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Streit über Glyphosat Streit über Glyphosat: CSU widersetzte sich Weisung aus dem Kanzleramt

Von Stefan Sauer 29.11.2017, 15:57
Angela Merkel (r) soll vom Stimmverhalten Schmidts (l) erst „mit dem Ergebnis der Abstimmung“ erfahren haben.
Angela Merkel (r) soll vom Stimmverhalten Schmidts (l) erst „mit dem Ergebnis der Abstimmung“ erfahren haben. AFP

Drei Mal pro Woche stellen sich die Regierungs- und Ministeriumssprecher den Fragen der Hauptstadtjournalisten,  doch am Mittwoch geriet die erste Pressekonferenz nach dem umstrittenen Glyphosat-Votum des Agrarministers in Brüssel zum kleinen Untersuchungsausschuss. Vorläufiges Ergebnis: Etwas ist faul an den Aussagen aus dem Kabinett.

Denn in der Fragerunde trat eine beachtliche Neuigkeit zutage: Nicht nur SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hatte zuvor bei Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) angerufen, um zu betonen, dass sie auch unter den von ihm genannten Bedingungen gegen die Verlängerung der Zulassung des krebsverdächtigen Unkrautvernichters sei.

Altmaier und das toxische Votum

Nein, auch der Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, hatte sich vorab höchstpersönlich bei Schmidt gemeldet. Er habe den Minister dazu ermahnt, dass er sich als zuständiger Minister bei einem Dissens zwischen zwei Kabinettsmitgliedern laut Regierungsgeschäftsordnung in Brüssel enthalten muss – wie in diesem Fall, denn Schmidt setzt sich seit jeher für Glyphosat ein.

Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer, die den Anruf Altmaiers bestätigte, begründete ihn damit, dass das Votum über Glyphosat schon immer strittig zwischen CSU und SPD gewesen sei. Sie sprach von einem „andauerndem Abstimmungsprozess“. Altmaier habe quasi nur vorbeugend sichergehen wollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wiederum habe vom Stimmverhalten Schmidts erst „mit dem Ergebnis der Abstimmung“ erfahren.

Damit ist zumindest offiziell bestätigt, dass Schmidt gegen eine indirekte Weisung aus dem Kanzleramt gehandelt hat. Dass CSU-Chef Horst Seehofer vorab bescheid wusste, wird zumindest nicht bestritten. Das wäre dann zumindest ein in  Kauf genommener Affront der CSU nicht nur gegen die SPD, sondern auch gegen Merkel gewesen.

Was aus den Einlassungen aber bislang – mutmaßlich bewusst – nicht hervorgeht, ist, ob Merkel vom geplanten Votum Schmidts vorab Wind bekommen hatte. Dann wäre entweder ihre über Altmaier weitergegebene Mahnung ignoriert worden – oder rein symbolisch gewesen, damit Schmidt später von einem Alleingang sprechen kann.

Fakt ist: Als die SPD nach der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre am Montagnachmittag massiv verärgert reagierte. Die Empörung belastet die sich anbahnenden Gespräche über eine erneute große Koalition. Merkel hatte Schmidt am Dienstag öffentlich gerügt – aber nicht als Minister entlassen.

Schwammige Verbesserungen im Entschlussentwurf

Inhaltlich kommt hinzu, dass sich Schmidts Argument, er habe in letzter Sekunde „wichtige Verbesserungen zum Schutze der Pflanzen- und Tierwelt“ in den Entschlussentwurf hineinverhandelt und deshalb zugestimmt, bei näherem Hinsehen als äußerst dünn entpuppt. De facto handelt es sich um wenige, im Anhang des Entwurfs eingefügte Sätze von bemerkenswerter Unverbindlichkeit. Danach soll Glyphosat zum Schutz von Grundwasser in sensiblen Gebieten mit „besonderer Sorgfalt“ ausgebracht werden. Gleiches gilt für privater Nutzer, deren Schutz zu gewährleisten sei. Zudem solle die Glyphosat-Anwendung Risiken für die Artenvielfalt von Insekten und Spinnentieren berücksichtigen und den Grundsätzen „guter landwirtschaftlicher Praxis“ folgen.

„Diese so genannten Verbesserungen sind allesamt schwammig formuliert und bleiben völlig unverbindlich“, sagt Till-David Schade vom Naturschutzbund Deutschland. Der angestrebte Schutz privater Nutzer etwa könne zwar in einem Glyphosat-Verbot auf Privatgrundstücken münden. „Aber das muss nicht sein. Es kann auch bedeuten, dass einfach Warnhinweise und Anwendungsempfehlungen auf den Verpackungen ein bisschen umformuliert werden“, so Schade. „Unter dem Strich hat Schmidt nichts Substanzielles erreicht“.

Die kommende Bundesregierung sei daher gefragt, nationale Beschränkungen für den Glyphosat-Einsatz zu beschließen. Solche Maßnahmen sind nach dem EU-Recht sehr wohl möglich, müssen aber gesondert begründet werden. Der Nabu plädiert für ein Anwendungsverbote kurz vor der Ernte und in privaten Gärten.