Urteil Urteil: BGH erleichtert Wortspiele mit Nazi-Jargon
Karlsruhe/dpa. - Was ihn nun freilich nicht vorscharfer Kritik schützt: Für Paul Spiegel, Präsident des Zentralratsder Juden, ist der Karlsruher Spruch «unglaublich».
Rechtsextremisten werden es wohl künftig leichter haben, sich mitWortspielen aus Versatzstücken des NS-Jargons am Rande derStrafbarkeit entlangzuhangeln. Der jetzt entschiedene Fall zeigt,dass sie mit Originalen aus dem «Dritten Reich» vorsichtig umzugehenwissen und auf authentisch klingenden «Nazisprech» zurückgreifen, derdenselben Zweck erfüllt: Provokation nach außen undIdentitätsstiftung nach innen.
Parolen, aber auch Symbole und Zeichen nach NS-Vorbild spieleneine wichtige Rolle für den Zusammenhalt der rechten Szene.Vielleicht noch mehr als das typische Skinhead-Outfit aus Glatze,Springerstiefeln und Bomberjacke, das laut Verfassungsschutzinzwischen auch außerhalb rechtsradikaler Kreise als tabubrechenderModetrend übernommen worden ist. Ob Keltenkreuz, Odalrune,Totenkopfsymbol oder Reichskriegsflagge - das Arsenal, mit dem sichNeonazis eine «corporate identity» geben, ist beträchtlich und mitdem Strafgesetzbuch schwer zu fassen.
Der Gesetzgeber hatte schon 1994 versucht, diesem Trend Einhalt zugebieten. Mit der Schaffung des Paragrafen 86a Strafgesetzbuch solltedie Verwendung von Parolen und Abzeichen unter Strafe gestelltwerden, die den Nazi-Originalen «zum Verwechseln ähnlich» sind -auch, weil man das Ansehen Deutschlands im Ausland wahren wollte. ImJahr 2002 entschied der BGH - es war ebenfalls der 3. Strafsenat -,dass das Tragen eines schwarzen Stoffaufnähers gegen Paragraf 86averstoße: Das Dreieck mit den goldenen Streifen sei dem«Obergauarmdreieck» des «Bundes Deutscher Mädel» zum Verwechselnähnlich.
Jetzt folgte derselbe Senat jedoch nicht dem Plädoyer desBundesanwalts Joachim Lampe. Der erfahrene Ankläger sah wenig Sinndarin, die Parole «Ruhm und Ehre der Waffen-SS» Wort für Wort mit demHitlerjugend-Motto «Blut und Ehre» oder der Waffen-SS-Losung «UnsereEhre ist die Treue» abzugleichen - als gehe es um die Ähnlichkeitzwischen zwei Waschmittelmarken. Entscheidend sei doch, dass nachForm und Inhalt authentisches nationalsozialistisches Gedankenguttransportiert werde.
Die Antwort des BGH lautet: Strafvorschriften müssen sehr vielpräziser als andere Normen formuliert sein. Der Wortlaut«Verwechseln» setzt dem Urteil zufolge voraus, dass es ein Originalgeben muss, mit dem die Nachahmerparole «verwechselt» werden kann.Vereinfacht ausgedrückt: Aus Paragraf 86a lasse sich nichtherauslesen, dass alles strafbar sei, was irgendwie nach Nazisklinge. Übrigens hatten sich die Richter des 3. Strafsenat wiederholtals äußerst penible Paragrafenhüter profiliert - zuletzt beimFreispruch des als Terrorhelfer angeklagten Abdelghani Mzoudi.
Doch vielleicht sieht der Senat die Wirkung des Strafrechts beimKampf gegen rechtsradikale Parolen ohnehin als begrenzt an. Zwarwerden die Gesetze seit Jahren unablässig verschärft, zuletzt bei derVolksverhetzung - doch bisher ließ sich die Szene dadurch noch nichtentscheidend zurückdrängen.