Unterbringung von Flüchtlingen Unterbringung von Flüchtlingen: Ist die Enteignung von Immobilienbesitzern eine Option?

Die Aufregung war groß, als die ersten Meldungen kursierten, dass einige Städte Gebäude aus Privatbesitz beschlagnahmt hätten, um gegen den Willen der Eigentümer darin Flüchtlinge unterzubringen. In Hamburg und Bremen seien sogar eigene Enteignungsgesetze verabschiedet worden, hieß es.
Der Eigentümerverband Haus & Grund protestierte prompt gegen jeden Zwang: Solche Eingriffe in die Grundrechte seien nicht hinnehmbar. Ex-FDP-Politiker Hermann Otto Solms, heute Chef der Deutschen Stiftung Eigentum, schimpfte: „Der Eingriff in das Privateigentum, wie er von der Bundesregierung derzeit geplant wird und von einzelnen Landesregierungen bereits gesetzlich beschlossen wurde, ist eine große Gefährdung für den inneren Frieden.“
Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete unter der Überschrift „Berlin beschlagnahmt Luxusimmobilien für Flüchtlinge“, in der Hauptstadt sei „ein landeseigenes Sportzentrum in beschlagnahmt“ worden: „Der Betreiber der dortigen privaten Gaststätte verlor mitsamt Angestellten seine Arbeit.“ Schon spekuliert der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier: „Die Aufnahmebereitschaft dürfte dadurch rasant abnehmen.“
Wenig Grund zur Aufregung
Allerdings: Bei genauerem Hinsehen bleibt wenig Grund zur Aufregung. Nirgends gibt es Beschlagnahmungen gegen den Eigentümerwillen, von Enteignungen ganz zu schweigen. Nicht einmal der Berliner Gaststättenbetreiber verlor den Job.
Fakt ist, dass viele Städte und Gemeinden Hunderte Flüchtlinge aus Zeltlagern und anderen provisorischen Unterkünften, winterfest unterbringen müssen.
Dafür wollen mehrere Kommunen ohnehin leerstehende Gebäude und Hallen nutzen. Zwar prüft im Bundesinnenministerium ein Krisenstab bereits Liegenschaften des Bundes auf ihre Eignung. Und das neue Asylgesetz erleichtert das Aufstellen provisorischer Unterkünfte allerorts. Nur hilft das in diesem Winter nicht, weil die Lieferzeit für Container auf über sechs Monate gestiegen ist.
Bei ihrer händeringenden Suche haben viele Städten deshalb im Hinterkopf, dass sie private Immobilien rein rechtlich auch gegen den Willen der Eigentümer an Asylheimträger vermieten könnten. Allerdings nur in Einzelfällen, nur befristet und gegen eine ortübliche Miete. So sehen es die Polizei- und Ordnungsgesetze bereits seit der Nachkriegszeit vor, als 12 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten unterbracht werden mussten. Zudem muss dafür „polizeilicher Notstand“ herrschen – also alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sein.
Bisher keine Enteignungen in Berlin, Brandenburg und Niedersachsen
Sprich: alle Hotels, Turnhallen und kommunalen Liegenschaften müssten belegt sein. Erst dann gilt Grundgesetz-Paragraph 14: „Eigentum verpflichtet.“ Nun haben zwar die Stadtstaaten Bremen und Hamburg – die ihre Kapazitäten bereits erschöpft sehen – gerade ihre Gesetze für die Zeit von diesem November bis April 2017 geändert, um die Unterbringung von Flüchtlingen zu erleichtern.
So haben dort Widersprüche und Anfechtungsklagen gegen die Beschlagnahme keine aufschiebende Wirkung mehr. Der Eigentümer muss die befristete Vermietung an Heimbetreiber also dulden, bis ein Gericht darüber entschieden hat.
Doch weder in Norddeutschland, noch in Berlin, Brandenburg oder Niedersachsen – wo ähnliche Gesetzesänderungen im Gespräch sind – gab es bislang eine solche Beschlagnahmung gegen den Willen des Eigentümers.
So standen in Berlin alle sieben „beschlagnahmten“ Immobilien aus privater Hand leer: sechs Ex-Bürogebäude, etwa von der Sparkasse oder Vattenfall, und eine Ex-Fertigungshalle. Sie gingen erst an den Senat, „nachdem sich die Eigentümer bereiterklärt hatten, die Immobilie für eine gewisse Zeit zu überlassen“, sagte Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, dieser Zeitung.
Verhandlungen über eine „längerfristige und einvernehmliche Überlassung“ laufen zudem – auch in weiten Fällen. „Der Bremer Weg heißt verhandeln“, betont auch der dortige Sozialsenat. Man bemühe sich allein um große, ungenutzte Gewerbegebäude und -grundstücke – wobei beide Gesetze nicht darauf beschränkt sind. Hamburg erklärte ebenfalls, auf einvernehmliche Lösungen zu setzen.
In Sachsen 200.000 leerstehenden Wohnungen
Zuletzt habe man etwa leere Baumärkte mit Zustimmung des Besitzers akquiriert. Noch stärker auf Anreiz setzt derweil Sachsen, zielt dabei aber auf die 200.000 leerstehenden Wohnungen im Freistaat: Bis Jahresende will das Land 4,9 Mio. Euro für Vermieter bereitstellen, die ein Belegungsrecht für fünf Jahre einräumen.
In Brandenburg und Thüringen wurden Abrisspläne leerer Plattenbauten gestoppt. Auch als Anfang des Jahres in Olpe in Nordrhein-Westfalen ein leeres Gebäude des Kolpingwerks beschlagnahmt wurde, verhandelte man über einen Ankauf.
In Baden-Württemberg drehte es sich bislang vor allem um Kasernen und Gewerbehallen.
Umstritten ist lediglich das Vorgehen des grünen Oberbürgermeisters von Tübingen, Boris Palmer, der Eigentümern zwar ebenfalls Miet- und Kaufangebote unterbreitet – in denen allerdings „weise ich darauf hin, dass das Polizeigesetz die Möglichkeit gibt, im Notfall Häuser für einige Monate zu beschlagnahmen“, erzählt er.
Pikant sind zudem die Einzelfälle, in denen Asylbewerber in Häusern in kommunalem Besitz wohnen sollen – und deshalb den Mietern wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, so geschehen in Eschbach (Baden-Württemberg) sowie Nieheim und einigen anderen Kleinstädten in NRW.
Die Rechtmäßigkeit ist umstritten: Der Mieterbund hält sie für unwirksam, weil Kommunen keinen Eigenbedarf hätten. Es gibt aber auch Gerichtsurteile, die Gemeinden ein „berechtigtes Interesse“ zur Kündigung zugesprachen. Das könne auch die Unterbringung Asylsuchender sein.