Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs: Wut Angst Tränen - München im Mark getroffen

München - Es sind Tränen, die der Mann sich jetzt mit seinem Stofftaschentuch aus seinem Gesicht tupft. Seine Augen sind gerötet, sein Blick starr. Trauer, Fassungslosigkeit – das ist es, was man an diesem Tag aus so vielen Gesichtern der Münchner herausliest.
Sie alle sind am Sonntag in den Münchner Dom gekommen, dem Wahrzeichen der bayerischen Landeshauptstadt mit seinen beiden Türmen, dessen Kuppeln an diesem Nachmittag in einem grauen und wolkenverhangenen Himmel stehen. Sie alle wollen bei einem ökumenischen Trauergottesdienst Abschied nehmen: Von den Opfern des Münchner Amoklaufs vom 22. Juli 2016.
Auch Thomas Gottschalk unter den Trauergästen
Es sind alte Menschen, es sind junge. Manche ganz in Schwarz gekleidet, andere ganz leger mit Turnschuhen, andere in Uniform. Einige halten sich an den Händen, nehmen sich immer wieder in den Arm. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist gekommen, Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Sogar Thomas Gottschalk hat sich unter die Gäste im Dom gemischt.
Nicht alle sind still in ihrer Trauer. Auch Wut und Trotz hört man an diesem Nachmittag aus den Stimmen der Trauergemeinde heraus: „Ich werde mir mein Leben nicht durch den Terror kaputt machen lassen“, sagt die Münchnerin Irmgard Meyer. Ihr Mann nickt und sagt: „Ich habe keine Angst. Heute hier zu sein, ist das Mindeste, was man machen kann.“ Ein Beamter, der in der Nacht am Tatort im Einsatz war, sagt, er spüre schon eine gewisse Verunsicherung in der Stadt. Es sei weniger los auf den Straßen, die Leute fragten sich, ob es noch sicher sei, das Oktoberfest zu besuchen.
Neun Menschen tötete David S. bei seinem Amoklauf nahe des Olympia Einkaufszentrum (OEZ) im Münchner Stadtteil Moosach im Norden der Stadt. Mehr als 30 weitere Menschen verletzte der 18-jährige Deutsch-Iraner, als er um sich schoss. Danach richtete er sich selbst mit seiner Neun-Millimeter-Waffe Glock 17.
„Diese Ohnmacht lähmt“
Neun Menschenleben. Die meisten keine 18 Jahre alt. Jugendliche. Ein junger 20-jähriger Mann stirbt, eine 45-jährige Mutter. Menschen, die zufällig an diesem Samstagabend am OEZ unterwegs waren. Alle hatten einen Migrationshintergrund, alle kamen aus München oder der näheren Umgebung.
„Aufwühlende Tage liegen hinter uns. Diese Ohnmacht lähmt. Genau das wollen die Täter: Angst und Schrecken über unser Land und unsere Gesellschaft legen und sie von innen vergiften. Wir dürfen nicht ohnmächtig sein. Aber wir dürfen klagen“, sagte Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising in seiner Predigt. Klage bedeute, sich nicht hängen zu lassen. Eine neue Wachsamkeit sei erforderlich. „Dieser Wachsamkeit muss zu neuer Aufmerksamkeit führen, was in den anderen vorgeht“, sagte Marx. Abschottung, Angst und Misstrauen dürften nicht das letzte Wort sein.
Für die sieben muslimischen Opfer sprach auch eine Vertreterin des Muslimrats in München: „Oh Allah, wir bitten dich um Hilfe. Hilf uns, während dieser schweren Zeit unsere Menschlichkeit nicht zu verlieren“, sagte Dhahri Hajer. „Beschütze diese schöne Stadt und ihre Bewohner und beschütze Deutschland. Und bewahre es davor, in einen Kreislauf des Hasses und Gewalt zu verfallen.“ Und: „Wer einen Menschen tötet, so ist es, als ob er alle Menschen tötet.“
Gauck wendet sich mit Rede an die Familie
Angehörige der Opfer, Politiker, Polizei- und Feuerwehrbeamte sowie die unterschiedlichen Glaubensvertreter fuhren anschließend gemeinsam in den Bayerischen Landtag, wo Bundespräsident Joachim Gauck sich in seiner Rede an die Familien wandte, die auf der oberen Tribüne des Plenarsaals Platz genommen hatten: „Armela fehlt uns. Can fehlt uns. Chousein fehlt uns. Dijamant fehlt uns. Giuliano fehlt uns. Janos fehlt uns. Sabine fehlt uns. Selcuk fehlt uns. Sevda fehlt uns. Nichts ist mehr, wie es war.“
Nichts könne den Schmerz nehmen, wenn geliebte Menschen aus dem Leben gerissen würden. Nichts und niemand könne den Verlust ungeschehen machen. Niemand könne die Lücke schließen, könne jetzt heilen, was geschehen ist, sagte Gauck.
„Bayern ist im Mark getroffen“
„Die Geschehnisse übersteigen unser Vermögen, die eine Tat noch von der anderen, den einen Täter vom anderen zu unterscheiden. Wir können nur noch schwer auseinander halten, ob eine Tat im Namen einer Religion oder einer Ideologie begangen wurde, aus Fanatismus, Nationalismus oder Rassismus“, betonte der Bundespräsident. Aber auf eine Differenzierung müsse man sich einlassen.
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagte: „Bayern ist im Mark getroffen.“ München, Ansbach, Würzburg hätten sich in die Herzen gebrannt und die Welt verändert. „Dutzende haben Wunden davon getragen, körperlich wie seelisch.“
Der Rechtstaat müsse den Sicherheitsapparat stärken, mehr Personal einsetzen, eine stärke Polizeipräsenz zeigen. Das sei man den Opfern schuldig. „Eine Regierung darf nicht zusehen, wenn die Sicherheit der Bürger in Gefahr ist“, sagte Seehofer.