1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Volksabstimmung in der Schweiz: Volksabstimmung in der Schweiz: Viertausend Franken für alle?

Volksabstimmung in der Schweiz Volksabstimmung in der Schweiz: Viertausend Franken für alle?

Von Thomas Schmid 18.05.2014, 10:28

Bern - Da reibt man sich in Deutschland die Augen: Die Schweizer stimmen am Sonntag darüber ab, ob über eine Verfassungsänderung generell ein Mindestlohn von 22 Franken (umgerechnet 18 Euro) pro Stunde eingeführt wird. Bei der ortsüblichen 42-Stunden-Woche bedeutet dies einen Bruttomonatslohn von 4000 Franken (3300 Euro).

Die Volksinitiative wurde vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund eingebracht und wird von der Sozialdemokratischen Partei und den Grünen unterstützt. Alle andern Parteien sowie die Regierung und eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern haben sich gegen die Initiative ausgesprochen. Letzten Umfragen zufolge wird diese scheitern. Aber schon oft haben die Eidgenossen die Meinungsforscher blamiert.

Während in Deutschland 16 Prozent aller Beschäftigten vom jüngst beschlossenen Mindestlohn von 8,50 Euro profitieren, verdienen in der Schweiz nur neun Prozent weniger als 3300 Euro. Die Schweiz ist allerdings nicht nur ein Hochlohn-, sondern auch ein Hochpreisland. Zürich und Genf gehören zu den teuersten Städten der Welt. Ein Essen im Restaurant, eine Zugfahrkarte, eine Bratwurst am Imbissstand – alles ist in der Schweiz schweinisch teuer. 4000 Franken brutto entsprechen – abzüglich Steuern und obligatorischen Beiträgen zur Sozialversicherung – etwa 3000 Franken (2500 Euro) netto. Davon aber kann man bei den horrenden Mieten in Großstädten kaum anständig leben.

Dies sehen auch die Gegner der Initiative. Sie fordern für Geringverdiener Zuschüsse zur Krankenversicherung und Wohngeld. „Die öffentliche Hand soll die Tiefstlöhne also mit Steuergeldern subventionieren“, bilanziert der sozialdemokratische Wirtschaftsfachmann Rudolf Strahm, „Gewinne privat – die Kosten dem Staat!“ Er vermutet, dass es den Wirtschaftsverbänden, die mit Schützenhilfe liberaler Ökonomen unter Einsatz von Millionen Franken verbissen gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns kämpfen, nicht so sehr um die finanziellen Folgen bei einem Erfolg der Initiative geht, sondern um ordnungspolitische, also ideologische Gründe. „Man will den Einfluss des Staates im Arbeitsmarkt beschränken. Es geht um das Dogma des freien Marktes und nicht um die ökonomische Vernunft.“

Frauen würden am meisten profitieren

Über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung eines Mindestlohns lässt sich trefflich streiten. Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, behauptet, gerade dass gerade gering Verdienende bei einer Annahme der Initiative verlieren würden. „Denn wo es Mindestlöhne gibt“, so argumentiert er, „werden schwächere Arbeitnehmende häufiger durch Maschinen oder besser qualifizierte und produktivere Mitarbeiter ersetzt.“ Die Gegner der Initiative werden nicht müde zu betonen, dass bei deren Annahme die Arbeitslosigkeit ansteigen werde, weil Unternehmen ins Ausland abwandern würden. Der Tourismus werde einbrechen, die Exportindustrie wegen gestiegener Lohnkosten an Konkurrenzfähigkeit verlieren. Und – oh Schreck – noch mehr Ausländer würden in die Schweiz einwandern wollen, wo deren Bürger vor drei Monaten doch gerade in einer Volksabstimmung die Beschränkung der Einwanderung guthießen.

Die Befürworter machen eine andere Rechnung auf: Ein Mindestlohn würde den Dumpinglöhnen ein Ende setzen und das Grenzgängertum reduzieren. Zudem würde er die Massenkonsumkraft und damit die Binnennachfrage anheben. 70 Prozent jener, die von einem Mindestlohn profitieren würden, sind Frauen, also würde dessen Einführung dem Verfassungsgebot geschlechtsunabhängiger Entlohnung entgegenkommen. Überhaupt würde mehr Lohngerechtigkeit hergestellt. Immerhin ist der durchschnittliche Jahreslohn der zehn Prozent am besten verdienenden Arbeitnehmer im Zeitraum 2010 bis 2012 um 7,1 Prozent (oder 9901 Franken) gestiegen, während die untersten zehn Prozent eine Lohneinbuße von 0,6 Prozent (oder 286 Franken) hinnehmen mussten.

Die Sozialversicherungen, so haben die Befürworter der Initiative ausgerechnet, könnten mit einem zusätzlichen Betrag von 300 Millionen Franken rechnen, die Steuereinnahmen würden um 173 Millionen Franken steigen, und es müssten 100 Millionen Franken weniger an Sozialhilfe an Niedrigverdiener gezahlt werden.

Demgegenüber würde die gesamtschweizerische Lohnsumme nur um 0,5 Prozent steigen – oder, in absoluten Zahlen, um 1,6 Milliarden Franken. Das ist just die Hälfte von dem, was die 22 schwedischen Gripen-Kampfflugzeuge kosten, die die Schweizer Regierung kaufen will. Auch darüber werden die Bürger am Sonntag abstimmen.