der Parteiführung die Lage. „Warum stehen wir so schlecht da?“ 20 Prozent sind für die Partei Richard von Weizsäckers und Eberhard Diepgens beschämend, auch und gerade angesichts der ebenso beschämenden Werte für die Sozialdemokraten.
Natürlich richten sich da die Augen auf den Spitzenmann. In der Partei wird erzählt, wie Ende vergangenen Jahres eine verschworene Delegation hinter dem Rücken von Frank Henkel zu Angela Merkel gepilgert sei und sie um die Freigabe ihrer Kulturstaatsministerin Monika Grütters für die Landespolitik gebeten habe, sie wäre doch eine glänzende Spitzenkandidatin. Die liberale Monika Grütters ist eine der stellvertretenden Landesvorsitzenden und die einzige Berliner Christdemokratin von bundespolitischem Format. Sie würde als Spitzenkandidatin und mögliche Regierende Bürgermeisterin gewiss mehr als nur eine gute Figur machen, sie wäre ein Machtfaktor. Die verwunderte Merkel fragte, ob Grütters denn von dieser Initiative wisse? Als die Verschwörer das verneinen, ist die Sache erledigt. Monika Grütters geht in ihrem schönen Amt als Kulturministerin auf und hat es bisher sorgfältig vermieden, zu tief in die Ränkespiele der Berliner CDU verwickelt zu werden.
Manche in der CDU sagen, Frank Henkel sei auch deshalb so gelassen, weil er mit seiner Aufgabe innerlich bereits abgeschlossen habe. Ein mäßiges Wahlergebnis und keine Machtperspektive nach dem 18. September – das könnte es für ihn gewesen sein. Natürlich weist er das weit von sich: „Ich denke doch nicht ans Einpacken!“ Aber er weiß auch: „Wenn der Wahlkampf schief geht, bin ich schuld, ich trage die Verantwortung.“
Sein Blick gleitet zu den großformatigen abstrakten Gemälden, die er als Wandschmuck ausgewählt hat. Sie stammen von dem Berliner Maler Joachim Liestmann und handeln davon, was im Mittelpunkt der Dinge steht. Der Mensch? „Ich weiß, dass es Wichtigeres als uns selbst gibt“, sagt Frank Henkel und lehnt wieder ganz entspannt in seinem Sessel. Das habe ihm seine Oma mitgegeben, eine gläubige Katholikin. „Das Maß aller Dinge ist für mich der da“ und weist zu einem kleinen Kruzifix, das über der Eingangstür hängt. Wer daran glaubt, braucht kein Yoga.